Muslimische Gemeinschaft in Barcelona: „Der Islam verbietet uns Gewalt“

Die eine singt für die Opfer. Ein anderer fürchtet um das Zusammenleben. Barcelonas muslimische Gemeinschaft ist tief verunsichert.

Eine Frau mit Kopftuch steht in einer Menschenmenge. Sie weint.

Beim Gedenken auf den „Ramblas“ fließen einer jungen Frau Tränen übers Gesicht Foto: ap

BARCELONA taz | Den Entschluss, an dem Ort zu singen, wo sie beinahe ihr Leben verloren hat, fasst Mouna Holoue wenige Stunden nach dem Horror auf den „Ramblas“. Wäre sie nur vier Minuten später die Flaniermeile entlang spaziert, rekonstruiert die 19-Jährige später am Küchentisch mit ihrer Familie, hätte der weiße Lieferwagen vielleicht auch sie erfasst. „Ich muss irgendwas tun“, ist Holoues erster Gedanke, als sie von dem Blutbad erfährt. Bald ist ihr klar: Sie will für die Opfer singen, für Barcelona, für das Leben. An ihre Religion und Nationalität denkt die Muslima mit marokkanischen Wurzeln dabei nicht – zunächst.

Keine 24 Stunden später nähert sich die junge Frau mit den dunklen Locken dem Fonts de Canaletas, einem Brunnen am oberen Ende der Ramblas, an dem sonst Fußballfans des FC Barcelona ihre Siege feiern. Nach der Todesfahrt legen Anwohner und Touristen hier Kuscheltiere, Süßigkeiten, hoffnungsvolle Botschaften nieder. Die Grablichter tauchen ihre Gesichter in rotes Licht. Zu dem Zeitpunkt ist bereits klar: Die Polizei geht von einer 12-köpfigen Terrorzelle aus, der junge Marokkaner angehören, die in Katalonien aufgewachsen sind.

Leute wie auch Mouna Holoue. „Ich bin eine spanische Muslima. Ich lebe und arbeite hier“, sagt Holoue mit lauter Stimme und beginnt, Liedzettel zu verteilen. „Wir müssen mit Musik, mit Liebe auf die Gewalt regieren. Wir haben keine Alternative.“ Dann stimmt sie mit warmer Stimme „We are the World“ an. „There's a choice we're making. We're saving our own lives. It's true we'll make a better day, just you and me.“ Viele Anwesenden fallen mit ein. Nicht nur Holoue hat Tränen in den Augen.

Schmerz über den Missbrauch ihrer Religion begegnet man an diesem Wochenende auch im Altstadtviertel El Raval, das vom Süden direkt an die Ramblas grenzt. In keinem anderen Stadtteil Barcelonas wohnen mehr Ausländer. Viele von ihnen kommen aus Pakistan, Bangladesch – oder aus Marokko. Nach Angaben spanischer Terrorismusexperten ist die Grenzregion zu Frankreich im Nordosten Spaniens eine Islamisten-Hochburg. Fast die Hälfte der insgesamt 186 Verdächtigen, die die spanische Polizei zwischen 2012 und Oktober 2016 festgenommen hat, hielt sich in Katalonien auf. Herkunftsstaat Nummer eins: Marokko.

Sich den Fantasien entgegen stellen
Tarik El Khayat

„Was diese Kinder da gemacht haben, gefährdet unser Zusammenleben“

Das macht auch Barcelona zum Sicherheitsproblem: 122.000 Marokkaner wohnen hier, viele von ihnen in El Raval. Der Madrider Terrorexperte Luis de la Corte hat das Viertel mit dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek verglichen, der als Brutstätte des radikalen Islam in Belgien gilt. Auch in Raval, so de la Corte, könnten sich Dschihadisten ohne Schwierigkeiten bewegen, sei die Überwachung durch Sicherheitskräfte schwierig bis unmöglich. Ein Zustand, der die pauschale Islamkritik befördert. Am Freitag kommt es auf der Plaça de Catalunya zu ersten Handgreiflichkeiten zwischen Bürgern, die sich ein „christliches Spanien ohne Muslime“ wünschen, und solchen, die sich dieser Fantasie entgegenstellen.

Im marokkanischen Restaurant Rincón del Raval ist die Stimmung gedrückt. Es ist Samstagabend, im Fernsehen laufen Eilmeldungen über den „Imam von Ripoll“, Abdelbaki Es Satty, den mutmaßlichen Kopf der Terrorzelle. Der Marokkaner Tarik El Khayat hat sich gerade Couscous mit Hühnchenfleisch bestellt und mit dem Rücken zum Fernseher gesetzt. Er seufzt: „Ich wohne seit 18 Jahren in Barcelona. Was diese Kinder da gemacht haben, gefährdet unser Zusammenleben.“

So wie der 34-jährige Tarik El Khayat, die mit Kleidern handelt und drei kleine Töchter hat, sprechen viele Muslime in El Raval über die Attentäter von Barcelona und Cambrils. Es sind Kinder, denen man den Kopf gewaschen habe, die zu viel Playstation gespielt hätten. Und immer wieder hört man: Das sind Muslime, die keine Ahnung vom Islam haben.

„Der Islam verbietet uns Gewalt“, sagt Abdul Khurm, Besitzer eines Internetcafés an der Gran Via de les Corts Catalanes, einer der zentralen Straßen Barcelonas. „Allah gebietet uns, Respekt vor jeder Person zu haben.“ Khurm kennt die Gräueltaten radikaler Islamisten aus seiner Heimat Pakistan. Auch er befürchtet: Weitere Anschläge könnten den Frieden zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in der weltoffenen Metropole gefährden.

„Der Islam lehrt das nicht“

Doch wie wahrscheinlich ist das? „Vor einem islamistischen Anschlag in Barcelona warne ich seit Jahren“, sagt Mohammed Chaib. „Dass die Attentäter hier aufgewachsen sind und unter unserer Nase radikalisiert haben, hätte ich so aber nicht für möglich gehalten.“ Chaib ist seit 1994 Direktor der Stiftung Ibn Battuta in Barcelona, die muslimische und speziell marokkanische Einwanderer integrieren will. Er gilt als Kenner der Szene. Weitere Anschläge hält er für wahrscheinlich: „Wir haben zwölf Moscheen in der Stadt. Nicht bei allen ist mir klar, wer da was lehrt“, sagt Chaib. Unter diesen Vorzeichen können auch die Sicherheitsbehörden kaum einen Anschlag vereiteln. Sein Lösungsansatz: gleiche Bildungs- und Ausbildungschancen für Migrantenkinder schaffen – und den Dialog suchen.

45 muslimische Verbände aus ganz Katalonien haben ihre Mitglieder aufgefordert, am Montagabend auf der Plaça de Catalunya gegen den Terror zu demonstrieren. Bereits am späten Sonntagabend wollten sich dort Muslime unter dem Motto „No en mi nombre“ – nicht in meinem Namen – einfinden. Mit diesen Worten haben 40 Familienangehörige der jungen Terroristen deren Taten verurteilt. Die Mutter des noch flüchtigen Hauptverdächtigen des Attentats von Barcelona fordert ihren Sohn zur Aufgabe auf: „Ich will nicht, dass sie andere umbringen. Der Islam lehrt das nicht.“

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