Mozilla für Mobiltelefone: „Software ist mächtiger als Gesetze“

Wer Kontrolle über seine Daten hat, kann den Kühlschrank die Milch bestellen lassen, sagt Mozilla-Chefin Mitchell Baker. Sie will eine Ergänzung zum Konsum bieten.

Software. Verdammt mächtig Bild: Benedikt Deicke / photocase.com

taz: Frau Baker, Mozilla ist mit seinem Internetbrowser Firefox populär. Jetzt planen Sie ein Betriebssystem für Mobiltelefone – in Konkurrenz zu den kommerziellen Programmen von Android und Apple. Was hat der Nutzer davon?

Mitchell Baker: Wenn man heute ein Handy kauft, entscheidet man sich nicht nur für das Gerät, sondern noch für einen Haufen anderer Dinge, für das Betriebssystem und das System, mit dem man zahlt oder sich identifiziert.

Warum ist das ein Problem?

Weil der Nutzer nicht die Wahl hat. Ein Beispiel: Wenn wir einkaufen gehen, dann gehen wir manchmal in einen riesigen Supermarkt, weil es bequem ist. Aber manchmal gehen wir auch in einen Spezialitätenladen, weil wir genau eine Sache suchen. Und diese Möglichkeit gibt es bei Mobiltelefonen gerade nicht. Vielleicht will jemand mit einem Android-Telefon nicht, dass Google all seine Zahlungen kennt. Oder alle heruntergeladenen Apps. Das wollen wir anders machen.

Aber nur wer Kundendaten hat, kann damit Geld verdienen.

Es geht heutzutage meist um Profit. Das schafft natürlich auch Innovationen und Fortschritt, aber es ist nicht alles. Denn es gibt mehr im Leben. Es gibt gesellschaftliche Güter, Bürgerbeteiligung, ehrenamtliches Arbeiten, Familienleben, und das ganz ohne Profit. Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, ein Leben zu leben, das Sinn für ihn macht. Da geht es beispielsweise um Teilhabe.

Jahrgang 1957, ist Vorsitzende der Mozilla Foundation. Sie ist im kalifornischen Berkeley aufgewachsen und hat Asienwissenschaften und Jura studiert. 2005 wurde sie vom Time Magazine zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt gewählt.

Wie soll Software denn dazu beitragen, Menschen mehr Teilhabe zu ermöglichen?

Die Idee ist, eine Ergänzung zum Konsum zu bieten. Konsum funktioniert so: Du bekommst, was jemand dir gibt. Aber das muss nicht immer das Richtige sein. Bei Mozilla beispielsweise ist erst einmal alles auf Englisch. Das ist für einen großen Teil der Welt überhaupt nicht zu gebrauchen. Aber wir haben eine sehr aktive Community, aus der die Leute das Programm in ihre Sprache übersetzen.

Das hilft jetzt Mozilla, aber was ändert das für den Nutzer?

Je mehr Offenheit wir haben und je mehr Wahlmöglichkeiten es gibt, desto besser für Nutzer. Software hat sehr viel Macht. Sie ist teilweise mächtiger als ein Gesetz.

Inwiefern?

Vor etwa zehn Jahren hatten 97 Prozent der Nutzer den Internet Explorer von Microsoft auf dem Computer. Fast alle Nutzer hatten also nur Zugang zu Inhalten, die der Internet Explorer angezeigt hat. Natürlich soll ein Browser keine schädlichen Programme durchlassen. Aber es ist sehr einfach, ihn so zu programmieren, dass er etwa Angebote der Konkurrenz draußen lässt. Programme haben also einen unheimlich großen Einfluss auf unser Leben. Deshalb machen wir freie Software. Bei uns kann sich jeder den Code holen und ändern, so wie es ihm gefällt.

Das soll es jetzt also auch für Handys geben. Aber werden wir in 10 oder 15 Jahren überhaupt noch Smartphones nutzen oder nicht eher Smart Watches oder Smart Glasses?

Es wird sich sicher sehr viel verändern bis dahin. Und ich schätze, dass wir ein Mobiltelefon, wie wir es heute kennen, kaum noch nutzen werden. Der Trend geht dahin, dass Computer eine noch viel größere Rolle in unserem Leben spielen werden, als das jetzt schon der Fall ist.

Und zwar?

Es wird viele Geräte geben, die von selbst Informationen sammeln und übertragen, ohne dass der Nutzer sich da aktiv einbringt.

Das klingt wie die Zukunftsvision von Kühlschränken, die automatisch die fehlende Milch nachbestellen.

Ja, genau.

Ist das für Sie ein angenehmer Gedanke?

Absolut. Ich mag die Bequemlichkeit. Es gibt unheimlich viele Situationen im Leben, die Zeit kosten und aufwendig sind und denen wir uns eigentlich nicht mit voller Aufmerksamkeit widmen müssen. Wenn wir die automatisieren können – warum nicht?

Zum Beispiel?

Manchmal macht es Spaß, einkaufen zu gehen und zu kochen. Man wacht morgens auf, denkt über jedes Detail nach und will alles selbst machen. Aber die meisten Tage beginnen doch eher anders. Man steht auf und muss zur Arbeit und die Kinder müssen in die Schule – da ist man nur dabei, das Ganze irgendwie auf die Reihe zu kriegen. Wenn man dann den Kühlschrank öffnet und feststellt, dass kein Frühstück für die Kinder da ist, ist das nicht so lustig.

Aber möglicherweise weiß dann ihr Kühlschrank-Hersteller, wie viel Milch Sie trinken. Stört Sie das nicht?

Die Voraussetzung ist natürlich, dass wir all die Daten, die da ausgetauscht werden, selbst kontrollieren können und entscheiden können, was damit passiert.

Mit der Meinung scheinen Sie in der Minderheit zu sein – gerade im Mobilfunkbereich legen Nutzer bislang nicht sehr viel Wert auf Datenschutz: Sie bezahlen häufig indirekt mit ihren Daten, etwa für eine App.

Ich denke, wir werden ein oder zwei Generationen haben, deren komplettes Leben im Internet abrufbar ist. Aber es wird auch die Zahl der Katastrophen zunehmen, also Fälle, bei denen Existenzen von Menschen Schaden nehmen.

Wodurch?

Beispielsweise durch Gesundheitsdaten.

Also der Arbeitgeber, der jemanden nicht einstellt, weil er weiß, dass der Bewerber in psychiatrischer Behandlung war.

Deshalb denke ich, dass Datenschutz für mehr Menschen wichtig werden wird. Auch wenn privat und geheim nicht unbedingt das Gleiche sein müssen. Es geht vor allem darum, wer die Hoheit über die Daten hat. Und die muss beim Nutzer liegen.

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