Miss Liberty's Vergangenheit: Die Freiheit ist weiblich

Ein Ausflug in die Geschichte der New Yorker Freiheitsstatue. Am 15. Mai eröffnet das neue Museum der Lady.

Segelschiff vor der Freiheitsstatue

Blick auf Liberty Island und die Freiheitsstatue Foto: imago images/Aurora Photos

Lady Liberty hat in ihren 133 Jahren im New Yorker Hafen eine Menge gesehen. Es begann mit feministischen Protesten an dem Tag, als ihr die Trikolore – Oui: die französische Fahne! – vom Kopf gezogen wurde. Wenige Jahre später schipperten Millionen von Einwanderern, von denen die meisten wie sie selbst aus Europa stammten, an ihrem Sockel vorbei in das neue Land. Dann wurde ihr rechter Arm bei einem Attentat zerstört, hinter dem Agenten des deutschen Kaiserreichs steckten. Und 2012 erreichte mit dem Sturm „Sandy“ die Klimaveränderung ihre Insel.

An diesem 15. Mai kommt eine weitere Erfahrung hinzu, die eine extrem seltene Ehre für ein einzelnes Kunstwerk darstellt: Lady Liberty, die samt Sockel 92,99 Meter hohe Gigantin, bekommt ein eigenes Museum. Auf 2.600 Quadratmetern wird es darin ausschließlich um sie gehen. Das Museum wird die Geschichte einer Statue erzählen, die zu einem Markenzeichen der USA und zu einem globalen Symbol geworden ist und deren Versprechen immer wieder in krassen Widerspruch zu dem Land gerät, in dem sie steht.

„Freiheit für Frauen gibt es nicht in Amerika“, riefen wütende Suffragetten von einem Boot zu der kleinen Insel herüber, die am 28. Oktober 1886, noch „Bedloe“ hieß. Im Lärm der Kapellen und des Kanonendonners zur Einweihung der Statue mögen die Rufe der Frauen untergegangen sein. Aber ihre Transparente waren nicht zu übersehen.

Die Freiheit ist anderswo

Anders als die meisten Boote, die an dem wolkenbedeckten, grauen Herbsttag den New Yorker Hafen füllten, und von denen die meisten mit US-Fahnen und der Trikolore geschmückt waren, hatten die Frauen politische Forderungen gehisst. Sie verlangten jene Dinge, die die neue Statue symbolisierte: Gleichheit, Wahlrecht, Freiheit.

Anfahrt

Der einzige Weg zum Besuch von Liberty Island sind Fähren, die im Battery Park am Südzipfel von Manhattan und im Liberty State Park in Jersey City starten (Preis für Erwachsene: 18,50 $). Die Fähren halten sowohl an Liberty Island als auch an Ellis Island.

Das Museum

Der Besuch des Liberty Museums und des Einwanderungsmuseums auf Ellis Island ist gratis. Wer in das Innere der Freiheitsstatue will, muss das vorher reservieren und – im Fall eines Besuchs der Krone – extra zahlen.

Die Statue trug bis zum Tag ihrer Enthüllung den französischen Namen „Liberté éclairant le monde“ (Freiheit, die die Welt erleuchtet). Sie war die Idee einer Gruppe von Männern in Frankreich. Im April 1865, wenige Tage nach dem Ende des vierjährigen Bürgerkriegs in den USA und unmittelbar nach der Ermordung von Abraham Lincoln, trafen die Männer sich im Haus von Édouard René de Laboulaye.

Der Jurist und Politiker war Vorsitzender der Gesellschaft zur Abschaffung der Sklaverei. Zusammen mit seinen Gästen wollte er feiern, dass die USA endlich die Sklaverei abgeschafft hatten. Und er wollte über einen eigenen Beitrag für den bevorstehenden hundertsten Jahrestag der Unabhängigkeit des jungen Landes diskutieren.

Die Emotion über den Präsidentenmord, der erste in den USA, gab den Franzosen zusätzlichen Antrieb. Ihr offizielles Thema waren die USA, aber im Sinn hatten sie auch ihr eigenes Land. Sie wollten Napoleon III., der 1851 in Frankreich geputscht und sich selbst zum Kaiser erklärt hatte, zeigen, dass sie nicht mit seiner autoritären Herrschaft einverstanden waren. Die Freiheit ist anderswo, lautete ihre Botschaft per Statue.

Das Geschenk Frankreichs

Frédéric-Auguste Bartholdi, ein auf gigantische Werke und revolutionäre Themen spezialisierter Bildhauer, erhielt den Auftrag, eine Skulptur zu entwerfen. Inspiration holte er unter anderem bei dem Koloss von Rhodos. Die innere metallische Struktur für seine Statue entwickelte ein gewisser Gustave Eiffel. Es sollte ein Geschenk Frankreichs an die USA werden. Laboulaye machte sich auf die Reise, um nach einem Standort zu suchen. Die Idee war, dass Frankreich die Statue finanziert und über den Atlantik bringt. Und dass die USA das Geld für den Sockel besorgen.

Doch bis die Statue auf ihren Sockel kam, sollten mehr als zwei Jahrzehnte vergehen. In der Zwischenzeit fand ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland statt, in dem die US-Amerikaner zum Leidwesen der Pariser mit Preußen sympathisierten. Und in Paris eroberte ein revolutionärer Stadtrat die Macht.

Die Commune dekretierte höhere Löhne, das Ende der Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen und die Emanzipation für Einwanderer. Das Experiment währte nur zehn Wochen, bevor französische Regierungstruppen es mit einem Blutbad beendeten, aber es sollte nachhaltige Folgen für das 20. Jahrhundert haben.

Die USA fielen in jenen zwei Jahrzehnten in eine neue Variante von altem Regime zurück. Die Sklaverei war zwar abgeschafft, aber nach einer kurzen Zeitspanne der Emanzipation, führten viele Bundesstaaten die „Rassentrennung“ per Gesetz ein. Sie trennten Wasserquellen, Wohnviertel und Schulen nach Hautfarben, entzogen Afroamerikanern das gerade erst erhaltene Wahlrecht, und ließen das Erstarken des rassistischen Geheimbunds Ku-Klux-Klan zu, dessen Mitglieder Schwarze Menschen drangsalierten und lynchten.

Vorbehalte gegen die Statue

In Paris war es leicht, Begeisterung für die Statue zu erzeugen. Bürger pilgerten in das Atelier im 17. Arrondissement, wo sie entstand. Und nachdem erste Einzelteile – darunter ihr 4.40 Meter hoher und 3,05 Meter breiter Kopf mit Strahlenkranz – in Parks ausgestellt wurden, flossen auch die Spenden in Strömen. Aber die New Yorker interessierten sich kaum für das Projekt. Spenden für den Sockel gab es schon gar nicht.

„Wieso sollten wir für ein Geschenk aus Frankreich bezahlen“, nörgelte der aus New York stammende US-Präsident Grover Cleveland und lehnte jede öffentliche Finanzierung ab. Dann hatte ein aus Ungarn eingewanderter Zeitungsverleger die rettende Idee. Joseph Pulitzer versprach, dass er den Namen jedes Spenders, der Geld für den Sockel der Statue gäbe, in der New York World veröffentlichen werde. Es war der Anfang des modernen Fundraisings.

Die Vorbehalte gegen Lady Liberty hielten sich auch noch in ihren Anfangsjahren im Hafen von New York an. Sie war das höchste Bauwerk weit und breit. Auf der New Jersey-Seite gab es nur niedrige Häuser und Fabriken. Und in Manhattan befand sich die erste Generation von Wolkenkratzern noch in der Planung. Manche New Yorker beschwerten sich über die Spiegelreflexe, die von der noch frisch glänzenden kupfernen Außenhaut der Statue über das Wasser in die City kamen.

US-Präsident Grover Cleveland

„Wieso sollten wir für ein Geschenk aus Frankreich bezahlen“

Die beste Sicht auf Lady Liberty hatten von Anfang an jene, die von außen kamen. Bei der Einfahrt in den Hafen können sie ihr Gesicht, die Gesetzestafeln in ihrer linken und die Fackel in ihrer rechten Hand von vorne sehen. Die Statue kehrt den USA den Rücken zu. Sie schaut über den Atlantik nach Europa.

Wegen dieser Position bekam sie unter vielen anderen auch den Spitznamen: „Mother of Exiles“. Zu diesem Ruf trug auch ein Gedicht von Emma Lazarus, das beim Fundraising helfen sollte und seit 1886 im Sockel der Statue eingraviert ist. „Schickt mir die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen“ heißt es darin.

Sechs Jahre nach der Einweihung der Statue eröffneten die USA 1892 ein Durchgangslager für Einwanderer auf Ellis Island, einer anderen kleinen Insel im New Yorker Hafen. In manchen Jahren vor dem ersten Weltkrieg landeten mehr als eine Million Einwanderer auf Ellis Island. Bloß während der Großen Depression der 30er-Jahre, als die USA im Elend versanken, machte das Lager vorübergehend zu.

Die Touristenattraktion

Bis zu seiner endgültigen Schließung des Lagers im Jahr 1954 schafften es zwölf Millionen Menschen durch Ellis Island in ein neues Leben auf dem Festland. Aber längst nicht alle Anwärter schafften es durch die Befragungen und Gesundheitstests. Die US-Behörden wiesen 120.000 Menschen auf Ellis Island ab. Jene Unglücklichen mussten an Lady Liberty vorbei zurück in die Länder fahren, denen sie entkommen wollten.

Wer Lady Liberty näher kommen wollte, brauchte in ihren Anfangsjahren noch eine Genehmigung des Militärs. Die Statue war auf das zackenförmige Fundament einer Festung gesetzt worden, die einst dem Zweck gedient hatte, New York gegen Angriffe der ehemaligen Kolonialmacht zu verteidigen. Als die Statue kam, war die Militärbasis bereits geschlossen. Aber die Bedloes Insel stand immer noch unter militärischer Verwaltung. Erst in den 30erJahren wurde sie ein Nationalpark. Und erst 1956 bekam sie ihren heutigen Namen „Liberty Island“.

Aber vom ersten Moment an zog die Statue Neugierige an, die unter ihre bronzenen Kleider steigen und sie von innen besichtigen wollten. Um das möglich zu machen, mussten nachträglich Treppen und Leitern eingebaut werden. Denn die französischen Schöpfer hatten ihre Statue nicht für Innenbesuche konzipiert. Das beliebteste Ausflugsziel im Inneren war die Fackel, zu der man durch den schulbusgroßen rechten Arm von Lady Liberty aufsteigen konnte.

Der Anschlag deutscher Agenten

Der Fackel-Tourismus endete schlagartig am 30. Juli 1916, als kurz nach Mitternacht das Waffen- und Munitionslager auf der weniger als einen Kilometer von Lady Liberty entfernten Black Tom-Insel explodierte. Die USA waren zu dem Zeitpunkt noch nicht offiziell im Ersten Weltkrieg. Aber sie lieferten Waffen an die Entente-Mächte, die gegen das Deutsche Reich kämpften.

Die Detonationen waren bis ins 130 Kilometer entfernte Philadelphia zu spüren. In Manhattan gingen Fenster zu Bruch. Und Lady Libertys rechter Arm erlitt so schwere Schäden durch Schrapnell-Splitter, dass er nie wieder für Besucher geöffnet werden konnte. Schon der erste Verdacht fiel auf Berlin. Aber erst 1939 bestätigte eine internationale Kommission, die den bis dahin schwersten ausländischen Anschlag in den USA untersucht hatte, dass ihn Agenten des Deutschen Reichs verübt hatten.

Bei den Vorbereitungen soll der bereits 1915 aus den USA ausgewiesene ehemalige deutsche Militärattaché Franz von Papen eine zentrale Rolle gespielt haben. Hitler lehnte Reparationszahlungen ab. Erst die Bundesrepublik stotterte die 50 Millionen US-Dollar bis 1973 in Raten ab.

In dem neuen Liberty-Museum hat die 1916 beschädigte Originalfackel von Lady Liberty einen Ehrenplatz. Durch die Glaswände hinter der Fackel können Besucher die Statue und die Skyline von Manhattan sehen. Genau wie in den Anfängen der Statue in New York, gab es auch für das Museum keine öffentlichen Gelder.

Das neue Museum

Aber dieses Mal war kein Geschenk aus Frankreich nötig, um die 100 Millionen Dollar für das Museum zu bekommen. Große Getränkehersteller, Versicherungen und andere US-Konzerne drängelten sich darum, für das Markenzeichen zu spenden. Dass ihre Namen, wie einst bei Pulitzer, veröffentlicht werden, versteht sich von selbst.

Das Museum steht auf einem der letzten freien Flecken auf der kleinen Liberty Insel. Ein paar Schritt von der Fähre entfernt, die alle paar Minuten an die 500 Passagiere ausspuckt. Auf ihrem Weg zu der Statue kommen sie zwangsläufig an dem Museum vorbei, das für bis zu 20.000 Besucher pro Tag konzipiert ist. Es soll die Statue entlasten. Denn in deren Innerem sind nur noch wenige und lang angemeldete Menschen für Besuche im Sockel und im Kopf mit Strahlenkranz zugelassen.

Das Museum soll der großen Mehrheit der 4,5 Millionen jährlichen Besucher auf der Insel eine eigene Erfahrung verschaffen. Die Besucher werden an Filmen und Exponaten aus der Geschichte der Statue vorbeigeschleust. Am Ende sollen sie aufschreiben, was sie unter „Freiheit“ verstehen, damit es – versehen mit Selfies – an eine Wand projiziert wird. Freiheit, so begründet Stephen Briganti, der Präsident der Liberty-Island-Stiftung, die das Museum gebaut hat, „bedeutet für jeden Menschen etwas anderes“.

Mit so viel Beliebigkeit bei der Definition von Freiheit waren schon 1886 längst nicht alle US-Amerikaner einverstanden. Damals waren zu der Einweihung der Statue, die mit einem weiblichen Körper die Abschaffung der Sklaverei feiern sollte, nur eine Handvoll Frauen und keine einzige Schwarze Person auf die Insel geladen. Die afroamerikanische Zeitung Cleveland Gazette kommentierte bitter: „Schaufelt die Bartholdi-Statue samt Fackel und allem in den Ozean, bis die „Freiheit“ in diesem Land auch für schwarze Männer gilt.“

133 Jahre und viele Kontroversen später ist es eine Extrem-Kletterin, die Lady Liberty erneut für eine politische Demonstration benutzt. Am 4. Juli, dem Nationalfeiertag der USA, als sich auf Liberty Island popcornessende Turisten drängeln, klettert Patricia Okoumou von außen an der Statue hoch. Die aus der Demokratischen Republik Kongo eingewanderte junge Frau will dagegen protestieren, dass an der Südgrenze der USA Einwandererkinder von ihren Eltern getrennt und eingesperrt werden. Vor wenigen Wochen hat ein Gericht in New York Okoumou wegen dieses Vergehen zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt.

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