Militäreinsatz vor Libyens Küste: Irritationen über die EU-Mission

Die Militärmission „Sophia“ wurde ausgeweitet. Doch vor Ort gibt es Zweifel und Kritik an ihrem Vorgehen. Viele Militärs fühlen sich alleingelassen.

Ein Boot der libyschen Küstenwache in Tripolis

Formale Probleme: Ein Boot der libyschen Küstenwache in Tripolis Foto: reuters

TUNIS taz | Seit über einem Jahr fordern libysche Marinekommandeure, der „Rote Halbmond“ und lokale Aktivisten mehr Unterstützung für die Bergung von Flüchtlingen und die Aufnahmelager an der über 2.000 Kilometer langen Küste. Nun hat die EU-Mittelmeermission „Sophia“ ihren Einsatz ausgeweitet. Zur Seenotrettung und Festnahme von Schleusern kommt jetzt das Unterbinden von Waffenschmuggel und Hilfe beim Aufbau einer Küstenwache hinzu. Ziel ist, dass die libysche Regierung selbst gegen Flüchtlinge vorgeht.

Doch die Verantwortlichen vor Ort sind irritiert – über den späten Entschluss der EU, weil die Küste so lang ist, das Land von Milizen kontrolliert wird und der Schmuggel vom Meer aus nicht zu stoppen ist.

Einer von ihnen ist der Kommandeur der Küstenwache von Misrata, Taufik al-Skir. „Erst wenn es eine legitime Einheitsregierung gibt, will die italienische Regierung vier libysche Patrouillenboote zurückgeben, die kurz vor der Revolution zur Wartung nach Neapel geschickt wurden“, klagt er. Obwohl die UNO und die EU die Einheitsregierung von Premier Fayes Sarradsch als einzig rechtmäßigen Vertreter Libyens anerkennen, fehlt ihr der nötige Segen des Parlaments in Tobruk.

„Ich verstehe nicht, warum auf der diplomatischen Ebene flexible Lösungen möglich sind, aber nicht für uns, von denen die EU erwartet, die Schmuggler zu stoppen“, sagt der 51-jährige al-Skir im Hafen von Misrata. Seine 300 Marinesoldaten treffen täglich in ihren fünf verbliebenen Booten auf Schlauchboote, in denen bis zu 110 Menschen die Strände zwischen Misrata und Suwara verlassen.

Schutzgeld an den „Islamischen Staat“

Bis vor vier Wochen zahlten die Schmuggler, meist Mitglieder lokaler Milizen, in Sirte und Sabrata sogar Schutzgeld an den „Islamischen Staat“ (IS) oder ähnliche Gruppierungen, die unter der schwarz-weißen Flagge Angst und Schrecken verbreiteten.

Al-Skirs Marineeinheit ist jetzt Teil der Operation „Bunyan Marsous“, ein von 20 bis 30 britischen und amerikanischen Militärberatern unterstützter Angriff auf den IS in Sirte. Die Brigaden sind bereits in das Stadtzentrum von Muammar Gaddafis ehemaliger Hochburg vorgerückt. Mit über 300 Toten und 700 Verletzten waren die Kämpfe die heftigsten seit der Revolution, aufseiten des IS sollen bis zu 1.000 Kämpfer gestorben sein.

Libyscher Kommandant

„Wir kämpfen hier auch für die Sicherheit Europas“

Trotz des schnellen Vorrückens beklagen die Belagerer den Mangel an Munition und Verbandsmaterial. Dschamal Mohammed (Name geändert), der ein Bataillon am Militärflughafen von Sirte kommandiert, spricht vielen seiner Männer aus der Seele: „Wir kämpfen hier auch für die Sicherheit Europas, das der IS bald über das Meer angreifen wird. Dass aus irgendwelchen formalen Gründen nicht einmal Verbandsmaterial ankommt, ist enttäuschend. Wenn sie uns jetzt nicht helfen, wird Europa künftig keine Partner für die „Sophia“-Mission gegen Migranten in Libyen finden.“

Hunderttausende warten auf die Überfahrt

Da von Sirte nun keine Boote mit Migranten mehr ablegen, haben die großen Schmugglernetzwerke ihr Geschäft an die Strände der Küstenorte Garabulli und Sabrata verlegt, wo nach Schätzungen libyscher Experten bis zu 300.000 Migranten auf die Überfahrt nach Europa warten.

Wie gefährlich die Ausweitung des „Sophia“-Einsatzes an die libysche Küste sein kann, zeigen gewalttätige Proteste gegen die mit der Einheitsregierung verbündeten Misrata-Einheiten bei Tripolis. Der Vorort Garabulli, wo viele Hauptstädter Ferienhäuser besitzen, ist ein Hauptversteck der Schmuggler. Am vergangenen Dienstag versuchten sie, Europas libysche Verbündete zu vertreiben. Fast 80 Menschen starben bei der Stürmung einer Militärkaserne, als ein Waffenlager explodierte.

Marinekommandeur al-Skir hofft, dass Europa statt gegen die Migrantenboote zuerst gegen die „eigenen Schmuggler“ vor der libyschen Küste vorgeht. „Warum lassen die EU-Patrouillen die Fischerboote und Frachter passieren, die vor ihren Augen Benzin nach Malta und Sizilien bringen? Menschen-, Waren- und Waffenschmuggler nutzen oft dieselben Routen. So lange man die Logistik der Mafia auf hoher See nicht stört, nur weil es Landsleute sind, kann man von uns nicht erwarten, gegen die besser bewaffneten Schmuggler an unseren Stränden vorzugehen.“

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