Morddrohungen im Internet: Islamisten verfluchen V-Mann

Irfan P. war Anführer einer Islamistentruppe, dann spähte er für den Verfassungsschutz. Nun wird er in der Dschihadszene als "Verräter" beschimpft – und indirekt mit Mord bedroht.

Werbung für Ussama Bin Laden: Logo der Propagandatruppe GIMF Bild: dpa

BERLIN taz | Der junge Mann trägt Adidas-Schuhe, Modell Samba, dazu eine schwarze Jacke. Um den Kopf hat er ein Palästinensertuch gewickelt, nur seine Augen sind zu sehen. Er nennt sich "Muhammad Omar" und lässt sich in der bayerischen Provinz auf einer Parkbank von einem RTL-Reporter interviewen. Die Deutschen hätten sich mit den USA verbündet und die Muslime in Afghanistan angegriffen, sagt er in die Kamera. "Deswegen darf man auch hier die deutschen Soldaten töten."

Das Video stammt vom November 2007. "Muhammad Omar" trat damals im RTL-Nachtjournal auf als Verantwortlicher der deutschen Sektion der "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF), einer Online-Propagandatruppe, die Videos von al-Qaida übers Netz verbreitete.

Mit echtem Namen heißt er Irfan P. – und hat sich nicht nur für den Dschihad engagiert, sondern irgendwann angefangen, für den Verfassungsschutz die islamistische Szene auszuspähen.

Das Vorbild: Die arabischsprachige Terrorpropagandatruppe "Global Islamic Media Front" (GIMF) wurde nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft spätestens 2004 gegründet. Die bis zu 500 Anhänger halten den Kontakt weitgehend über das Internet. Die Gründung des deutschen Ablegers "Globale Islamische Medienfront" soll etwa 2006 von Österreich ausgegangen sein. Der mutmaßliche Gründer wurde in Wien wegen der Produktion eines Droh-Videos gegen die deutsche und die österreichische Regierung zu vier Jahren Haft verurteilt. Von September 2007 an übernahmen laut der Ermittler Mitglieder aus Deutschland die Führung der GIMF - allen voran Irfan P. aus Weiden in der Oberpfalz.

Die Verhandlung: Seit zwei Wochen müssen sich vor dem Oberlandesgericht München sieben junge Männer und eine Frau im Alter von 18 bis 30 Jahren verantworten, die Mitglieder der deutschen Sektion der Online-Propagandatruppe "Globale Islamische Medienfront" gewesen sein sollen. Die Angeklagten sind durchweg in Deutschland geboren und haben bis auf einen die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Vorwürfe: Die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, von August 2006 bis März 2008 im Internet Propaganda für al-Qaida und Ansar al-Islam verbreitet zu haben. Die GIMF stuft die Anklagebehörde als kriminelle Vereinigung ein. Auf den von deren Mitgliedern hochgeladenen oder verlinkten Videos sollen Übersetzungen der Reden Bin Ladens, Hymnen auf Selbstmordattentäter und Hinrichtungsszenen zu sehen gewesen sein - darunter ein Video, in dem der einstige Anführer des Al-Qaida-Ablegers im Irak, Abu Mussab al-Sarkawi, einen US-Amerikaner köpft.

Die Geständnisse: Von den fünf bisher gehörten Verdächtigen hat einer die Vorwürfe uneingeschränkt zugegeben. Vier räumen die Tätigkeit für die GIMF ein, bestreiten aber, die Unterstützung der Terrororganisationen Al-Qaida und Ansar al-Islam beabsichtigt zu haben. (taz/dpa)

Videocollage im Netz – mit Foto vom V-Mann

Irfan P.s Outing als V-Mann hat für große Aufregung gesorgt – auch unter Islamisten. In deren Foren wird der heute 22-jährige Ex-Anführer der GIMF nun als "Verräter" beschimpft – indirekt wird ihm mit Mord gedroht. Im Netz kursiert eine Videocollage, in der auch ein Foto von Irfan P. zu sehen ist. Er werde nun "von den Muslimen gehasst und von hungrigen Löwen gejagt", heißt es dort. "Ob er nun getötet wird oder auf eine andere Art und Weise stirbt, liegt bei Allah", schreibt ein islamistischer Blogger aus Norddeutschland.

Auf einer anderen dschihadistischen Internetseite heißt es, Irfan P. sei "ein Abtrünniger, wenn er Muslime verraten haben sollte". Auch das kann als indirekte Todesdrohung verstanden werden.

In Sicherheitskreisen heißt es, man habe die Drohungen im Netz registriert und nehme sie ernst. Beim Bundeskriminalamt will man über Schutzmaßnahmen oder eine denkbare Aufnahme P.s in ein Zeugenschutzprogramm nichts sagen.

Irfan P.s irre Geschichte

Die Geschichte von Irfan P. könnte nicht irrer sein. Der junge Mann aus Weiden in der Oberpfalz übernahm nach der Festnahme des bisherigen Chefs Mohamed M. in Österreich am 12. September 2007 die Rolle des Anführers der "deutschen Sektion" der GIMF. Dreieinhalb Jahre später stehen sieben junge Männer und eine Frau, die von so unterschiedlichen Städten wie Bremen, Düsseldorf oder Sankt Augustin aus Propaganda für al-Qaida betrieben haben sollen, in München vor Gericht - nicht aber ihr Ex-Anführer Irfan P. aus der nordbayerischen Provinz.

Der ursprünglich aus Serbien stammende P. hatte von September 2008 an mehrere Monate in U-Haft gesessen, später stellte die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen ihn ein, da P. in der Zwischenzeit wegen eines Überfalls auf einen Handyladen verurteilt worden war und eine weitere Strafe "nicht beträchtlich ins Gewicht" fiele.

Bei dem Prozess in München sorgte einer der Verteidiger nun gleich am zweiten Prozesstag für Aufregung: Er outete Irfan P. als V-Mann - und äußerte den Verdacht, P. habe schon zu seiner Zeit als GIMF-Chef für den Verfassungsschutz gearbeitet, quasi als "Agent Provocateur".

Späheinsatz in der Berliner Islamistenszene

Das weisen jedoch sowohl die Bundesanwaltschaft als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln brüsk zurück. Der Kontakt zwischen Amt und Islamist sei erst nach dessen Zeit in der Propagandatruppe GIMF zustande gekommen, irgendwann im Jahr 2009. Demnach wäre Irfan P. ein Seitenwechsler – aus welchem Grund auch immer.

Mindestens einen Späheinsatz hatte Irfan P. in der islamistischen Szene: Anfang 2010 wohnte er einen Monat lang bei einem Berliner, dem gerade wegen mutmaßlicher Terrorunterstützung der Prozess gemacht wird. In islamistischen Foren wird Irfan P. jetzt als "Ratte" beschimpft, angebliche E-Mail-Adressen und Decknamen werden öffentlich gemacht.

An diesem Donnerstag soll der 22-Jährige nun in München vor dem Oberlandesgericht aussagen – gegen seine früheren Mitstreiter im Kampf gegen die Ungläubigen.

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