Nach Protesten zurückgezogener Entwurf: Queerpolitisches Gestolpere

Die LGBTI*-Community kritisiert ein Reformvorhaben der Koalition scharf. Die Politik scheint zurückzurudern, aber ausgemacht ist das noch nicht.

Demonstrierende führen eine Regenbogenfahne

Demonstrierende mit einer Regenbogenfahne Foto: reuters

BERLIN taz | Der Satz, der im Kern das Problem ausmacht, ist Artikel 7a: „Die Geschlechtszugehörigkeit einer Person unterliegt dem Recht des Staates, dem die Person angehört.“ Sprich: Es obliegt dem Staatsrecht, welchem sexus seine Bür­ge­r*in­nen – zumindest formell – angehören. Und nicht dem individuellen Empfinden.

Der Satz steht im neuen Gesetzentwurf zur Geschlechtseintragung von inter- und transsexuellen Menschen. Über den hatte das Bundeskabinett eigentlich am Mittwoch beraten wollen. Aber dazu kam es nicht. Der Gesetzentwurf hatte zuvor in der LGTB*-Community für so viel Empörung gesorgt, dass die Bundesminister das Papier wieder vom Tisch genommen haben. Ein Sprecher des Justizministeriums bestätigte am Mittwoch der taz: „Der Punkt stand nicht auf der Tagesordnung.“

Bislang entscheidet in Deutschland das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) über die Geschlechtszugehörigkeit von trans* Menschen. Der neue Entwurf aus dem Innenministerium und Justizministerium will das TSG nun in das Bürgerliche Gesetzbuch integrieren.

Das hängt einerseits damit zusammen, dass das TSG dringend überholt werden muss. Seit 1981 in Kraft, wurden mehrere Passagen darin seitdem vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erachtet.

Das Transsexuellengesetz (TSG) existiert seit 1981 im deutschen Recht. Das Kabinett von Helmut Schmidt und der damalige Bundestag reagierten mit dem Gesetz auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1978. Die obersten Richter hatten ein Recht auf formale Geschlechtsänderung gefordert, sie begründeten das mit den ersten beiden Artikeln des Grundgesetzes.

Zwanzigmal hat sich das Verfassungsgericht seit 1998 mit dem TSG auseinandergesetzt. Mehrere Passagen wurden für verfassungswidrig erklärt, der Gesetzgeber wurde zur Nachbesserung aufgefordert.

Im Jahr 2008 urteilten die Karlsruher Richter: Transsexuelle Eheleute müssen sich nicht scheiden, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu können.

Seit 2011 müssen sich trans* Menschen nicht mehr sterilisieren und ihr Geschlecht operativ angleichen lassen, um den Geschlechtseintrag zu ändern. Auch diesen Passus hatte das Verfassungsgericht bemängelt.

Im Juni 2018 hat zudem die Weltgesundheitsorganisation die Transsexualität als „Störung“ aus der Internationalen Klassifikation der Krankheiten gestrichen.

Der Reformwille der federführenden Ministerien Inneres und Justiz hängt aber auch mit dem neuen Paragrafen 45b im Personenstandgesetz zusammen, der als „dritte Option“ bekannt ist: Seit Ende Dezember können intersexuelle Menschen ihre Geschlechtsangabe in „divers“ umschreiben sowie ihren Namen beim Standesamt ändern, dafür reicht ein ärztliches Attest, das eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ bestätigt. Diese Möglichkeit zur Änderung der Geschlechtseintragung in der Geburtskunde haben seitdem allerdings auch trans* Personen genutzt.

Das ist vor allem dem Innenministerium nicht recht. Im März sagte der Parlamentarische Staatssekretär des Ministeriums, Günter Krings (CDU), in der FAZ: „Ich finde es bedenklich, wenn die von Geburt an schwierige Situation von intersexuellen Menschen und die für sie richtigerweise veränderten personenstandsrechtlichen Regeln nun von einzelnen Vertretern einer anderen Gruppe für sich ausgenutzt wird.“

Im April betonte das Ministerium in einem Rundschreiben an die Standesämter, dass Transsexuelle von der Neuregelung im Personenstandsgesetz (PstG) ausgenommen seien. „Unhaltbar“, findet das Karl-Heinz Brunner, queerpolitischer SPD-Sprecher. „Personenstandsänderungen werden nicht aus Jux und Tollerei durchgeführt.“

LGBTI*-Community fühlte sich überrumpelt

Aber vor allem Konservative nehmen die Nutzung der „dritten Option“ durch trans* Menschen als „Hintertür“ wahr, die geschlossen werden muss. Beim neuen Gesetz soll das also nicht mehr funktionieren, und die Standesämter sollen strenger auf die Arztbescheinigungen von Intersexuellen achten.

Als der Entwurf am Mittwoch vergangener Woche vorgelegt wurde, schlugen die Interessenvertretungen in der LGBTI*-Community Alarm. Die Fachverbände fühlten sich überrumpelt, denn die Ministerien gaben ihnen nur zwei Tage Zeit, um eine Positionierung zu dem gut 30 Seiten langen Entwurf einzureichen.

„Eine Zumutung, die darauf hofft, dass die Dachverbände es nicht schaffen, eine Stellungnahme zu formulieren“, sagte Andrea Ottmer, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti). In zwei Tagen könne man keinen juristischen Rat einholen.

Weiterhin sollten Richter entscheiden

Die Bundesvereinigung Trans* sagte, die Fristsetzung sei „kein demokratisch-partizipativ akzeptables Vorgehen“. Dem widersprach das Innenministerium: „In 48 Stunden ist eine Stellungnahme durchaus möglich“, sagte ein Sprecher der taz. Die Frist sei notwendig gewesen, um das Verfahren zügig ins Kabinett bringen zu können.

Die Verbände kritisieren neben dem Vorgehen diverse Punkte im Entwurf. Etwa die „qualifizierte Beratung“, die laut Entwurf die psychologischen Gutachten ersetzen soll. Bisher mussten trans* Menschen zwei solcher Gutachten vorlegen, und ein Amtsgericht musste über die Anpassung des Geschlechtseintrags entscheiden.

Das klingt nach einer Vereinfachung für alle betroffenen trans* Menschen – allerdings soll die „qualifizierte Beratung“ von denselben Psychologen und Fachärzten durchgeführt würde, die bislang Gutachten erstellten, was die Verbände kritisieren. Genau wie die Tatsache, dass die finale Entscheidungsgewalt nach wie vor in richterlichen Händen liegen soll. Neu ist auch, dass trans* Menschen bei Ablehnung erst nach drei Jahren einen neuen Antrag einbringen können.

Scharfe Kritik an geplanter Ehepartner*innen-Anhörung

„Der Gerichtszwang bleibt“, kritisiert Andrea Ottmer von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti). Sie ist der Meinung, Beratung bringe nur etwas, wenn sie freiwillig ist: „Und bitte mit Leuten aus der Peergroup, die praktische Erfahrung haben und erzählen können, wie das ist, wenn man auf der Straße gefragt wird, ob man Frau oder Mann ist.“ Sven Lehmann, queerpolitischer Sprecher der Grünen, twitterte: „Wann hört dieser Zwang endlich auf, über Körper und Geschlecht bestimmen zu wollen?!“

Eine weitere Ergänzung in dem Entwurf sieht vor, dass in dem richterlichen Verfahren der Ehepartner oder die Ehepartnerin angehört werden soll. Ottmer findet das skandalös: „Darauf ist man nicht mal in den Achtzigern gekommen.“

Dass der Entwurf nun erst einmal nicht im Kabinett verhandelt wird, ist eine Reaktion auf den Aufschrei von Opposition und Betroffenen. 24.000 Menschen haben binnen weniger Tage eine Onlinepetition des Bloggers Linus Giese unterzeichnet, die ein „Ende der Diskriminierung und Begutachtung“ von trans* Personen fordert.

Der Ärger hängt mit den Details des Entwurfs zusammen, aber auch mit dem Verhalten der Regierung. Jahrzehntelang haben sich die konservative Regierungskreise im Innenministerium beim Thema Transsexualität keinen Millimeter bewegt. Die Union saß das Thema aus, trotz der Urteile aus Karlsruhe. Auch die Arbeitsgruppe „Inter­sexualität/Transsexualität“, wurde 2018 mit der neuen Regierung aufgelöst.

Karl-Heinz Brunner, queerpolitischer Sprecher SPD

„Der Entwurf würde in der jetzigen Fassung dem Verfahren keine Verbesserung bringen“

Bei dem neuen Entwurf war zum ersten Mal das Justizministerium unter Führung von Katarina Barley (SPD) beteiligt. Bis dahin war allein das Innenministerium für das TSG zuständig gewesen.

Die inhaltlichen Kompromisse mit dem Haus von Horst Seehofer (CSU) sorgen in Barleys eigener Partei für Unmut. Die Arbeitsgruppe SPDQueer spricht in einer Erklärung von einer „Verschlechterung der aktuellen rechtlichen Situation“ und nennt den Entwurf einen „Kuhhandel“ sowie „Augenwischerei“. Der queerpolitische SPD-Sprecher Karl-Heinz Brunner sagt: „Der Entwurf würde in der jetzigen Fassung dem Verfahren keine Verbesserung bringen.“

EU-Resolution als Vorbild

Allerdings gibt er sich auch versöhnlich: „Wir müssen und wollen im Gesetzgebungsverfahren eine Einigung mit dem Koalitionspartner erzielen. Durch die kurze Frist sei endlich Bewegung in die Sache gekommen.

Kommenden Sonntag stehen die Europawahlen an, danach wird SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley wohl nach Brüssel wechseln und ihren Posten als Justizministerin aufgeben. Ein paar Tage bleiben noch, um das Gesetz erst im Kabinett zu beschließen und dann ins Parlament zu bringen. Für Trans­sexuelle wie Ottmer wäre die Reform eine Demütigung: „Der Entwurf basiert auf dem Familien- und Geschlechterbild der 50er und 60er Jahre und hat mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über Transsexualität gar nichts zu tun.“

Übrigens: Die Europäische Union, Barleys künftiger Arbeitgeber, hat schon 2015 in einer Resolution ein „schnelles transparentes und zugängliches Verfahren auf der Grundlage der Selbstbestimmung“ für die Namensänderung und Geschlechtseintragung von trans* Menschen empfohlen.

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