Muschelfischer erhalten MSC-Siegel: Öko-Plakette trotz Umweltschäden

Die Muschelfischer in Schleswig-Holstein bekommen das MSC-Siegel für nachhaltige Fischerei. Der WWF äußert Kritik an der Auszeichnung.

Werden mit Schleppnetzen gefangen: Miesmuscheln Foto: dpa/Carmen Jaspersen

HAMBURG taz | Begeisterung klingt anders: „Das ist schon ganz okay“, sagt Rainer Borcherding von der Schutzstation Wattenmeer im nordfriesischen Husum. „Wenn die Fischer die Bedingungen denn auch wirklich einhalten“, fügt er hinzu, und es klingt, als wäre er davon nicht vollständig überzeugt. Die Miesmuschelfischer im Schleswig-Holsteinischen Nationalpark Wattenmeer erhalten am heutigen Dienstag das Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) für nachhaltige Fischerei.

Das Siegel steht für umweltverträgliche Fangmethoden (siehe Kasten), aber Borcherding ist nach 30 Jahre dauerndem Konflikt zwischen Naturschützern und Fischern im Nationalpark skeptisch: „Würde uns ja freuen, wenn der Druck endlich was bringt.“

Grundlage ist der „Muschelfrieden“, den Fischereiverbände, Meeresschützer und das schleswig-holsteinische Umweltministerium im Juli 2015 schlossen. Er soll für 15 Jahre die Grundlage der Muschelfischerei im Nationalpark sein und für alle Beteiligten Planungs- und Rechtssicherheit bieten. Alle Seiten seien „über ihre Schatten gesprungen, um den verhärteten Konflikt beizulegen“, sagte damals der grüne Umweltminister Robert Habeck.

Der Friedensvertrag sieht vor, dass die Fanggründe der Muschelfischer von 2.000 Hektar auf 1.700 Hektar reduziert werden. Auf 250 Hektar davon dürfen Netze installiert werden, an denen sich junge Muscheln ansiedeln und aufwachsen können, bis sie auf die Kulturfläche gebracht werden. Die Fischerei auf wild lebende Muscheln wird dafür auf vier Bereiche außerhalb der besonders geschützten Kernzonen 1 und 2 des Nationalparks beschränkt. An natürlichen Riffen darf gar nicht mehr gefischt werden.

Der Marine Stewardship Council (MSC) wurde 1997 vom Unilever-Konzern und der Umweltstiftung WWF gegründet. Seit 1999 ist er unabhängig. Er finanziert sich über Lizenzgebühren für die Siegel-Benutzung und Spenden.

Das Siegel, ein stilisierter Fisch in einem blauen Oval, kennzeichnet Produkte aus nachhaltiger Fischerei. Im deutschsprachigen Raum gibt es im Handel rund 8.000 Fischprodukte mit dem Siegel zu kaufen.

Weltweit sind etwa zwölf Prozent der Fangmenge MSC-zertifiziert.

Greenpeace kritisiert, das MSC-Siegel werde nach zu laschen Standards vergeben.

Schleppnetze schädigen Biotope

Dieser Punkt war besonders heikel, denn Muscheln siedeln sich nun mal auf Riffen oder Steinen an – und über die Frage, ab wann ein Stein ein Riff ist, wurde hinlänglich gestritten. Denn ein Großteil der Muscheln wird mit Schleppnetzen gefangen, die auf dem Meeresboden und an Steinformationen weitflächig ganze Biotope samt Seesternen oder Krebsen schädigen.

Die Zustimmung zum „Muschelfrieden“ sei nicht leicht gefallen, räumte Peter Ewaldsen von der Erzeugergemeinschaft der Muschelfischer ein. 2013 hatten diese rund 3.126 Tonnen erwirtschaftet und etwa 6,7 Millionen Euro Erlöse erzielt. „Nicht auskömmlich“, hieß es von der Erzeugergemeinschaft, aber es gebe Hoffnung auf ökologisch wie ökonomisch bessere Zeiten.

Und die sollen nun offiziell heute anbrechen, wenn im Gästehaus der Landesregierung in Kiel der MSC Deutschland die Muschelfischern im nördlichsten Bundesland mit dem blauen Siegel auszeichnet. MSC und Umweltministerium wollen sich vor diesem Pressetermin nicht äußern.

Auskunftsfreudiger ist Hans-Ulrich Rösner. Die mit den Fischer getroffene Vereinbarung sei „ein saurer Apfel“, findet der Leiter des Wattenmeerbüros der Umweltstiftung WWF in Husum. Zwar habe er die Hoffnung, „dass jetzt wieder mehr Muschelbänke heranwachsen“, dennoch gebe es im Nationalpark noch immer nicht genug nutzungsfreie Schutzzonen. „Der MSC versteht nicht“, so Rösners Kritik an der Organisation, zu deren Gründern der WWF zählt, „dass Nachhaltigkeit als Prinzip in Schutzgebieten höher zu bewerten ist als außerhalb.“ Deshalb seien Fischerei und Nationalpark Widersprüche.

Das zeige sich besonders eklatant im niedersächsischen Nationalpark Wattenmeer, wo die Muschelfischerei schon 2013 das MSC-Siegel erhielt. Mit Schleppnetzen würden dort Wildbänke „abrasiert“, kritisiert Borcherding von der Schutzstation Wattenmeer. Noch immer sei die dortige Fischerei nicht auf ihre Vereinbarkeit mit der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU geprüft worden, sagt Rösner, und dürfe dennoch das MSC-Siegel tragen. Dabei werde der 2013 ausgelaufene Bewirtschaftungsplan in Niedersachsen einfach fortgeschrieben, statt eine weitergehende Vereinbarung wie in Schleswig-Holstein zu treffen. „Das wäre das Mindeste“, sagt Rösner.

Mit dem „Muschelfrieden“ im ganz hohen Norden „können wir letztlich leben, die Fischer auch“, sagt Rösner. Niedersachsen aber, sagt Borcherding, „ist peinlich bis dorthinaus“.

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