Musikfestival im HKW: Das Labor der Popkultur

„Wassermusik“ durchquert die popkulturelle Vielstimmigkeit der karibischen Inseln – von Calypso über Reggae bis Merengue.

Eine Musikerin mit Gitarre

Die Marlene Dietrich des Calypso: die in Trinidad aufgewachsene Calypso Rose Foto: Richard Holder

In der Karibik, einem der größten Kreativlabore der Popkultur, haben insbesondere die beiden großen Inseln Kuba und Jamaika Musikgeschichte geschrieben. Das Festival „Wassermusik“ will in diesem Jahr den Blick nun auf jene Regionen der Karibik lenken, die im Schatten dieser popkulturellen Supermächte stehen. Ein Highlight ist dabei der Auftritt von Calypso Rose, der unbestrittenen Königin des Calypso. Die heute 76-jährige hat sich früh in dieser Männerdomäne durchgesetzt und dem Genre seit den 1950er Jahren ihren Stempel aufgedrückt.

Geboren 1940 als eines von elf Geschwistern auf der Insel Tobago und auf den Namen Martha Linda Sandy-Lewis getauft, wuchs sie in einer Zeit auf, die als die goldene Ära des Calypso gilt. Auch wenn ihr Vater als Anführer einer Baptistengemeinde diese Musik für Teufelszeug hielt: Verhindern konnte er nicht, dass seine Tochter ihr verfiel. Im Alter von neun Jahren war sie zu einem Onkel und einer Tante auf die Nachbarinsel Trinidad gezogen.

Die musikalischen Wettkämpfe, bei denen Calyspo-Sänger in zunächst nur für den Straßenkarneval errichteten Zelten gegeneinander antraten, faszinierten sie früh. Mit 15 schrieb sie ihren ersten Calypso-Song – nachdem sie beobachtet hatte, wie ein Dieb einer Frau die Brille von der Nase gestohlen hatte.

Der Calypso gründet auf launigen Liedern mit oft doppelbödigen Texten. Musikalisch ist er eine Promenadenmischung aus den Gesangstraditionen afrikanischer Sklaven und europäischer Salonmusik. Der Name geht wohl auf das Wort „Kaiso“ zurück, das aus der Sprache der westafrikanischen Hausa stammt und so viel wie „Bravo!“ bedeutet: Mit diesem Ruf wurden die frühen Calypso-Sänger angespornt.

Wassermusik: HKW, John-Foster-Dulles-Allee 10, 8. bis 30. 7., 18/8 €Programm unter: www.hkw.de

Sie sahen sich nicht bloß als Unterhalter, sondern ersetzten für ihr oft des Lesens unkundiges Publikum die Zeitung, indem sie aktuelle Ereignisse aufgriffen und in Versform brachten. Der Calypso war in seiner Anfangszeit das alternative Medium, als das HipHop in den USA mit der Metapher vom „schwarzen CNN“ erst viele Jahre später bezeichnet werden sollte.

Während des Zweiten Weltkriegs war Trinidad der größte Militärstützpunkt in der Karibik und spielte eine zentrale Rolle im U-Boot-Krieg der Alliierten. Über die dort stationierten Matrosen sprang der Calypso-Funke auf die USA über und sorgte für einen Hype. Anfang 1945, zum Ende des Krieges, landeten die Andrews Sisters mit „Rum and Coca-Cola“, einem Plagiat zweier Calypso-Hits von Lord Infamer, einen Millio­nenseller.

Ein weiterer Welterfolg gelang später dem Sänger und Schauspieler Harry Belafonte 1956 mit dem Album „Calypso“, das sich als erster Longplayer mehr als eine Million Mal verkaufte und seinen „Banana Boat Song“ enthielt. Später nahm der Schauspieler Robert Mitchum das Album „Calypso – is like so . . .“ als Hommage an das Genre auf.

Der Calypso war für die Karibik, was Hip-Hop für die USA war, ein „schwarzes CNN“

Trinidad und Tobago erlangten 1958 die Unabhängigkeit von der britischen Krone, was auch zu einer Politisierung des Calypso führte. Als Troubadoure und Moritatensänger fassten die Calypso-Sänger auch heiße Eisen wie Korruption, Ausbeutung und Prostitution an.

Dem unverblümten Sexismus manch ihrer Kollegen setzte Calypso Queen eine weibliche Sichtweise entgegen. Mit Erfolg: Sie war die erste Frau, die 1977 beim „Trinidad Road March“ gewann, dem wichtigsten der Wettbewerb der Insel; der Ehrentitel des Calypso-Kings wurde ihretwegen in den genderneutralen „Calypso Monarch“ umbenannt.

In den 70ern bewirkte sie sogar eine Gesetzesänderung: Weil sie in ihrem Song „No Madame“ den Hungerlohn für Hausangestellte anprangerte, wurde auf Trinidad und Tobago ein Mindestlohn eingeführt. In den 1980er Jahren zog Calypso Rose nach New York. In ihrer Heimat wird sie bis heute als Nationalheldin verehrt. Über 800 Songs und mehr als 20 Alben hat sie aufgenommen.

Zuletzt erschien „Far from Home“, auf dem sie die üblichen Themen besingt: Im Song „Abatina“ wendet sie sich gegen häusliche Gewalt, und in dem Stück „I Am African“ feiert sie ihre Abstammung vom afrikanischen Kontinent. Als Produzent stand ihr nicht zuletzt Manu Chao zur Seite, der einige Lieder mit seinem typischen Reggae-Flow unterlegt hat; auf drei Songs begleitet er sie sogar im Duett.

Das Wassermusik-Festival schlägt einen künstlerischen Bogen quer durch das Archipel, von Trinidad über Guadeloupe bis St. Lucia und Providencia zu den Küsten von Venezuela, Kolumbien und Mexiko, zu Me­ren­gue und Mambo, Rapso und Reggaeton. Neben der Königin des Calypso treten weitere Koryphäen der Karibik auf, darunter gleich zur Eröffnung der Ska-Pionier Ernest Ranglin mit fantastischen Begleitern.

Beim Open-Air-Filmprogramm auf der Dachterasse werden Klassiker wie „The Harder They Come“ (1972) gezeigt, der erste in Jamaika produzierte Spielfilm mit einem von ­Hauptdarsteller Jimmy Cliff und Desmond Dekker geprägten Soundtrack, und Dokumentationen wie „The Lioness of the ­Jungle“ über Calypso Rose, die 2011 in Cannes Premiere feierte.

Zwei Literaturabende runden den Cocktail ab: Sie widmen sich den französischsprachigen Inseln Haiti und Martinique und dem, was der Philosoph ­Edouard Glissant als „Creolité“ bezeichnete: eine Poetik der Vielstimmigkeit, die auch die Musikstile dieser Region auszeichnet.

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