Möglicher Merkel-Nachfolger Spahn: Gekonnter Arschbomber

Im Rennen um den CDU-Parteivorsitz scheint Jens Spahn abgeschlagen. Doch den Gesundheitsminister darf man nicht unterschätzen.

CDU-Vorsitz-Kandidat

Huhu, hier spielt die Musik! Foto: dpa

BERLIN/HALLE taz | Im offiziellen Regelwerk für Arschbomben-Wettbewerbe, das gibt es wirklich, reicht die Punkteskala von 0 bis 10. In die Wertung fließen mit ein: Absprung, Ausführung und vor allem Landung. Wie laut knallt’s? Wie viel Wasser verdrängt der Körper? Wie hoch spritzt es? Unterm Strich also: Wie viele Badegäste schauen hin, wie viel Aufmerksamkeit bekommt der Springer?

Am Donnerstagabend vergangener Woche verdient sich Jens Spahn in Halle an der Saale eine 8,5, vielleicht ist es sogar eine 9. Der CDU-Politiker ist ein erfahrener Springer. Er weiß, wann der beste Zeitpunkt für eine provokante Forderung ist, wie er sie formulieren und wo platzieren muss, damit es beim Aufprall kracht, damit die Tropfen über den Beckenrand prasseln – damit ihn mal wieder wirklich alle wahrnehmen und er sich doch nicht zu viele blaue Flecken holt.

Sein neuester Sprung ist der mit dem UN-Migrationspakt. Vier Tage zuvor hat er ihn in der Bild-Zeitung zum ersten Mal ausprobiert. Jetzt, auf der vierten von zehn CDU-Regionalkonferenzen, auf denen sich die Bewerber um den Parteivorsitz der Basis präsentieren, führt er ihn erneut auf.

„Der Migrationspakt beschäftigt viele“, sagt Spahn in der Messehalle am Stadtrand von Halle vor Hunderten Parteimitgliedern. „Allein der Eindruck, dass wir darüber nicht diskutieren wollen, ist fatal. Wir müssen auf dem Bundesparteitag eine Debatte darüber führen.“

Knallt sehr schön: Vor Spahn hatte nur die AfD den Migrationspakt infrage gestellt. Ob er selbst für oder gegen die Vereinbarung ist, lässt er zwar bis heute offen. So kann genau genommen keiner behaupten, der 38-Jährige drifte nach rechts ab. Sollte der Parteitag im Dezember gegen den Pakt stimmen, könnte ihn die Bundesregierung aber wenn überhaupt nur verspätet unterzeichnen – und das, nachdem das Kabinett ihn eigentlich schon abgenickt hatte. Spahn hat da ganz schön etwas ins Rollen gebracht. Unter normalen Umständen hätte er jetzt die komplette Aufmerksamkeit für sich.

Auch Merz und Kramp-Karrenbauer können Arschbomben

Sein Problem ist nur: Im Wahlkampf um den Parteivorsitz ist mit Friedrich Merz plötzlich einer aufgetaucht, bei dem das Wasser im Zweifel noch etwas höher spritzt (er will an den Grundgesetzartikel zum Recht auf Asyl ran). Und mit Annegret Kramp-Karrenbauer bombt auch noch eine mit, der man zuvor höchstens die Kerze zugetraut hatte (sie fordert neuerdings Abschiebung nach Syrien). Jens Spahn kann machen, was er will: Er springt jetzt nur noch neben den anderen mit.

Das Rennen um den CDU-Vorsitz läuft für ihn auch sonst nicht optimal. In einer Umfrage unter Unionsanhängern nennen ihn nur sechs Prozent als Lieblingskandidaten, damit liegt er deutlich hinter Merz (29 Prozent) und Kramp-Karrenbauer (38 Prozent). Prominente CDU-Politiker halten sich mit Wahlempfehlungen für Spahn zurück. Die einflussreiche Mittelstandsvereinigung der Union, mit der Spahn eng verbunden ist, unterstützt inzwischen sogar offiziell den anderen Kandidaten: Friedrich Merz.

Wer trotzdem noch daran glauben möchte, dass Jens Spahn auf dem Parteitag in Hamburg eine Chance hat, der sollte in seine Biografie schauen, die im September in den Buchhandel kam. Darin ist detailliert aufgelistet, wie oft Spahn in seiner Karriere Abstimmungserfolge erzielte, die ihm zuvor keiner zugetraut hatte.

Mit 22 jüngster direkt gewählter Abgeordneter

Das fängt schon an, als der Münsterländer vor der Bundestagswahl 2002 Direktkandidat in seinem Wahlkreis werden will. Du hast keine Chance, sagen ihm die Parteifreunde, jetzt sind erst mal andere dran, du hast doch noch ein paar Jahre Zeit. Was macht Spahn? Tritt trotzdem an, telefoniert CDU-Mitglieder ab, überzeugt auch noch seine Freunde vom Stammtisch „Hau wech“ zum Eintritt in den Ortsverband. Auf der Nominierungsveranstaltung hält er eine mitreißende Rede. Kurz darauf ist er mit 22 Jahren der bis dato jüngste direkt gewählte Abgeordnete überhaupt.

So läuft es immer wieder: Mit 25 Jahren geht Spahn vermeintlich chancenlos in eine Kampfkandidatur um den CDU-Kreisvorsitz – und gewinnt. Später kandidiert er gegen den Willen der Parteispitze für das Bundespräsidium – und siegt in der Kampfabstimmung gegen den damaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Vor zwei Jahren wirbt er auf dem Parteitag für einen Antrag der Jungen Union, doppelte Staatsbürgerschaften seltener zu verleihen – und überzeugt die Delegierten wieder, sehr zum Unmut der Kanzlerin.

Typisch Spahn: Er stellt sich nicht hinten an, wenn er etwas will, sondern greift einfach zu. Und wenn er dafür meutern muss, wenn es mal wieder knallt und spritzt? Kein Problem. Macht ihm wahrscheinlich sogar Spaß.

Das heißt nicht, dass er nur die Arschbombe kann. Den sauberen Köpfer, elegant ausgeführt, ohne einen Spritzer, den hat er schon auch drauf. Zum Beispiel neun Stunden vor seinem Termin in Halle; am Donnerstagmorgen, als der Bundestag über den Haushalt des Gesundheitsministeriums diskutiert.

Auftritt des Gesundheitsministers am Rednerpult. Jens Spahn attackiert zunächst die Abgeordnete der AfD, die vor ihm gesprochen hat – über die Behandlungskosten von Flüchtlingen und die HIV-Quote unter Asylsuchenden. Die AfD interessiere sich gar nicht fürs Gesundheitswesen, sagt der Minister jetzt, sondern rede immer „als Erstes nur über Flüchtlinge“. Das klingt zunächst lustig, weil Jens Spahn ja selbst sehr gerne über Flüchtlinge spricht. Aber tatsächlich gibt es bei ihm ja noch mehr als das.

Als Fachpolitiker ist Spahn geschätzt

In den nächsten Minuten zählt Spahn auf, was er in seiner kurzen Amtszeit als Gesundheitsminister schon alles angepackt hat: die Senkung der Kassenbeiträge für Arbeitnehmer, die neuen Stellen in der Pflege, die elektronische Patientenakte. Für manches lobt ihn inzwischen sogar die Opposition. Der Koalitionspartner ist erst recht zufrieden.

Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach arbeitet im Gesundheitsbereich seit 15 Jahren mit Spahn zusammen. Freunde sind die beiden wahrlich nicht, aber als sie in den Koalitionsgesprächen 2013 die Gesundheitspolitik verhandeln, läuft das so glatt, dass ihr Kapitel als erstes des ganzen Koalitionsvertrags fertig wird. Seit Spahn Minister ist, haben er und Lauterbach fast täglich miteinander zu tun.

„Als Fachpolitiker ist er hoch-professionell, spezialisiert, immer gut vorbereitet“, sagt der Sozialdemokrat. Der Koalitionsvertrag trage im Gesundheitsbereich die Handschrift der SPD, trotzdem setze Spahn ihn „ohne Tricksereien und Blockaden um, so effizient wie kein anderer Unionsminister“. Auch das Ministeramt nutze Spahn zwar am liebsten zur Eigen-PR. Manchen Gesetzesentwurf schicke sein Haus zunächst an die Medien und erst dann an den Koalitionspartner. Aber solange das Ergebnis stimmt, ist es Lauterbach recht.

Auch den Kontakt zu politischen Gegnern scheut Spahn nicht. Mit den Grünen verbindet ihn inhaltlich wenig, trotzdem will er den Kontakt aufrechterhalten, nachdem 2013 die schwarz-grünen Sondierungen scheitern. Er gründet einen Gesprächskreis: Alle drei Monate treffen sich fortan Abgeordnete beider Parteien im Restaurant Simon, einem Italiener in Berlin-Mitte. Bei Pasta diskutieren sie über wechselnde Themen von Migration bis Landwirtschaft.

Meister der Provokation ist er auch

Harmonisch laufen die Gespräche aber selten ab. Der Kreis soll keine Kuschelgruppe sein, in der sich liberale CDUler und grüne Realos die Treue schwören. Ganz bewusst sind Teilnehmer aus allen Parteiflügeln eingeladen, auch Linksgrüne und Hardliner aus der CSU. Bei vielen Themen liegen sie quer zueinander, manchmal schreien sie sich regelrecht an. Falls doch mal ein Konsens droht, meldet sich Spahn selbst zu Wort und wirft eine steile These in den Raum.

„Man hatte immer das Gefühl, dass es ihm dabei weniger um die Sache geht als um die Lust an der Provokation“, sagt jemand, der regelmäßig dabei war. Irgendwann reicht es den ersten Grünen. Sie sagen: Solange der Spahn kommt, gehe ich da nicht mehr hin.

Was soll’s. Um CDU-Chef zu werden, muss Spahn ja nicht bei den Grünen punkten, sondern bei den eigenen Leuten. Bei denen in Halle zum Beispiel.

Was die Basis hier will und was nicht, wird während der Kandidatenvorstellung bei Butterbrezeln und Mineralwasser schnell klar. Ein Zuhörer will von den drei Bewerbern wissen, wie schnell sie die „nach links-grün driftende Politik einer Frau Merkel“ stoppen werden. Ein anderer Fragesteller stellt sich als Ulrich Sauer vor – „nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem Ehemann der Kanzlerin“, darauf legt er Wert. Drei Stunden dauert die Veranstaltung. Mehr als zwei vergehen bis zur ersten Frage, die nichts mit Migranten zu tun hat.

Liefe alles wie geplant, wäre das für Spahn ein Heimspiel. Geplant war, dass er irgendwann gegen Annegret Kramp-Karrenbauer um die Merkel-Nachfolge kandidiert. Sie wäre als Vertraute der Kanzlerin gekommen, er hätte als Hardliner punkten können. Die Sache mit dem Migrationspakt kommt in Halle gut an.

Blöderweise kommt Friedrich Merz, mit dessen Kandidatur Spahn vorab nicht gerechnet hatte, noch besser an. Am Vorabend hat der 63-Jährige die Zukunft des Grundrechts auf Asyl „in dieser Form“ infrage gestellt. Dass er dafür in den Zeitungen verrissen wurde, weil seine Forderung in sich nicht schlüssig war, kommt ihm gerade recht, denn jetzt kann er nachlegen: Dem „ein oder anderen Journalisten“, den das Thema überfordere, könne er die Sache gerne „auch noch mal in Ruhe erklären“. Applaus in der Halle. Gegen Ausländer und gegen die Presse – da ist Merz eine glatte 10 gelungen.

„Ich finde es befreiend, wie wir die Themen wieder breiter diskutieren“, kann Spahn da nur noch sagen. Er wird bald wieder springen, keine Frage. Fürs Erste ist er in seiner Königsdisziplin aber geschlagen.

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