Milo Raus Polit-Theater vor dem Reichstag: Revolution, re-inszeniert

Der Versuch des Schweizer Theaterregisseurs Milo Rau, ein demokratisches Weltparlament zu inszenieren, war nicht ganz erfolgreich.

Menschen vor dem Reichstagsgebäude

Polit-Theater der unterhaltsam-klugen Art: „Sturm“ auf den Reichstag 100 Jahre nach 1917 Foto: Susanne Memarnia

Per Megaphon dirigiert Milo Rau die Massen. „Macht es wie im wahren Leben: Schaut nicht zurück!“ Dann rennen auf das Kommando des Schweizer Theaterregisseurs ein paar hundert Menschen mit lautem Gebrüll über die Wiese Richtung Reichstag.

Mit dem inszenierten „Sturm“ auf das Parlamentsgebäude, ein Re-enactment des „Sturms“ auf das Petersburger Winterpalais des Zaren vor genau 100 Jahren, fand am Dienstag Nachmittag das neueste Projekt von Rau einen vorläufigen Abschluss. Begonnen hatte es am vorigen Wochenende mit der dreitägigen Sitzung einer „Generalversammlung“ (global assembly), dem „ersten Weltparlament der Menschheitsgeschichte“, wie es Rau vor der „Erstürmung“ in einer kurzen Rede nannte.

Die Generalversammlung bestand aus rund 70 „Abgeordneten“ aus über 20 Ländern, darunter Menschenrechts-, Umwelt- und ArbeiterrechtsaktivistInnen, aber auch Schriftsteller, Filmemacher, Journalisten sowie acht Bundestagsabgeordnete. Ziel der ausverkauften Veranstaltung in der Schaubühne am Lehniner Platz war, eine „Charta für das 21. Jahrhundert“ zu entwerfen. Ausgangspunkt war die These, dass trotz wirtschaftlicher und technologischer Globalisierung bislang keine demokratischen und rechtlichen Institutionen bestehen, die den Weltmarkt regulieren, die „völkerrechtliche Verstöße verfolgen, Menschenrechte durchsetzen oder ökologische Entwicklungen in sinnvolle Bahnen leiten“, wie es auf der Webseite www.general-assembly.net heißt.

Verabschiedung der Charta verschoben

Die Verabschiedung der Charta habe man allerdings um „zwei, drei Wochen“ verschieben müssen, erzählte Rau der taz, da es bei einigen Themen keine Einigung beziehungsweise Debatten über Formulierungen gegeben habe. Zu einem „Eklat“ kam es laut Rau, weil einer der „Abgeordneten“, ein Mitglied der türkischen Regierungspartei AKP, den Genozid an den Armeniern geleugnet habe. Insgesamt zeigte sich der Theatermacher aber „extrem glücklich“ über den Verlauf der Versammlung, „trotz teils harter Konflikte“. Sein Ziel, einen „großen utopischen Entwurf“ zu verfassen, sei erreicht.

Auf der Reichstagswiese kündigte Rau an, dass die Charta, sobald sie von der „assembly“ verabschiedet sei, in mehreren europäischen Parlamenten verlesen werde. „Und vor allem: Das Weltparlament wird weitergehen, in anderen Städten, mit neuen Abgeordneten.“ Dabei sei eine der Kernfragen, die beantwortet werden müsse, wie die Abgeordneten künftig ausgewählt werden sollten, damit sie eine breite Repräsentanz der Weltbevölkerung darstellen. Als Beispiel wies er darauf hin, dass allein zwei „Abgeordnete“ des Weltparlaments, ein brasilianischer Gewerkschaftler aus der Autoindustrie und ein Minenarbeiter aus dem Kongo, gemeinsam mehr Menschen vertreten würden als die Schweiz Einwohner hat.

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