Neue Studie zu Kriminalität: Ausländer sind verdächtig

Schleswig-Holstein hat die Herkunft von Tatverdächtigen untersuchen lassen, ist aber an der fehlenden Vergleichbarkeit gescheitert.

Haus in den Dünen

Idyll gerettet: Schleswig-Holsteiner müssen nicht fürchten, dass Ausländer ihre Häuser ausrauben Foto: schachspieler/photocase.de

KIEL taz | Ist „der Ausländer“ krimineller als „der Deutsche“? Diese Frage stellten sich die Landespolizei und die Regierung von Schleswig-Holstein im Herbst 2016, als zahlreiche Flüchtlinge ins Land kamen. Sie beauftragten das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) mit einer Studie. Deren Ergebnis lautet, auf eine knappe Formel gebracht: „Ja, aber“.

Im Spätsommer 2016, als am meisten Flüchtlinge kamen, verzeichnete die Polizei eine Zunahme von Straftaten, sagte Peter Fritzsche, Abteilungsleiter im Landeskriminalamt, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Kiel. Es war „eine Entwicklung mit Wendepunkt“, denn zum Jahresende seien die Zahlen bereits wieder gesunken.

Dennoch sei die Frage, wie oft Nichtdeutsche an Taten beteiligt seien, in der öffentlichen Wahrnehmung „von hoher Brisanz“. Die Polizei wolle die Lage transparent machen, so Fritzsche.

Die Studie zur „Entwicklung der Kriminalität von Zuwanderern“ ist in dieser Form bundesweit einmalig, weil Daten aus Polizeistatistik und Ausländerbehörden über mehrere Jahre zusammengeführt und abgeglichen wurden. Vor einigen Wochen hatte es bereits eine Studie über Flüchtlinge und Gewalttaten in Niedersachsen gegeben (siehe Kasten).

Allerdings: Wie hoch der Anteil „ausländischer“ Täter an der Gesamtzahl der Straftaten in Schleswig-Holstein tatsächlich ist, haben die Kriminologen nicht untersucht. Denn die Basis der Studie sind Polizeidaten, die nicht die verurteilten TäterInnen, sondern Verdächtige erfassen.

Ein Team um den Kriminologen Christian Pfeiffer erstellte die Studie, die im Januar 2018 veröffentlicht wurde. Untersucht wurden Geflüchtete, die 2015 oder ’16 nach Niedersachsen gekommen waren.

Der Schwerpunkt lag bei Gewalttaten. Hier wurde eine Zunahme von rund zehn Prozent festgestellt.

Das Plus an Gewalttaten sei zu 92 Prozent Flüchtlingen zuzurechnen.

Faktoren wie Alter, Geschlecht und Aufenthaltsstatus machte das Team mitverantwortlich – ähnlich wie in der schleswig-holsteinischen Studie.

Hierbei ergab sich ein deutlicher Unterschied: Die so genannte Tatverdächtigenrate, also die Zahl der Menschen, die einer Tat beschuldigt werden, lag 2016 bei Deutschen in Schleswig-Holstein bei 1,8 Prozent, bei Nicht-Deutschen bei 4,2, also mehr als doppelt so hoch. 2013 waren 3,8 Prozent der Nichtdeutschen einer Tat beschuldigt – die Zahl der Verdächtigen ist also gestiegen.

Thomas Bliesener, Leiter des KFN, der mit Christoffer Glaubitz die Studie erarbeitet hatte und die Ergebnisse vorstellte, nannte dafür eine Reihe von Gründen. So sei „die Anzeigebereitschaft höher, wenn Menschen mit fremdländischem Aussehen beteiligt sind“.

Auch Fehler wirken sich auf die Zahl der Verdächtigen aus: Wenn Namen unterschiedlich geschrieben werden, landet ein und derselbe Verdächtige als „al-Ibrahim“ wie auch als „Ibrahim“ in der Statistik. Oder ein Polizist schreibt kurzerhand jede Person am Tatort als verdächtig auf, bis ein Dolmetscher gefunden wird, der hilft, Opfer und Täter auseinander zu dividieren.

Verglichen wurden ausschließlich Menschen mit und ohne deutschen Pass, die dauerhaft in Schleswig-Holstein leben. Damit sind weder die Geflüchteten erfasst, die nur durchreisen, noch Menschen, die eigens ins Land kommen, um Verbrechen zu begehen. „Um es klar zu sagen: Auch diese Gruppe gibt es“, sagte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU). Er verwies auf Erfolge der Polizei im Einsatz gegen Banden, die sich auf Wohnungseinbrüche spezialisiert haben: „Diese Form von Kriminalität ist im Blick.“

Unterschiede zwischen den Nationalitäten

Knapp 230.000 Menschen zählt das Ausländerregister in Schleswig-Holstein. Ihnen gegenüber stehen knapp 2,7 Millionen Pass-Deutsche. Zwischen beiden Gruppen bestehen Unterschiede: Die Nichtdeutschen sind jünger, der Anteil der Männer ist höher, und mehr von ihnen leben in Städten. Alle drei Merkmale könnten Gründe dafür sein, dass die Zahl der möglichen Beteiligung an Straftaten größer ist.

Allerdings bestehen auch Unterschiede zwischen den einzelnen Nationalitäten: Menschen mit dänischem Pass sind noch seltener tatverdächtig als Deutsche. „Die Dänen sind im Schnitt auch älter“, so Bliesener trocken.

Menschen aus Rumänien dagegen stehen auf der Liste der Verdächtigen weit oben. Zugewanderte aus dem Iran sind häufiger tatverdächtig als Menschen aus Afghanistan oder Syrien.

Untersucht haben die Forscher auch die Art der Delikte. Mord und Totschlag kämen so selten vor, dass sich aus den Zahlen keine Tendenz ablesen lasse, so Glaubitz. Gestiegen sei die Anzahl von Eigentumsdelikten, also Diebstahl oder Einbruch, sowie von „Rohheitsdelikten“, gemeint sind Gewalttaten, Übergriffe, Prügeleien.

Zahl der Sexualdelikte gestiegen

Gestiegen ist auch die Zahl der Sexualdelikte wie Belästigung oder Vergewaltigung – hier sind eindeutig Männer die Täter und Frauen die Opfer. Allerdings seien auch hier die Gesamtzahlen zu gering für eine klare Aussage, sagte Glaubitz. Dafür wurden weniger Fälle von Betrug oder Fälschung registriert, auch Taten im Zusammenhang mit Rauschgift nehmen im Untersuchungszeitraum von 2013 bis 2016 ab.

Ebenfalls auffallend: Die meisten Opfer von Verdächtigen mit ausländischem Pass sind selbst AusländerInnen. Peter Fritzsche nannte als Beispiel Gewalt in den Flüchtlingsunterkünften.

„Kriminalität ist ein Zeichen dafür, dass jemand nicht ausreichend integriert ist“, betonte Grote. Das sei unabhängig von der Nationalität. Das beste Mittel gegen Kriminalität seien daher „Ausbildung, Arbeit, Freunde, Familie und eine Perspektive in Deutschland“.

Plädoyer für Familiennachzug

Schleswig-Holsteins Jamaika-Regierung werde daher weiter gegen Beschlüsse der Großen Koalition für mehr Familiennachzug werben: „Familie ist der beste Weg zu Integration.“ Auch sei es wichtig, ein Einwanderungsgesetz zu schaffen, damit Menschen auf legalen Wegen nach Deutschland kommen könnten.

Allerdings sei es auch wichtig, Asylverfahren schnell zu entscheiden: „Wer bleiben darf, soll integriert werden – aber wer nicht bleiben darf, soll auch schnell das Land verlassen.“ Schleswig-Holstein setze sich für „zügige Rückführung, aber auch für eine Hilfe beim Start“ im Herkunftsland ein.

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