Modelle im Online-Journalismus: Einfach mal bitte sagen

Als erste britische Zeitung setzt der „Guardian“ auf die freiwillige Unterstützung seiner Leser*innen. Für das Medienhaus ein noch etwas ungewohntes Modell, wie die Community-Redakteurin berichtet.

Bild: Monja Gentschow

von NATALIE HANMAN

Die globale Medienlandschaft verändert sich rasend schnell. Während sowohl Printauflagen als auch die Gewinne aus Print- und Digitalangeboten stetig zurückgehen, sehen sich Nachrichtenunternehmen auf der ganzen Welt gezwungen, neue Geschäftsmodelle zu erkunden.

Unsere Leser*innen schreiben uns oft, wie sehr sie die Qualität des Guardian schätzen, unseren unabhängigen, investigativen Journalismus. Und viele sind bereit, etwas dafür zu bezahlen. Wenn man mich also fragt, warum wir nicht, wie viele andere, einfach eine Bezahlschranke einrichten, antworte ich: Warum sollten wir Menschen zwingen, für unsere Arbeit zu bezahlen, wenn wir sie einfach darum bitten können? Wir wollen Menschen dazu bewegen, unseren Journalismus zu unterstützen er soll aber weiterhin allen zugänglich sein.

Natalie Hanman wurde 2016 zur ersten leitenden community editor des Guardian und war zuvor langjährige Redaktuerin der Meinungwebsite „comment is free“, wo die LeserInnen selbst veröffentlichen.

Gerade im Hinblick auf die aktuelle politische Lage scheint das dringend nötig. Nach der historischen Entscheidung der Brit*innen, die Europäische Union zu verlassen, nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, und vor der permanenten Herausforderung, die der Klimawandel und die Flüchtlingskrise darstellen, spielt die faire und sachliche Berichterstattung einer progressiven und liberalen Zeitung wie dem Guardian eine größere Rolle denn je.

Den Journalismus neu ausrichten

Im Vereinigten Königreich sind wir das erste Medienunternehmen, das einen solchen Ansatz verfolgt. Durch unsere einzigartigen Eigentumsverhältnisse – wir haben keinen Milliardär als Eigentümer, unser einziger Teilhaber ist der Scott Trust Limited – fließt das Geld unserer LeserInnen ohne Umwege in unseren Journalismus.

Doch bei diesem Ansatz geht es nicht nur um ein neues Geschäftsmodell für den Guardian. Hier bietet sich eine neue Möglichkeit, unseren Journalismus auf das auszurichten, was sowohl für uns als auch für unsere Leser*innen am wichtigsten ist: eingehende, detaillierte Berichterstattung, die sich positiv auf die Welt auswirkt. Über die letzten 18 Monate haben wir hart daran gearbeitet, unser Mitgliedschaftsmodell, das 2014 eingeführt wurde, umzugestalten, sodass es die enge Verbindung zu unseren Leser*innen widerspiegelt und fest im Journalismus, dem Ethos und der Weltanschauung des Guardian verwurzelt bleibt.

Wir haben unseren Leser*innen zugehört, neue Formate und Möglichkeiten entwickelt und optimiert, um sie, neben unserem bestehenden Print- und Digital-Angebot, um ihre Unterstützung zu bitten. Teams aus Mitarbeiter*innen aller Abteilungen und Ressorts des Guardian – Journalist*innen, Softwareentwickler*innen, User-Experience-Designer*innen, Vermarkter*innen und Grafiker*innen – haben zusammengearbeitet, um verschiedenste Wege zur Unterstützung unserer Arbeit zu schaffen. Und wir haben versucht zu verstehen, wie wir unseren Journalismus für die Menschen, die sich darauf verlassen, nützlicher und sinnvoller gestalten können. Insgesamt erhalten wir mittlerweile etwa genauso viel Geld von unseren Leser*innen wie durch Werbung. Sowohl der Brexit als auch die US-Wahlen haben uns geholfen, die Zahl der Interessent*innen in kurzer Zeit sehr zu vergrößern – im Januar 2016 hatten wir noch 15.000 Abonnent*innen für Newsletter, freiwilliges Bazhlmodell und Co., jetzt sind es schon über 230.000.

Freie Wahl bei der Unterstützung

Uns ist klar, dass die Unterstützung des Guardian auf verschiedene Arten möglich sein muss. Während manche eine Mitgliedschaft bevorzugen – und für unser Angebot regelmäßig Geld bezahlen – möchten uns andere lieber nur dann unterstützen, wenn sie sich dazu bewogen fühlen, oder gerade dazu in der Lage sind. Also haben wir die Möglichkeit erprobt, dass uns Leser*innen einmalige Beiträge bezahlen, und haben bis heute fast 200.000 solcher Beiträge erhalten.

Bild: Monja Gentschow

Darüber hinaus haben wir neue Wege erkundet, Geschichten zu erzählen, die tiefergehende Beziehungen zu unserer treuesten Leser*innenschaft aufbauen. Dazu haben wir eng mit unseren Leser*innen an vier gemeinschaftlichen Projekten der Berichterstattung zusammengearbeitet, die sich mit der Politik im Vereinigten Königreich und den USA befassen sowie mit den spezifischen Themen Rente und der zunehmenden Zahl von Messerstechereien.

Für unsere Reportage-Serie „The view from Middletown“ verbrachte einer unserer talentiertesten Autoren, Gary Younge, im Vorfeld der US-Wahlen einen Monat in Muncie, Indiana – weit weg von den großen Stationen der Wahlkampftouren, den Kundgebungen und den Umfragen – nicht um herauszufinden, für wen die Menschen stimmten, sondern warum. Er hörte den Menschen zu, auch denen, die Trump wählen wollten, und nahm sich Zeit, eine Reihe von Themen eingehend zu erörtern, wobei er sich von den Anregungen unserer Leser*innen leiten ließ. Die Resonanz war überwältigend. Doch diese innovativen, gemeinschaftlichen Projekte sind nur ein Art, dafür zu sorgen, dass die Berichterstattung des Guardian unverwechselbar bleibt – durch ein langfristiges Engagement für unterrepräsentierte Themen und Stimmen, das unsere Leser*innen gemeinsam mit uns bestimmen und formen.

Die Stimmen der Mitglieder

Mithilfe unseres wöchentlichen Newsletters können wir unseren Mitgliedern veranschaulichen, was wir tun und weshalb wir es tun. Das beinhaltet zum Beispiel die Geschichte der Woche, einen Podcast mit Stimmen unserer Mitglieder, eine Einladung an diese, uns ihre Meinungen mitzuteilen und uns Feedback zu geben zu Entscheidungen, die wir in der Redaktion getroffen haben, oder einen Artikel, der Einblicke in die Arbeitsweise unserer Journalist*innen gibt.

Unsere Leser*innen um Unterstützung zu bitten – sei es durch eine Mitgliedschaft oder durch einmalige Beiträge – ist ein relativ neues Konzept für uns in das wir langsam hineinwachsen und immer noch viele neue Erfahrungen machen.

Es ist jedoch ermutigend zu sehen, das bereits jetzt Hunderttausende unserer Leser*innen, im Vereinigten Königreich, den USA, in Australien, Europa und dem Rest der Welt, ihre Unterstützung für den Guardian bekunden, und dass sie gewillt sind, uns dabei zu helfen, dass der Journalismus des Guardian auch in diesem neuen Zeitalter gedeihen kann.