Nach Grenzübertritten in Ungarn: 10 Jahre Haft für Syrer

Ahmed H. hätte die Grenze zu Ungarn legal passieren können, wollte aber zwischen Polizei und Flüchtlingen vermitteln. Jetzt wird er hart bestraft.

Eine Person klammert sich an die Gitterstäbe des Grenzzauns zu Ungarn

Per Zaun manifestiert: die Grenze zwischen Serbien und Ungarn Foto: ap

SZEGED taz | „Es tut mir sehr leid, wenn ich das Gesetz gebrochen habe. Aber ich fühle mich nicht schuldig. Ich bin kein Terrorist.“ Das waren die letzten Worte des Syrers Ahmed H. bevor ihn ein Gericht im südungarischen Szeged am Mittwochnachmittag zu einer Haftstrafe von 10 Jahren verurteilte.

Es war das letzte und mit Abstand härteste Urteil im Fall der „Röszke 11“. Diese waren aus etwa 5.000 Menschen herausgegriffen worden, die am 16. September 2015 über die serbisch-ungarische Grenze am Übergang Röszke liefen.

Unmittelbar zuvor hatte die ungarische Regierung die „Balkanroute“ an dieser Stelle unterbrochen und den Grenzübergang mit Stacheldraht geschlossen. Am Vortag war ein Gesetz in Kraft getreten, dass für die „illegale Einreise“ nach Ungarn bis zu drei Jahren Haft vorsah.

Die teils seit Monaten fliehenden Menschen konnten in Röszke nicht vor und nicht zurück, die Lage war extrem angespannt. Einige Menschen warfen Steine, Stöcke oder Flaschen auf Beamte. Diese setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, um die Menschen zurück auf die serbische Seite zu drängen. 15 Polizisten und mehr als hundert Flüchtlinge wurden verletzt. Einer Gruppe, darunter Ahmed H., gelang es, ein Tor der Sperranlage einzudrücken. Die Staatsanwaltschaft warf H. vor, „Anführer“ der Flüchtlinge gewesen zu sein, weil er ein Megafon benutzt hatte.

Ahmed H. hätte die Grenze legal überqueren können

Der seitdem inhaftierte Syrer hatte stets bestritten, zu Gewalt aufgerufen oder Polizisten angegriffen zu haben. Sein Anwalt sagte am Mittwoch, H. müsse als „Sündenbock“ herhalten und werde als „Terrorist“ präsentiert.

H. selbst ist kein Flüchtling. Er zog 2006 nach Zypern, heiratete eine Zypriotin und lebte seither in Limassol als Maler. Das Paar hat zwei Töchter, die 5 und 7 Jahre alt sind. Im Sommer 2015 musste H.s Familie aus Idlib nahe Aleppo fliehen. H.s Eltern, ein Bruder, dessen Frau, ihre drei Kinder sowie ein Neffe, verließen die Stadt. In Istanbul stieß H. zu ihnen um sie auf dem Weg nach Europa zu begleiten.

Die Gruppe setzte mit dem Boot über nach Lesbos, mit der Fähre ging es weiter nach Thessaloniki, über Mazedonien und Serbien kamen sie am 16. September in Röszke an. H.s Aufenthaltstitel für Zypern war für die gesamte EU gültig. Anders als seine Familie hätte er die Grenze legal überqueren können. Doch er wollte seinen Vater und seiner teilweise blinden Mutter dabei zu helfen, nach Westeuropa zu gelangen. Seine Frau und seine beiden Töchter haben ihn seither nicht mehr gesehen.

H. sagte am Mittwoch, er sei der einzige in dem Gemenge gewesen, der Arabisch und Englisch sprach. Also habe er zwischen der Polizei und den Flüchtlingen zu vermitteln versucht. Deshalb habe er ein Megafon benutzt. Das Gericht jedoch folgte der Anklage. Die Zusammenstöße mit den ungarischen Grenzpolizisten seien ein „Terrorakt“. Es verurteilte ihn wegen Rädelsführerschaft.

Menschenrechtler fordern Berufung

Der Richterspruch wurde von Menschenrechts- und Flüchtlingsgruppen heftig kritisiert. Der Vizedirektor von Amnesty International Europa, Gauri van Gulik, sprach von einem „eklatanten Missbrauch von Terrorismusbestimmungen“. Die vorgetragenen Beweise seien „unglaublich vage“. Das Gericht folge „einer der schlimmsten derzeit in Europa festzustellenden Tendenzen“: einer übermäßig weit gefassten Definition von „Terrorismus“ und ihres „absurden Gebrauchs“ zur Flüchtlingsabwehr.

H. habe seinen Eltern helfen wollen, an einen sicheren Ort zu gelangen. Steine zu werfen und unregelmäßig in ein Land einzutreten, „stellt keinen Terrorismus dar und kann dieses drakonische Urteil nicht rechtfertigen“, so van Gulik. Das Urteil müsse im Berufungsverfahren aufgehoben werden.

Offenbar soll ein Exempel statuiert werden

Elf offenbar willkürlich heraus gegriffene Personen – die „Röszke 11“ – wurden wegen „illegalen Grenzübertritts“ und „Teilnahme an Massenunruhen“ an jenem Tag angeklagt, unter ihnen Faisal F., ein irakischer Mann im Rollstuhl und die Eltern von H.

Im Juli wurden zehn von ihnen wegen „illegaler Einreise“ zu Haft von ein bis drei Jahren, teils auf Bewährung, verurteilt. H.s Urteil war immer wieder verschoben worden. Nun hatte sich die Orbán-Regierung offenbar entschieden, ein Exempel zu statuieren. Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen haben für Samstag zu einer Demonstration in Budapest aufgerufen.

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