Muslimische Blogger in Deutschland: Live aus der Parallelgesellschaft

Sie sind jung, gut ausgebildet und wollen nicht jedes Medien-Urteil über ihre Werte akzeptieren: Immer mehr deutsche Muslime bloggen – aus unterschiedlichen Gründen.

Grün symbolisiert unter anderem den Islam. Bild: timlewisnm – Lizenz: CC-BY-SA

"Schlimmer noch als Thilo Sarrazin" hat Omar Abo-Namous seinen Beitrag auf betitelt. "Live aus der Parallelgesellschaft" heißt das Motto dieses "krümeligen Weblogs"; Abo-Namous kommentiert hier, wie er im Büro mit Sarrazins kruden Thesen zur Migration belästigt wird.

"Gestern Morgen versüßte mir ein netter Mitarbeiter die Ankunft am Institut mit der Bemerkung, ich sei sicherlich genervt, da ich gestern Thilo Sarrazin bei ,Beckmann' gesehen hätte", schreibt Abo-Namous: "Nein, habe ich nicht. Ich habe randwärtig gehört, dass es eine solche Diskussion gab, aber die Sendung habe ich nicht gesehen. Der Mitarbeiter grinste und meinte mir unterstellen zu müssen, dass ich ja beleidigt sei. Nein, bin ich nicht. Warum denn auch?"

Auch auf der Online-Plattform MyUmma.de - Untertitel "Netzwerk aktiver Muslime. Pool für Konzepte,my Muslimische Islamische, Veranstaltung, Community, Plattform" - einer Mischung aus Xing und StudiVZ, wollen junge Muslime vor allem miteinander in Kontakt treten und ihre Projekte bewerben.

Doch wer hier die ganz großen Unterschiede wittert, irrt: Natürlich bloggen alle aus ganz unterschiedlichen Beweggründen. Allerdings sind es die gleichen Fragen und Diskussionen zu Politik, Technik, Gesellschaft und Zukunft, wie man sie auch in nicht muslimischen Blogs findet. Die Übergänge zwischen religiösen und beruflichen Themen sind fließend, Gemeinsamkeiten mit Nichtmuslimen werden betont - und genau das macht diese Blogs zu Vorreitern der islamischen Gesellschaft.

"Sie fordern Gleichberechtigung und Neutralität", sagt Götz Nordbruch, Islamwissenschaftler und Experte für das Medienverhalten von jugendlichen Migranten in Deutschland. Dabei sei natürlich auch ein Beweggrund, nicht jedes mediale Urteil über die eigenen Wertvorstellungen unwidersprochen über sich ergehen lassen zu müssen. Der Boom der Blogs seit zwei, drei Jahren und auch die steigende Nutzung von sozialen Netzwerken durch junge Muslime resultiert aus dem Bedürfnis, Teil eben dieser Gesellschaft sein zu wollen, in der man sich immer noch erklären muss. Und das, obwohl man hier geboren und aufgewachsen ist.

Das Phänomen ist Teil einer Bewegung, die von Julia Gerlach in ihrem Buch "Zwischen Pop und Dschihad: Muslimische Jugendliche in Deutschland" zwar einen nicht übermäßig originellen Namen - "Pop-Islam" - erhalten hat, aber eben auch jede Menge Aufmerksamkeit.

Selbstbild diskutieren

"Wir haben unterschiedliche Botschaften und wollen zwischen den verschiedenen Lagern Frieden stiften. Vermitteln, dass der Islam nicht mit Gewalt und Frauenfeindlichkeit gleichzusetzen ist", sagt auch die Bloggerin und taz-Kolumnistin Kübra Yücel. Sie will mit ihrem Blog "das fremdwoerterbuch" aus dem Alltag als junge Migrantin berichten und den gängigen Vorurteilen über Kopftuch und Islam mit Humor entgegentreten.

Toomuchcookies-Betreiber Omar Abo-Namous schätzt beim Bloggen die Freiheit, seine Gedanken "einfach runterschreiben" zu können. Er stellt das Selbstverständnis von Muslimen, muslimischen Verbänden und deren interne Debatten in den virtuellen Raum. Die so selbstbewusst wie auch selbstverständlich vorgetragene Botschaft, sehr wohl mit seiner Herkunft, Religion und der modernen Lebenswelt in Deutschland im Einklang leben zu können, füllt eine lang ignorierte Lücke in der Diskussion über Integration, Fremd- und Selbstbild.

Bei all den feinen Unterschieden gibt es zwei große Gemeinsamkeiten: Zum einen ist das Bildungsniveau unter den deutschen, muslimischen Bloggern überdurchschnittlich hoch. Sie sind jung, erfolgreich, ehrgeizig - zumeist Gymnasiasten, Studierende oder junge Unternehmer, die sich auch über ihre Netzaktivitäten hinausgehend gesellschaftlich engagieren. Und zum anderen spielen religiöse Themen eine größere Rolle auf den so hipp gehaltenen Seiten. Die Verknüpfung von zum Teil konservativen Ansichten mit modernen und erfolgreichen Lebens- und Berufswelten ist oft ein Thema. "Es ist eben ein Missverständnis, dass moderne Medien religiöse Werte auflösen, es gibt ja auch genug christliche Jugendliche, die sich des Webs 2.0 bedienen, um ihre Anliegen zu formulieren", sagt Nordbruch.

Die Vernetzung untereinander fand bisher nur virtuell oder in ganz kleinem Rahmen statt. Eigene Veranstaltungen der muslimischen Bloggerszene in Deutschland gab es bisher selten. Das soll sich ändern: Neben seinem erfolgreichen Blog hat Omar Abo-Namous den Muslim Blogkarneval eingerichtet. Ziel: die Vernetzung der Blogger untereinander sowie Gebrauchsanweisung und Hilfestellung für Neulinge, die ein eigenes Blog starten wollen. "Der Karneval soll Muslimen die Möglichkeit geben, auch einmal zu Wort zu kommen und zu beschreiben, wie das Leben eines Muslims im deutschen Alltag aussieht", sagt Abo-Namous.

Mehr Vernetzung

Auch Ferit Demir wünscht sich mehr Vernetzung. Er führt eine Medienagentur, die sich speziell mit Marketingmöglichkeiten in sozialen Netzwerken auseinandersetzt. Er will Muslime in Deutschland motivieren, das Internet aktiv als Kommunikationsplattform für ihre Interessen zu nutzen. Deswegen hat er schon 2009 einen eigenen Blogwettbewerb ausgerufen - nur für Migranten und Muslime. Für die anderen, sagt Demir, gäbe es ohnehin genug Angebote.

Aus einem Hirngespinst geboren ist die Vernetzungsinitiative "Zahnräder - Netzwerk junger muslimischer Köpfe". Das sagen jedenfalls die Initiatoren selbst, die ihre Idee in nächtlichen Skype-Konferenzen über mehrere Länder verstreut austüftelten. Das erste große Treffen der "Zahnräder" ist für Ende September in Wuppertal geplant, rund 100 TeilnehmerInnen werden erwartet. Gemeinsam wollen sie als "Changemakers" auftreten und sich und die Gesellschaft motivieren: "Junge Muslime haben in Deutschland einfach keine Presse und wissen wenig voneinander. Mit dem Projekt wollen wir auch den Offline-Austausch fördern", sagt Abdulkadir Topal, Mitglied des Gründerteams. Unterstützt wird "Zahnräder" von Cedar, dem European Muslim Professionals Network. Wenn das Projekt Erfolg hat, sollen die Treffen künftig jährlich stattfinden.

Denn mehr Dialog und multimediale Präsenz wirke auch gegen Islamophobie: "Die Hemmschwelle, ihre Botschaften im Netz zu verbreiten, ist für junge Muslime verhältnismäßig hoch, meist aus beruflichen Gründen", so Demir. Während Nichtmuslime mit einem Blog vor allem die eigene virtuelle Reputation stärken wollten, verhalte es sich bei Muslimen genau umgekehrt: "Einige haben richtiggehend Angst, dass ihnen durch Online-Aktivitäten ein beruflicher Nachteil entsteht, daher bleiben sie lieber ohne Identität im Netz. Sie befürchten, dass sie automatisch mit extremistischen Einstellungen in Verbindung gebracht werden, wenn sie im Netz auftauchen." So etwas klingt längst nicht nur nach Pop - auch Götz Nordbruch sagt, das Label "Pop-Islam" sei zwar gut gewesen, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Mittlerweile hat der Begriff für ihn aber viel zu wenig Aussagekraft, um das breite Spektrum der Initiativen und sich engagierenden Personen abzubilden.

"Man interpretiert da totale Homogenität in eine ganze Generation", meinr Nordbruch. Dabei gebe es so viele verschiedene Interessen und Motivationen: "Der Begriff eignet sich daher vielleicht nicht mehr, um dieses Phänomen zu beschreiben - aber das Phänomen ist sicherlich nicht tot." Die breite deutsche Öffentlichkeit reagiere allerdings fast erschrocken auf die Tatsache, dass es sich nicht um eine homogene Gruppe handelt. Von daher kann es gar nicht genug solcher Blogs geben.

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