Militäroffensive in Afrin: Wer Frieden sagt, wird verfolgt

Zahlreiche Menschen, die in den sozialen Medien kritische Stimmen über die türkische Militäroffensive geteilt haben, wurden festgenommen.

Beobachten, was hinter der Grenze passiert: Der Blick auf Afrin von der türkischen Stadt Hassa Foto: rtr

In der Nacht zum Dienstag wurden in Ankara acht Personen im Zusammenhang mit der Militäroffensive in Afrin festgenommen. Unter den Festgenommenen sind die beiden Journalisten Sibel Hürtaş, die Ankara-Korrespondentin des TV-Senders Artı Gerçek ist, und der Journalist Hayri Demir, der für die Mezopotamya Ajansı und taz.gazete arbeitet. Beiden wird vorgeworfen, Terrorpropaganda und Volksverhetzung betrieben zu haben. Beide wurden auf die Polizeiwache der Antiterror-Einheit in Ankara gebracht.

Zuvor waren ihre Wohnungen gestürmt und durchsucht worden. Dabei wurden im Fall von Demir Texte als „Beweise“ beschlagnahmt, darunter ein Interview mit der ehemaligen Co-Vorsitzenden der HDP, Figen Yüksekdağ. Demirs Anwältin Ceren Şimşek hat bislang keinen Kontakt zu seinem Mandanten. Sie hofft, bald die Erlaubnis zu erhalten, ihn zu sehen.

Hayri Demir hatte auf Twitter Beobachter der Militäroperation in Afrin wiedergegeben, die von den Informationen der Regierung abwichen. Sibel Hürtaş hatte Interviews geteilt, die sie mit einem Abgeordneten der HDP und einem ehemaligen AKP-Abgeordneten gemacht hatte, die sich offen gegen den Krieg in Afrin aussprachen und die Regierung kritisierten.

Demir und Hürtaş sind immer noch in Untersuchungshaft. Die Anwältin Ceren Şimşek konnte sie am Dienstag besuchen und fand sie in gutem Zustand. Ihre Daten aus den Handys und Laptops würden untersucht werden. Aufgrund des Ausnahmezustands können beide theoretisch bis zu 14 Tagen festgehalten werden. Das Ziel der Festnahme, so die Anwältin, sei es, Angst zu verbreiten.

15-Punkte-Plan für Journalisten

Der Außenminister Mevlüt Cavuşoğlu hatte am Sonntag gesagt, dass jeder, der gegen die türkische Afrin-Offensive ausspricht, Terroristen unterstütze. Zuvor hatte die türkische Regierung einen „15-Punkte-Plan“ dazu vorgestellt, wie Journalisten über die „Operation Olivenzweig“ berichten sollen. Unter anderem solle klargestellt werden, dass sich die Militäroffensive „allein gegen Terrororganisationen“ richte. Es solle in den Vordergrund gestellt werden, dass das Militär darauf achte, Zivilisten bei den Angriffen zu schützen. Außerdem mahnt das Papier zur Vorsicht bei gegen die Türkei gerichteten Berichten von ausländischen Nachrichtenquellen, insbesondere bei Quellen der kurdischen Milizen und des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS).

Es sollten keine Nachrichten verbreitet werden, die die „Moral der PKK/PYD“ erhöhen könnten. Um über die Operation „wahre“ Auskünfte zu bekommen, seien die Zuständigen aus Regierung und der AKP stellvertretender Ministerpräsident Bekir Bozdağ und der Regierungssprecher Mahir Ünal zu kontaktieren. Außerdem seien Berichte ausländischer Medien nicht im Wortlaut zu übernehmen, da die ausländischen Medien sehr viele Kontakte zur PKK/PYD hätten, allen voran europäische und US-Medien, die falsche Nachrichten verbreiten würden.

Laut dem türkischen Innenminister wurden seit Beginn der Offensive 24 Personen wegen „Terrorpropaganda“ festgenommen, die sie in sozialen Medien mit Bezug auf die „Operation Olivenzweig“ verbreitet hätten. Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass in 57 Fällen Ermittlungen laufen würden. Regierungstreue Medien behaupten, die Ermittlungen würden im größeren Rahmen stattfinden und dass gegen über 300 Leute Ermittlungen laufen würden. Laut der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet ist die Zahl der Festgenommenen allerdings höher. Sie beziffert sie mit mindestens 50 Personen. Unter den Festgenommenen befinden sich auch Mitglieder der Oppositionspartei HDP und des Menschenrechtsvereins İHD.

„Ist es ein Verbrechen, gegen Krieg zu sein?“

Bereits Sonntagnacht wurde die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Nurcan Baysal in Diyarbakır festgenommen, der Journalist İdris Yılmaz in Van, und der Journalist İshak Karataş in İstanbul. Auch das Haus von İsmail Eskin, ebenfalls ein Autor der taz.gazete, der in Deutschland als politischer Flüchtling lebt, wurde von einer Polizeieinheit gestürmt. Laut Eskin wurde auch seine Familie in der Türkei bedroht, der man gesagt habe, dass sie in Gefahr seien, wenn er nicht aufhöre, über Afrin zu reden.

Die HDP-Abgeordnete Meral Danış Beştaş hatte am Montag im Parlament öffentlich den Ministerpräsidenten Binali Yıldırım gefragt: „Ist es ein Verbrechen, gegen den Krieg zu sein?“, und nach der genauen Gründen und der Zahl der Festgenommen gefragt. Der Istanbuler CHP-Abgeordnete Barış Yarkadaş sagte: „Journalisten sind überall auf der Welt gegen Krieg. Sie müssen nicht gleich denken wie Politiker. Die AKP will, dass alle so denken wie die Partei, aber sie sollte begreifen, dass das unmöglich ist und die Journalisten in Ruhe lassen.“

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