Neue Lernformen in Hamburg: Kita gründet Reggio-Schule

In Winterhude öffnet zum neuen Schuljahr Deutschlands erste an Reggio-Pädagogik orientierte Grundschule. Bis jetzt sind noch nicht alle Plätze belegt

Vision vom projektorientierten Lernen: Pläne für die Reggio Schule Foto: Foto: Rot-Hamburg/Tim Erdmann/ Monokrom

HAMBURG TAZ Unten spielen Kinder in der Kita, aber oben im ersten Stock sind die Räume der Bachstraße 38 leer. Die Umbauten sind fertig, es gibt Zimmer mit runden Ecken, Wände mit lichten Öffnungen, die ahnen lassen, dass der Schulalltag hier im September beginnen kann.

Michael Klute zeigt stolz die Grafik, die zeigt, wie es bald aussehen soll. Die Kinder in Deutschlands erster an Reggio-Pädagogik orientierter Grundschule sitzen nicht nur auf Stühlen, sie laufen auch herum oder knien am Boden. Es gebe keine Fächer wie Deutsch, Mathe, Sachkunde, sagt der Lehrer. „Es gibt Projekte zu Themen wie ‚Entstehung der Erde‘“.

Die Kinder, so das Konzept, lernen Lesen, Schreiben und Rechnen in diesen Projekten, zum Beispiel beim Obstkauf auf dem Markt oder beim ­Schreiben der Wandzeitungen, die als „sprechende Wände“ dokumentieren, was erarbeitet wird. Und sie lernten nicht nur aus Büchern, sondern mit Materialien wie Garn und Stoffen, Farben und Papier. „Alltagsmaterial, das nicht so zielgerichtet ist, dass man nur das eine damit erlernen kann“, sagt Klute, der schon mal Schulleiter war und das künftige Team leiten soll.

„Reggio“ ist eine Bildungsphilosophie, die in der italienischen Stadt Reggio Emilia für die kommunalen Kitas entstand und 1992 von der Unesco als bester vorschulischer Ansatz prämiert wurde. Ihr Leiter Loris Malaguzzi sagte, dass Kinder kleine Forscher sind und jedes Kind die Fähigkeit besitzt, sich selbst zu bilden, die Erwachsenen müssten lediglich dabei assistieren.

In Hamburg liegt der Privatschüleranteil bei 10,6 Prozent und ist seit Jahren konstant. Es gibt 94 nicht-staatliche Schulen, darunter 30 Grundschulen.

Es gibt verschiedene Strömungen wie Waldorf-, Montessori-, oder auch Religionspädagogik. Montessori und Reggio sind ähnliche Ansätze, die sich gegenseitig befruchten. Bei Montessori sind feste Lernmaterialien wie Würfel und Zahlenbrett wichtig, mit denen Kinder mit den Händen begreifen, was sie mit dem Kopf verstehen. Bei Reggio bekommen die Kinder Material, das nicht zielgerichtet ist.

Die neue Reggio-Schule muss sich dreieinhalb Jahre allein finanzieren. Danach erhält sie pro Kind 85 Prozent des Staatsschülersatzes. Eltern zahlen ein Monats-Schulgeld von maximal 200 Euro, das nach Einkommen gestaffelt ist, fünf Prozent zahlen nichts.

In Kitas ist Reggio ein Begriff. Der Träger „Apoidea e. V.“ bietet sie in vier Winterhuder Kitas an, eine davon in der Bachstraße 38. „Es war die Idee der Eltern, solch eine Schule zu gründen“, sagt Klute.

Für die Hamburger Schule wurde nun der „Reggio-orientierter Trägerverein“, kurz Rot, gegründet. Man werde sich an die Ziele der Bildungspläne halten, sagt Klute. Das werde in der 3. Klasse durch eine zen­trale Lernstanderhebung gesichert. Zudem werde die Schule durch Pädagogikforscher Tassilo Knauf evaluiert.

Bei der Schulgründung gehe es immerhin darum „den Reformstau der klassischen deutschen Grundschule zu überwinden“, die „immer noch wesentlich von den Strukturen des 19. Jahrhunderts bestimmt ist“, heißt es in der Ankündigung einer Fachtagung mit Knauf und Experten aus Italien, die bereits im März 2015 stattfand. Denn eigentlich dachten Kita-Leiterin Stephanie Bauer und Klute schon 2015, dass es zum neuen Schuljahr losgeht. Doch die Anerkennung als „Schule in freier Trägerschaft“ durch die Behörde zog sich hin. Erst seit dreieinhalb Wochen liegt sie vor.

Nur ist die Anmelderunde vorbei und die geplante Vorschulklasse und die erste Klasse „erst zu drei Viertel voll“, sagt Klute. Für interessierte Eltern bietet er deshalb Info-Termine an.

SPD-Schulsenator Ties Rabe ist übrigens nicht als großer Förderer von Privatschulen bekannt. „Wir legen Wert auf ein stabiles, staatliches System“, sagt sein Sprecher Peter Albrecht. Aber als Ergänzung seien Privatschulen sinnvoll, „weil sie die Vielfalt erhöhen“. Wer anerkannt werden wolle, müsse „ein besonderes pädagogisches Angebot machen“, sagt Albrecht. Eben das habe die Schule zu bieten, sagt Klute. Es gebe verschiedene Reformschulen, „aber uns gibt es noch nicht“.

Nähere Informationen: rot-hamburg.de

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