Mladić-Prozess und Rückkehrer: Vergiftete Nachbarschaft

Das Urteil gegen den angeklagten Massen­mörder Ratko Mladić wird erwartet. Doch an der Lage bosnischer Rückkehrer wird das nichts ändern.

Viele Hände tragen einen Sarg

Bosnische Muslime tragen einen Sarg eines identifizierten Srebrenica-Opfers (Archivbild Juli 2016) Foto: ap

ROGATICA taz | Die schlammige Straße nahe dem südlich von Sarajevo gelegenen Städtchen Rogatica windet sich zwischen Regen durchnässten Wiesen und blätterlosen Bäumen den Berg hinauf. Sie führt vorbei an halb verfallenen Gehöften, um schließlich auf einem Plateau mit Obstbäumen zu enden: der Bauernhof der Familie Herceglija.

Als letzte Woche die Nachricht die Runde machte, drei Kühe der bosniakischen Rückkehrerfamilie seien von serbischen Nachbarn vergiftet worden, waren auch die Institutionen der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina wie elektrisiert. Gerade jetzt, kurz vor dem Urteil gegen den ehemaligen General der bosnisch-serbischen Truppen im Krieg, Ratko Mladić, ein solcher Zwischenfall? Könnten jetzt die Spannungen zwischen den Volksgruppe wieder aufbrechen und zu Gewaltakten führen?

Ihr Vater werde schon von Mitarbeitern der OSZE befragt, erklärt die 19-jährige Nejra und bittet, uns noch etwas zu gedulden. Vom Bauernhof aus gestattet der wolkenverhangene Himmel keinen Blick auf die beeindruckende Bergwelt hier. Der Hang fällt ab zum Tal der Drina, wo die Städte Goražde, Foča und Višegrad liegen. Als das Römische Reich in ein Ost- und ein Westreich aufgeteilt wurde, gehörte das Gebiet jenseits des Flusses zu Byzanz, diesseits zu Rom. Seit alters her ist der Fluss auch die Grenze zwischen Serbien und Bosnien.

Doch in den 1990er-Jahren wurde um diese Grenze ein Krieg geführt. Im April/Mai 1992 drangen serbische Truppen und Freischärler unter dem Befehl von General Ratko Mladić in diese vor allem von Muslimen bewohnte Gegend ein, in den Städten Foča und Višegrad kam es zu Massakern an Nichtserben. Frauen wurden in Vergewaltigungslager verschleppt, in ihrer Panik flohen die Überlebenden in die Wälder. An der Drina hielt nur ein Ort der gnadenlosen serbischen Offensive stand: das kaum 30 km entfernte Goražde, das dann dreieinhalb Jahre belagert und mit Artillerie beschossen wurde.

Ratko Mladić stammt aus dieser Gegend, aus Božanovići bei Kalinovik, ein 20 km entfernter, einsam in den Bergen liegender Ort. Er kannte jeden Pfad in den Bergen und versuchte die Fluchtwege abzuschneiden. „Mir gelang es damals trotzdem, von hier aus in das freie Gebiet um Goražde zu fliehen“, sagt der 49-jährige Bauer und Nejras Vater, Nedžad Herceglija.

Im Friedensabkommen von Dayton 1995 wurde Bosnien und Herzegowina zwar je zur Hälfte in eine serbische und in eine bosniakisch-kroatische Entität aufgeteilt, die Vertriebenen bekamen jedoch das Recht, zurückzukehren und ihr Eigentum wieder in Besitz zu nehmen. Es habe dann 12 Jahre gedauert, bis Nedžad Herceglija sich getraut habe, 2007 wieder in seine Heimat, die nun zur serbischen Teilrepublik gehört, auf seinen eigenen Grund und Boden zurückzukehren. Das gesamte Anwesen sei zerstört gewesen, das Haus niedergebrannt, er habe alles wieder mit eigenen Händen aufgebaut, erklärt er.

Prozess Am Mittwoch wird das UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien das Urteil gegen Exgeneral Ratko Mladić, dem ehemaligen Kommandeur der bosnisch-serbischen Truppen im Bosnienkrieg 1992-95, ausgesprochen.

Nach der Anklage 1995 versteckte er sich 15 Jahre lang vor dem Zugriff des Haager Tribunals. Am 26. Mai 2011 wurde er in Serbien festgenommen und am 3. Juni 2011 in Den Haag vor Gericht gestellt.

Tribunal Mit dem Urteil gegen Ratko Mladić und dem Urteil gegen kroatische Kriegsverbrecher um Jadranko Prlić u. a. am 29. November 2017 wird das UN-Tribunal aufgelöst. Revisionen der Urteile werden von einem Nachfolgegericht behandelt.

Verbrechen Ratko Mladić, geboren 1943 in Božanovići bei Kalinovik, soll den Mord an Zehntausenden Bosniaken verantworten. Bekannt als der „Schlächter von Srebrenica“ befehligte die serbischen Truppen, die im Juli 1995 die Enklave Srebrenica eingenommen und über 8.000 Männer massakriert haben.

Auch ein paar andere bosniakische Familien kamen zurück, „doch die meisten sind in alle Winde zerstreut“, sagt Herceglija. In der Gemeinde Rogatica gebe es jetzt eine serbische Mehrheit, eine serbische Verwaltung, serbische Curricula in den Schulen, eine serbisch dominierte Polizei. Die Bosniaken würden als „Minderheit“ und nicht als gleichberechtigte Bürger angesehen, klagt Nejra. Sie fühlte sich als Bosniakin in der Schule gemobbt. Sie hat sie abgebrochen – ihr vier Kilometer langer Schulweg führt durch einen Wald.

22 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton traut die Familie dem Frieden nicht mehr. Seit sich ein paar hundert Meter unterhalb des Hauses die serbische Familie Abazović angesiedelt hat, haben die Zwischenfälle zugenommen. Am 10. November wurden drei ihrer 8 Kühe vergiftet, die Familie lebt seitdem wieder in großer Angst. „In den letzten vier Jahren haben sie fünf Hunde erschossen und Weidezäune eingerissen“, sagt der Vater. Sie hätten die Polizei gerufen, doch die forderte von ihnen Beweise. Wie aber sollten die beschafft werden?

Würde eine lebenslange Strafe für Ratko Mladić die Lage hier ändern? „Kaum, die meisten Serben lehnen das Tribunal in Den Haag ab. Zwar wäre dann für uns immerhin gezeigt, dass es noch ein bisschen Gerechtigkeit gibt. Aber wird das was verändern?“

„Wir haben die Kühe nicht vergiftet“

Ana Abazović, die serbische Nachbarin, ist eine 32-jährige, schlanke, keineswegs unsympathische Frau. Sie steht im Hof ihres Anwesens und hat gerade die Hühner versorgt. Ihr Mann und sie haben das Land vor vier Jahren von nicht zurückgekehrten Bosniaken gekauft und leben so ärmlich wie ihre bosniakischen Nachbarn. Sie haben ein paar Kühe, im Hof steht eine elektrische Säge, Holzplanken sind daneben aufgestapelt. Zwei Kinder lugen aus dem Hauseingang des noch unverputzten Ziegelbaus

Sie ist nervös angesichts der Fragen der ausländischen Besucher. „Das ist alles nicht wahr. Wir haben die Kühe nicht vergiftet.“ Sie blickt zur Seite, ihre Mundwinkel zucken. Es fällt schwer, ihr zu glauben. Doch sie leugnet nicht, dass ihr Schwiegervater, Dragomir Abazović, vom Staatsgericht in Sarajevo der Kriegsverbrechen angeklagt war. Und dass es bei seiner Festnahme durch internationale Eufor-Truppen im Januar 2006 zu einer Schießerei gekommen ist, bei der er und einer seiner Söhne verwundet wurden. Seine Frau Rada starb infolge ihrer Schussverletzungen im Krankenhaus. Ihre Schwager sollen jetzt nach Meinung der Nachbarn die Problemstifter sein. Dazu möchte Ana nichts sagen. Auch nicht zu Ratko Mladić.

In einer Cafébar in der ehemaligen Hauptstadt der Serben zu Kriegszeiten, Pale, das jetzt ein ruhiges Provinznest ist, sind einige junge Serben anzutreffen. Sie sitzen stundenlang vor einem kleinen Macchiato. Manche von ihnen gehen noch zur Schule, andere schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Und träumen davon, wegzugehen. Der 20-jährige Zoran fragt, wie es für ihn möglich wäre, nach Deutschland zu kommen. Andere wollen nach Belgrad ziehen. „Hier gibt es doch nichts, keine Wirtschaft, nichts.“

Sie waren damals, während des Krieges, noch gar nicht geboren. Sie kennen das alte multinationale Bosnien nicht. Damals war Pale ein Luftkurort und Zentrum zahlreicher olympischer Skipisten. Viele Menschen pendelten zur Arbeit nach Sarajevo. Die meisten Jungs von heute sind noch niemals in Sarajevo gewesen. Sie wollen keinen Kontakt zu den „Baljes“, wie sie die Bosniaken nennen. Nicht einmal die Konzerte weltbekannter Musiker, nicht einmal das Kinocenter oder gar die Theater können sie in die Hauptstadt des Landes locken.

Mehr als ein Nachbarschaftsstreit

Dieses Verhalten, Kontakt zu vermeiden, ist für den Mittvierziger Mirsad Dautović der Schlüssel für die Diskussion über das Mladić-Urteil. Die nationalistische Ideologie, die ein friedliches Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen nicht möglich mache, entspräche dem Denken und Handeln des Ratko Mladić. Dautović, der aus Prijedor stammt und im Konzentrationslagers Keraterm saß, hat die ethnischen Säuberungen in Westbosnien nur knapp überlebt. Anders als 50 Mitglieder seiner weitläufigen Familie. Erst 2014 konnten ein Bruder, sein Vater und neun andere enge Mitglieder der Familie aus dem Massengrab Tomašica bei Prijedor geborgen werden.

Er stochert in seinem Teller in einem Restaurant in Sarajevo. Immer noch leidet er an seinem Magengeschwür, das er sich damals im Lager zugezogen hat. „Natürlich hoffen wir, dass Ratko Mladić die Höchststrafe bekommt. Und damit auch die Ideologie dahinter. Schwerer wiegt aber, dass Mladić sein politisches Ziel erreicht hat. Mit Massenmord und großen Verbrechen haben die serbischen Nationalisten das Land erobert und bekamen in Dayton mit dem Segen der großen Mächte die Hälfte des Landes zugesprochen.“ Damit wurden die Verbrechen letztendlich legitimiert.

Die Geschichte in Rogatica sei mehr als nur ein Nachbarschaftsstreit, glaubt er. Rückkehrer in die einstmals ethnisch gesäuberten Gebieten würde das Leben so schwergemacht wie möglich. „Wir haben ja nirgends in Bosnien einen Rechtsstaat. Die serbischen Machthaber machen ungebrochen weiter, leugnen jegliche Verantwortung, feiern Ratko Mladić als ihren Helden. Der General schlage in Den Haag seine letzte Schlacht, ist jetzt ihre Parole.“

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