Neonazis in Berlin: Demokraten machen Druck

Nach Angriffen auf Neonazigegner fordern Verbände und Parteien null Toleranz gegen Rechts. Auch ein Verbot ihres führenden Netzwerks wird diskutiert.

Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy (SPD) in Berlin-Schöneweide. Bild: dapd

BERLIN taz | Nach den jüngsten Angriffen auf Neonazigegner und Parteibüros im Berliner Südosten soll jetzt der Druck auf die rechtsextreme Szene steigen. Besonders im Visier: das Netzwerk „Nationaler Widerstand“.

Der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber fordert eine „Null-Toleranz-Strategie“ – wie jüngst bei den Rockern angewandt – auch gegenüber Neonazis. Die Polizei müsse in Ballungsgebieten der Rechten wie Schöneweide mehr Bereitschaftspolizei postieren, Neonaziläden wie das Hexogen oder die Kneipe Zum Henker öfter kontrollieren. „Der Kontrolldruck muss spürbar sein, Tag und Nacht.“

Auch die Opposition will mehr Härte. Die Polizei müsse „entschlossener“ ermitteln, so Linken-Fraktionschef Udo Wolf. Beamte müssten über rechte Straftaten besser geschult, der Staatsschutz überprüft werden, „ob er die richtigen Schwerpunkte setzt“.

Am Dienstagabend besuchte Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, die Jusos in Schöneweide. Betroffene von den jüngsten Anschlägen berichteten ihm dort von schlechten Erfahrungen mit der Polizei. Ein Neonazigegner, der einen Brief mit einem Streichholz und den Worten „Dein Leben interessiert uns brennend“ bekam, wollte Strafanzeige stellen. Der Polizist beruhigte ihn: „Das ist harmlos. Solche Briefe werden jetzt öfter von Linken verschickt.“

Eine andere Betroffene klagte, wie schwierig es sei, Polizisten zu überzeugen, bei Nazischmierereien wegen politisch motivierter Kriminalität und nicht nur wegen Sachbeschädigung zu ermitteln: „Da muss schon ein Hakenkreuz rangeschmiert sein. Oder die Opfer müssen stundenlange Überzeugungsarbeit leisten.“

Auch Edathy nannte die Sensibilität der Sicherheitsbehörden gegenüber gewaltbereiten Rechtsextremen unterentwickelt. Er forderte mehr Energie bei der Observation. Aus den NSU-Akten wisse er, dass es seit Jahren gefestigte rechte Strukturen in Treptow-Köpenick gebe. (MAI)

In den letzten Wochen wurden Steine in Wohnungen des gegen Neonazis aktiven Linken-Politikers Hans Erxleben und des Juso-Landesvizes Nico Schmolke geworfen sowie in SPD-Büros in Schöneweide, Johannisthal und Lichtenberg. Ein Mitglied des SPD-nahen Jugendvereins Die Falken wurde verprügelt.

Die Jusos entwarfen daraufhin einen 10-Punkte-Plan. „Alle Möglichkeiten, Nazistrukturen aufzudecken, zu schwächen und lahmzulegen, müssen ausgeschöpft werden“, heißt es dort: „Von der Verkehrskontrolle über Ausschankgenehmigungen bis hin zum Waffenrecht.“

Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus begrüßt die Forderungen. Statt mehr Polizisten bereitzustellen, sollte die Behörde aber besser bereits vorliegenden Spuren zu den Anschlägen „endlich nachgehen“ und konsequent ermitteln.

„Grob fahrlässige Ignoranz“

Experten vermuten Mitglieder oder Sympathisanten des Netzwerks Nationaler Widerstand (NW), in der Berliner Szene tonangebend, hinter den Anschlägen. So taucht Linkenpolitiker Erxleben auf einer Feindesliste der Gruppe auf. Bei einem Anschlag auf ein SPD-Büro hinterließen die Täter eine Losung: „Rache für NW Dortmund“. Diese Partnergruppe der Berliner Neonazis hatte das Land Nordrhein-Westfalen Ende August verboten. Die Neonazis um den NW Berlin nennt der Verfassungsschutz gewaltbereit.

Die Jusos fordern nun ein „sofortiges“ Verbot des NW – SPD und Linke fordern zumindest, dieses zu prüfen. „Der Rechtsstaat sollte alle seine Instrumente nutzen“, so SPD-Mann Schreiber. In Berlin wurden zuletzt 2009 und 2005 rechte Kameradschaften verboten. Für Linken-Fraktionschef Wolf hat sich der NW inzwischen zu einer Nachfolgeorganisation der Gruppen herausgebildet.

Die Innenverwaltung wollte sich gegenüber der taz nicht zur Frage äußern, ob ein Verbotsverfahren läuft oder geprüft wird. Bereits im März hatte die Polizei aber Razzien bei drei Männern durchgeführt, die die Internetseite des NW betreiben sollen. Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte damals, man werde „Anhaltspunkten konsequent nachgehen“.

Die Jusos werfen Henkel jedoch „Untätigkeit“ und „grob fahrlässige Ignoranz“ vor. Henkel weist das zurück: Der Staatsschutz ermittle mit Hochdruck gegen die Macher der NW-Homepage. Zudem sei seit diesem Monat das Landeskriminalamt für die Ermittlungen gegen rechts personell aufgestockt worden.

Dass Neonazis auf Repression empfindsam reagieren, zeigte sich zuletzt am Samstag. Nach den Verboten in NRW trafen sich im Schöneweider Lokal Henker Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet und entrollten davor ein Transparent: „Solidarität mit unseren Aktivisten“. Drei von ihnen schlugen wenig später auf einen 23-Jährigen ein, den sie für einen Linken hielten. Der flüchtete sich in einen Imbiss. Angestellte vertrieben die Angreifer mit einem Dönerspieß. Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) lobte das als „Ausdruck von Zivilcourage, den wir in Schöneweide öfter brauchen“. Er überbrachte dem Bistro eine Urkunde samt Blumenstrauß.

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