NSU-Prozess: Die Meisterin im Verdrängen

Stundenlang saßen Ermittler des BKA mit Beate Zschäpe im Auto. Man sprach über Anwälte und Bratwürste – aber nie über die Vergangenheit.

Über ihn soll Zschäpe gesagt haben, er habe immer die gleiche Meinung wie Anwalt Heer: Anwalt Stahl. Bild: dpa

MÜNCHEN taz Kein Wort hat Beate Zschäpe bislang in NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht gesprochen. Nicht mal ihren Namen sagte die mutmaßliche Rechtsterroristin zu Beginn der Verhandlung. Auch gegenüber der Polizei hat sie nie ausgesagt – obwohl diese sich offenbar größte Mühe gab, die 38-Jährige zum Reden zu bringen.

Zwei Mal vier Stunden verbrachte ein Ermittler des Bundeskriminalamts gemeinsam mit Zschäpe im Juni 2012 in einem VW-Bus der Bundespolizei. Der Inhaftierten war ein Besuch von der Mutter und der kranken Großmutter genehmigt worden. Dazu musste Zschäpe von der JVA in Köln in ein Gefängnis nach Gera gebracht werden. Der Erste Hauptkommisar begleitete sie gemeinsam mit einer Kollegin auf der Fahrt.

Rein zufällig, wie er betont, habe der Ermittler ein beiläufiges Gespräch über die Insel Fehmarn begonnen. Auf der Ostseeinsel soll Zschäpe gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mehrfach im Urlaub gewesen sein, während das Trio bereits im Untergrund lebte.

Doch Zschäpe ließ sich nicht auf das Thema ein: „Wer sagt denn, dass ich schon mal auf Fehrmann war“, habe sie geantwortet, berichtete der Polizist.

Entschuldigung bei Großmutter

Dass dieser Gesprächsbeginn wirklich zufällig war, wollten Zschäpes Verteidiger vor Gericht nicht so recht glauben und fragten am Mittwoch immer wieder nach. „Ich war vor über zehn Jahren mehrfach dort im Urlaub und wollte wissen, was Frau Zschäpe dazu sagt“, erklärte der BKA-Beamte. Für die Verteidigung ist das entscheidend, hatte sie doch vor der Fahrt schriftlich darauf hingewiesen, dass es im Wagen keine Vernehmung Zschäpes geben dürfe, weil die Mandantin keine Angaben machen wolle.

Den Ausführungen des Beamten zufolge ist das vor allem der Wunsch der Verteidiger. Auf der Fahrt habe Zschäpe erklärt, eigentlich aussagen zu wollen. „Sie wollte das eigentlich, insbesondere als es ihrer Großmutter schlecht ging, um sich bei ihrer Großmutter zu entschuldigen“, sagte der Polizist. Dazu sei ihr jedoch von Wolfgang Heer, ihrem Rechtsanwalt, abgeraten worden. Wenn sie aussage, mache sie das vollständig und umfassend, soll die an Füßen und Händen gefesselte Zschäpe darüber hinaus erklärt haben. Sie sei niemand, der nicht zu seinen Taten stehe.

Regelrecht beklagt haben soll sich Zschäpe über ihren Rechtsanwalt, berichtete der Beamte. Dieser habe Zschäpes Mutter angeblich zu einem Interview im ARD-Politmagazin Panorama überreden wollen. Und auch darüber, wie schnell Details aus der Anklageschrift in den Medien, namentlich der Süddeutschen Zeitung, aufgetaucht seien, habe sie sich empört. Angeblich habe man ihr von der SZ ein kostenloses Abonnement angeboten, berichtete der Beamte.

Kein Vertrauen

Über den zweiten Verteidiger Wolfgang Stahl habe sie gesagt, „der hätte immer die gleiche Meinung wie Herr Heer, und darum sei sie ganz froh, sich mal mit uns zu unterhalten“, berichtete der Beamte. Die Verteidigung wertete dies als Versuch des Beamten das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant zu zerstören. „Es gab zu dem Zeitpunkt kein Vertrauensverhältnis“, erwiderte der Polizist. „Das hat Frau Zschäpe klar zum Ausdruck gebracht.“

Der Ermittler riet der Inhaftierten im Wagen sofort dazu, noch einmal über eine Aussage nachzudenken, um ein mögliches Strafmaß zu mildern. Zschäpe wird die Mittäterschaft an allen Terroranschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) vorgeworfen, darunter zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge. Dass ihr eine Aussage aber tatsächlich zum Vorteil gereiche, soll Zschäpe bezweifelt haben, so der Polizist. Wörtlich habe sie gesagt: „So einen Fall wie mich hat es doch noch nie gegeben.“ Auch in den Akten zu ihrem Fall lese sie nicht gerne, weil sie diese als zu belastend empfinde. Sie sei eine Meisterin im Verdrängen, habe sie dem Polizisten gesagt.

Es sei ein sachliches, aber freundliches Gespräch in angenehmer Atmosphäre gewesen, schilderte der Polizist vor Gericht. „Die Zeit verging wie im Flug.“ Zschäpe habe sich über die kalte Zelle in der JVA beklagt, man habe über Biersorten und Thüringer Bratwürste geplaudert und darüber, wie gerne die mutmaßliche Rechtsterroristin den Kölner Dom besuchen, im Biergarten sitzen und ein Radler trinken würde.

Stets ruhig und sachlich

Zwischendrin startete der BKA-Beamte immer wieder neue Versuche, Zschäpe mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren. Er berichtete ihr von den zahlreichen Asservaten, die man im abgebrannten Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden hatte und in Gera erstanden die Beamten eigenes ein Buch über den NSU, das damals erst kürzlich auf dem Markt erschienen war. Doch Zschäpe sei stets ruhig und sachlich geblieben.

„Ich kannte das Buch nicht“, sagte der Ermittler, als die Verteidigung nach dem Grund für den Kauf fragte. „Ich wollte es mal lesen.“ Schließlich sei es aber Frau Zschäpe gewesen die auf der Rückfahrt eine halbe Stunde darin blätterte. Vor allem habe sie das Kapitel ihrer Flucht gelesen, so der Polizist.

Laut Anklage soll Zschäpe die Wohnung der Zwickauer Terrorzelle angezündet haben, nachdem sich Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 erschossen hatten. Wie der Polizist, der Zschäpe in Jena vernommen hatte, am Dienstag vor Gericht berichtet hatte, sei sie danach vier Tage lang mit der Bahn herumgefahren. Angeblich hatte sie vergeblich versucht, bei Freunden und Bekannten unterzukommen. Doch auch der Versuch, die Beschuldigte mit Hilfe des Buchs zum Reden zu bringen, ging ins Leere. Kommentiert hat Zschäpe das Gelesene nicht.

Nur ein einziges Mal habe die Frau während der Fahrt Emotionen gezeigt, berichtete der Ermittler. Auf dem Weg nach Gera sei man auch an Jena vorbeigefahren. Dort habe der Polizist auf die Plattenbausiedlungen gezeigt und von seinem Treffen mit den Eltern des Verstorbenen Uwe Böhnhardt berichtet. Er habe über den Tod von Böhnhardts älterem Bruder gesprochen und darüber, wie ähnlich Böhnhardt und sein Vater sich sahen. Da habe Zschäpe eine Weile aus dem Fenster auf die Häuser geblickt. „Als sie sich wieder umgedreht hat, meine ich, dass sie ein bisschen feuchte Augen hatte“, sagte der Polizist. „Aber sie hat dann doch nicht gesagt, wie es gewesen ist.“

In Kooperation mit Radio Lora München

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

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■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

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