NS-Live-Adventure in London: Flucht als Rätselspiel

In „Fluchtplan, das Abenteuer beginnt“ schlüpft man in die Rolle eines Kriegsgefangenen. Ziel ist es, aus einem NS-Lager zu entkommen.

Kulisse eines Zimmers im NS-Kriegsgefangenenlager

Geschichte fühlen: Stellen Sie sich vor, Sie wären im Kriegsgefangenenlager und planten einen Ausbruch. Foto: Daniel Zylbersztajn

LONDON taz | Mit einem Etagenbett, Unterhosen auf der Wäscheleine und weiteren Utensilien aus den 1940er Jahren samt einem Lagersoundtrack im Hintergrund will eine englische Firma bis zu sechs Personen das Gefühl vermitteln, in einem Kriegsgefangenenlager des Dritten Reiches zu stecken. Die Gruppe erhält das hinterlassene Tagebuch eines Entflohenen und soll, so das Ziel des Spiels, innerhalb einer Stunde aus dem Lager fliehen. Dieses neue Abenteuerspiel, Idee der Londoner Firma Escape Plan, verspricht hierbei „Spaß in authentischem Zweiter-Weltkriegs-Ambiente für Freunde und Familie oder zum Teamaufbau”.

Die Erinnerung an einen der beliebtesten Filme in Großbritannien, „The Great Escape” (1963, deutsch „Gesprengte Ketten“), liegt nahe. Dieser beruhte auf den Geschichten tatsächlicher Fluchtversuche aus dem Kriegsgefangenenlager Stalag Luft III, heute nahe der Stadt Żagań in Polen. Hier gelang einigen Gefangenen 1943 und 1944 die Flucht durch Tunnel, die nur durch den Zusammenhalt und den Einfallsreichtum vieler Gefangener hatten entstehen können.

Als 76 Gefangene in einer einzigen Nacht 1944 die Flucht versuchten, konnten nur drei von ihnen entkommen, während die anderen wieder aufgespürt wurden. 50 von ihnen wurden daraufhin widerrechtlich hingerichtet. Computerspiele und kleine Film-und-Fernseh-Szenen, zuletzt sogar im Kinderfilm Shaun das Schaf, bezeugen die ungebrochene Popularität des Filmklassikers.

Das Erlebnisspiel zu diesem Thema beginnt in einer viktorianischen Südlondoner Gasse. Man geht eine hölzerne Treppe hinauf und wird von den Gründern und Firmeninhabern, dem Ehepaar Kerry und Brendan Mills, freundlich empfangen. Nach einer kurzen Einführung geht es mit Walkie-Talkie und dem alten Tagebuch in das nachgebaute Barackenzimmer. Verschiedene Gegenstände im Raum sind mit Kombinationsschlössern versehen, und nun muss man erraten, welche Codes die Truhen und Schatullen öffnen, um weitere Hinweise zu erhalten.

Mit etwas Spielerfolg öffnet sich die Tür in den zweiten Raum, das Büro des Lagerkommandanten. Hier wird zwar in einem Rätsel einer der ehemaligen Fluchttunnel in Stalag Luft III erwähnt, mehr aber nicht. Ist das Team gut, schafft es die „Flucht“ aus dem Lager. Die Spielszenen sollen der Anfang einer Serie sein, erklären Kerry und Brendan Mills, das durchaus später auch auf größerem Gelände angeboten werden kann und vielleicht sogar von Schulklassen gespielt wird.

Frei von Angst

Wichtig ist ihnen, dass die Abenteuer stets frei von Angst sind. Die tatsächliche Geschichte glauben sie später in der Lobby zugänglicher machen zu können. Einen Modellnachbau Stalags Luft III haben sie bereits gekauft. Auch sehen sie durchaus eine mögliche Zusammenarbeit mit Museen und Gedenkstätten.

Keiner dürfte hierfür besser geeignet sein als Marek Lazarz, der das „Museum des Märtyrertums der Kriegsgefangenen“ in Żagań leitet, das die Erinnerung an Stalag Luft III wachhält. Er befürwortet Versuche, Geschichte spielerisch zu vermitteln, wenn man dabei nah an den wahren Ereignissen bleibe. Brendan Mills glaubt jedoch, dass Kompromisse mit der Authentizität akzeptabel seien, um ein besseres Spielvergnügen zu erreichen.

Aber mit dem, was die Gefangenen in Stalag Luft III geleistet haben, gäbe es eigentlich eine Menge wirklichkeitsnaher Herausforderungen: etwa wie man mit wenigen vorhandenen Gegenständen improvisiert oder wie man gefälschte Papiere herstellt, Wachen ablenkt oder besticht. Dass sich das Spiel „Escape Plan“ auf herkömmliche Rätsel für Nummernschlösser beschränkt, ist trotz der vielen zeitgetreuen und originalen Gegenstände enttäuschend.

Ein verbesserter Ausbau des Konzepts könnte durchaus zum Lernen und Erfahren der Geschichte des Zweiten Weltkriegs beitragen. Escape Plan müsste dazu nur die Biografien der Prisoners of War genauer studieren, Lager und Gedenkstätten besuchen und sich von Historikern beraten lassen. Notwendig ist das allein schon zur würdevollen Erinnerung an jene, die solche Lager in Wirklichkeit durchlitten haben.

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