Missstände im Bundesamt für Migration: Ex-Bamf-Chef bringt Merkel in Not

Wer hat während der Flüchtlingsbewegung 2015/16 versagt? Das Bamf oder die Politik? Frank-Jürgen Weise macht der Regierung schwere Vorwürfe.

Angela Merkel und Frank-Jürgen Weise

Soll die Missstände gegenüber Merkel zweimal angesprochen haben: Frank-Jürgen Weise Foto: dpa

BERLIN dpa | Der frühere Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise hat für die Missstände in der Behörde während der Flüchtlingskrise die Bundesregierung verantwortlich gemacht. „Die Krise war vermeidbar“, schrieb der ehemalige Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach Berichten von Bild am Sonntag und Spiegel 2017 in einem vertraulichen Papier. Er kritisierte insbesondere das damals von Thomas de Maizière (CDU) geleitete und für Flüchtlingsfragen zuständige Bundesinnenministerium. „Ein funktionierendes Controlling hätte bereits im Jahr 2014 eine Frühwarnung gegeben.“

Weise, übernahm im September 2015 auf Bitten der Bundesregierung die Leitung des Bamf. Dieses war durch den stark angeschwollenen Zustrom von Flüchtlingen überfordert. Mitarbeiter fehlten, es türmte sich ein Berg von mehreren hunderttausend unerledigten Asylanträgen auf. Weise war damals Chef der Bundesagentur für Arbeit. Er gab die Bamf-Leitung Ende 2016 wieder ab. Danach war er bis Ende 2017 Beauftragter für Flüchtlingsmanagement beim Bundesinnenministerium.

Anfang 2017 verfasste er den Medienberichten zufolge eine 45-seitige Bilanz. „Die neue Leitung hat in ihrer beruflichen Erfahrung noch nie einen so schlechten Zustand einer Behörde erlebt“, schrieb Weise. „Es ist nicht erklärbar, wie angesichts dieses Zustandes davon ausgegangen werden konnte, dass das Bamf den erheblichen Zuwachs an geflüchteten Menschen auch nur ansatzweise bewerkstelligen könnte.“

Unter anderem listete Weise auf: Im Arbeitspostfach mancher Asyl-Entscheider seien bis zu 2.000 Fälle gelegen, das IT-System sei veraltet gewesen, 30 Prozent der Asylakten hätten kleinere bis gravierende Fehler aufgewiesen, für die Überprüfung aller syrischen Ausweisdokumente habe es nur drei Personalstellen gegeben.

Laut Weise ging der Bericht an das Innenministerium. Wie die Bild am Sonntag berichtete, sprach er 2017 auch zweimal mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Missstände beim Bamf.

„Merkel muss Stellung beziehen“

Dazu schrieb SPD-Generalsekretär Lars Klinbeil auf Twitter: „Wir brauchen schnell Klarheit. Merkel muss Stellung beziehen was sie wann über die Entwicklung beim Bamf wusste.“ Schärfer formulierte es SPD-Parteivize Ralf Stegner, der Merkel die volle Verantwortung für die Überforderung des Bamf zuwies: „Die Kanzlerin hat schlicht versagt“, sagte er dem Tagesspiegel (Montag). „Man kann der Bevölkerung nicht sagen „Wir schaffen das“ und dann tatenlos zusehen, wie die zentrale Behörde scheitert, weil sie technisch und personell so schlecht ausgestattet ist, dass sie es nicht schaffen kann.“

Die Werte-Union, ein Zusammenschluss konservativer Merkel-Kritiker, verlangte die Einsetzung eines Bamf-Untersuchungsausschusses.

Weise wird voraussichtlich demnächst im Innenausschuss des Bundestags zu den Missständen insbesondere in der Bremer Außenstelle des Bamf befragt werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen deren frühere Leiterin. Unter ihrer Ägide sollen zwischen 2013 und 2016 mindestens 1200 Asylverfahren ohne Beachtung der Vorschriften positiv entschieden worden sein. Zu den weiteren Beschuldigten gehören auch Anwälte und ein Dolmetscher, darunter ein Anwalt aus Hildesheim.

Die Beschuldigten gehen in die Offensive

Der Anwalt der ehemaligen Leiterin der Bamf-Außenstelle wies die Anschuldigungen gegen seine Mandantin zurück – und erhob seinerseits schwere Vorwürfe gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Seine Mandantin habe weder Geld angenommen noch Geld an Anwälte angewiesen, die dafür Asylsuchende gezielt nach Bremen gebracht haben sollen, sagte der Jurist Erich Joester Radio Bremen, NDR sowie Süddeutscher Zeitung. Die Verfahren seien vielmehr wegen Überlastung anderer Außenstellen und mit Wissen der Nürnberger Zentrale nach Bremen verlegt worden.

Joester nannte den von der Bamf-Innenrevision erhobenen Vorwurf, seine Mandantin habe bei ihren Entscheidungen das Vier-Augen-Prinzip missachtet, „ein Stück aus dem Tollhaus“. Dieses Prinzip habe die Bamf-Zentrale erst Anfang September 2017 in Kraft gesetzt. Die überprüften Fälle bezögen sich aber auf den Zeitraum von März 2013 bis August 2017: „Wie kann man jemanden vorwerfen, eine Vorschrift missachtet zu haben, wenn es diese Vorschrift noch gar nicht gab?“

Auch der Verteidiger des Hildesheimers Anwalts, mit dem die frühere Bremer Bamf-Leiterin besonders eng zusammengearbeitet haben soll, wies die Vorwürfe scharf zurück. Dass die Behördenleiterin viele der betroffenen Asylanträge mangels Zuständigkeit gar nicht hätte bearbeiten dürfen, sei „haltlos“, sagte Henning Sonnenberg.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.