Neuer Comic „Hexe total“: „Überall Spinnen und Satan“

Im Comic „Hexe total“ spielt Simon Hanselmann eine von Homophobie und Drogen geprägte Jugend in Tasmanien nach: mit einer Hexe, einer Katze und einer Eule.

Figur aus dem Comic treibt im Wasser

Bild vom schönen Tod im Wasser. Foto: Avant-Verlag

taz: Simon Hanselmann, die Figuren Ihrer Comicserie „Hexe total“ gehen äußerst destruktiv miteinander um.

Simon Hanselmann: Oh ja, es sind furchtbar destruktive Charaktere, allesamt Schurken und Mistkerle. Aber so war’s nun mal in Launceston, Tasmanien, wo ich aufgewachsen bin. Um die dortige Noise-Musikszene tummelten sich viele verwahrloste, geisteskranke Menschen, die sich gegenseitig üble Streiche spielten.

Megg und Mogg sind besonders gemein zu ihrem Mitbewohner Eule.

Ja, und gleichzeitig lieben sie ihn. Er ist Teil der Gruppe, wie alle Figuren Facetten von mir, meiner Persönlichkeit sind, die sich stets gegenseitig bekämpfen. Eule ist der Teil von mir, der versucht, sich in die Gesellschaft einzufügen, während Megg meine depressive und Mogg meine gemeine Seiten darstellen – und sie setzen alle Hebel in Bewegung, um Eule auf ihr Niveau herunterzuziehen.

In einer Episode tritt Eule als Musiker auf. Als Megg und Mogg seine Show absichtlich ruinieren, dachte ich, sie bereiten ihn einfach aufs Leben vor.

Eule ist ein erbärmlicher Musiker. So gesehen taten sie ihm einen Gefallen, seinen Traum einer Musikerkarriere im Keim zu ersticken. Aber ich glaube, er muss definitiv auf Distanz gehen, und zwar so bald wie möglich, die Stadt verlassen und sein Ding machen. Aber wahrscheinlich wird ihn die Gruppe in ihren destruktiven Trott zurückzerren. Immer wieder.

Simon Hanselmann wurde 1981 in Launceston, Tasmanien geboren und wuchs bei seiner heroinabhängigen Mutter auf. Mit 15 brach er die Schule ab und zeichnete nur noch Comics. 2008 zog er nach Melbourne. Bekannt wurde seine Comicserie „Hexe total“ zunächst über seinen tumblr-Blog.

Eule ist aber auch nicht der Hellste. Als er zum Beispiel eine Affäre mit einer Dreizehnjährigen hat und so tut, als hätte er nicht bemerkt, wie jung sie ist, musste ich an Roman Polanski denken.

Der Vergleich passt, aber in Wirklichkeit habe ich nur nacherzählt, was einem Freund von mir passiert ist – der damals immerhin selbst achtzehn war. Generell vermeide ich, meine Arbeit zu überanalysieren. Ich schreibe drauflos, ohne zu reflektieren, und später, manchmal, fallen mir Sachen auf.

Simon Hanselmann

„Ich will, dass Megg und Mogg aus ihren Fehlern lernen.“

Heißt das, Sie haben sich Eules Vergewaltigung als Geburtstagsgeschenk nicht ausgedacht?

Nein. Auch das ist tatsächlich einem Freund passiert. Genau diese Szene wurde im Netz heftig diskutiert, worüber ich mich gefreut habe: Das Tabuthema Männervergewaltigung wird an sich nur selten angesprochen. Viele Leser und auch Kritiker meinten jedoch, ich hätte die Episode nur für billige Lacher erzählt.

Die Episode ist null lustig.

Furchtbar unlustig.

Simon Hanselmann

Zeichner und Autor Simon Hanselmann. Foto: privat

Generell herrscht in der Serie eine unheimliche, ziemlich klaustrophobe Stimmung: Die Außenwelt, die WG voller Drogen und Meggs innere Welt aus Depressionen scheinen sich untereinander komplett hermetisch zu verhalten.

Megg leidet unter Depressionen, so wie ich auch übrigens immer noch. Wenn es zu diesem Seelenzustand kommt, ist es wirklich schwer und beängstigend, mit anderen Menschen zu interagieren oder einfach nur durch den Tag zu kommen. Wie sie sich abschirmt, die Konfrontation mit der Außenwelt scheut, ist aber vielleicht auch symptomatisch für meine Generation: Wir haben keine Kriege erlebt, können den ganzen Tag Comics lesen – alles schön bequem. Es ist einfach, sich in einem kleinen, egoistischen Loch zu verstecken.

Die ProtagonistInnen Megg, Mogg und Eule sind einem Kinderbuch der britischen Autorin Helen Nicholl entlehnt. Dennoch sind Hanselmanns Geschichten über Sex, Drogen und Depressionen alles andere als Kindsgerecht. Zwei Bände von „Hexe total“ sind im avant Verlag erschienen, sie haben jeweils 176 Seiten und kosten 24,95 Euro.

Meggs Umwelt ist zwar nicht vom Krieg gezeichnet, erweist sich dennoch als äußerst feindselig. Eule wird auch mal als „Scheißeule“ beschimpft. Sie und ihre Freunde werden oft aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung Opfer von Diskriminierung.

So war einfach mein Alltag in Launceston, wo eine überwiegend weiße, alternde und sehr homophobe Bevölkerung lebt. In Tasmanien war Homosexualität bis 1994 illegal. Melbourne, wo ich jetzt wohne, ist als Kunsthauptstadt Australiens ein wenig liberaler, aber wenn ich Frauenklamotten trage, werde ich angepöbelt.

Um 2013 hatten Sie Ihr Coming-­out als Crossdresser. Beim diesjährigen Comicfestival von ­Angoulême trugen Sie noch Kleider und langes, rotes Haar. Heute nicht.

Ich will das jetzt lieber privat halten. Ich ertrage es einfach nicht mehr, auf der Straße angestarrt, angeschrien, ja sogar bedroht zu werden. Es ist wirklich gefährlich. So verstecke ich mich gerade hinter meinem weißen, männlichen Privileg. Es tut mir leid, wenn die Leute dann enttäuscht sind, weil sie ein Foto mit mir machen wollten … Und das kotzt mich auch total an! Mir geht es dabei nicht um den performativen Aspekt. Ich fühle mich einfach unwohl als Mann. Ich glaube, ich fühle mich generell unwohl im Leben.

Das ist hart.

So ist es.

Und Zeichnen ist das, was Sie am Leben hält?

Ja, darauf muss ich mich konzentrieren. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun würde. Ich habe immer nur das getan. Ich glaube genau so ein Ventil hat meiner Mutter gefehlt, wenn man mal von ihrem Drogenkonsum absieht, der aber sehr destruktiv gewesen ist. Mir wird manchmal unterstellt, ich würde mit „Hexe total“ Drogen verherrlichen. Die Serie macht aber genau das Gegenteil: Sie zeigt, wie gefangen die Figuren sind. Sie ist der Versuch, diese eingelaufenen Muster und Teufelskreise zu brechen. Gerade habe ich eine weitere Geschichte im Kopf, im Zentrum derer die Beziehung zwischen Megg und ihrer drogenabhängigen Mutter steht.

Wie läuft die Arbeit daran?

Oh, ich warte noch, bis ich bereit bin.

Was heißt bereit sein?

Zeichnen ist für mich eine Art Therapie. Was mich beschäftigt, bringe ich zu Papier, um es aus einer anderen Perspektive, aus einer gewissen Distanz betrachten zu können, und um schließlich damit fertigzuwerden. Aber meiner Mutter geht es momentan wirklich nicht gut. Da muss ich fit sein.

Kennt Ihre Mutter Ihre Comics?

Sie hat mal versucht sie zu lesen, aber sie meint, sie würde nichts verstehen. Ich habe ihr erklärt, es sei ein wenig wie die Simpsons, nur düsterer … Aber es interessiert sie einfach nicht.

Matt Groening und weitere prominente Comic-KollegInnen hingegen sollen große Fans Ihrer Arbeit sein. Was schätzen sie Ihrer Meinung nach an „Hexe total“?

Ich bleibe bei den immer gleichen Figuren. Sie wachsen, wie im Leben, während ich etwas lerne, mich ändere, besser werde – hoffentlich. Und das will ich mit Megg und Mogg, dass sie aus ihren Fehlern lernen, dass sie wachsen. Dieser eigentlich klassischen Form der Erzählung widmen sich, scheint mir, gerade nur wenige Zeichner. Und ja, die Leser können der Entwicklung der Figuren folgen, sie kennen und lieben lernen, sich damit wohlfühlen.

Könnte man sich „Hexe total“ als TV-Serie vorstellen?

Über eine Pilotsendung wird tatsächlich gerade verhandelt. Mal schauen, ob das wirklich klappt. Das Geld, das man im Fernsehen verdienen kann, ist natürlich verlockend. Ich träume davon, meiner Mutter ein Grundstück zu kaufen, wo sie sich sicher fühlt und ausruhen kann. Aber ich wäre nicht bereit, allein wegen des Geldes die Serie zu verwässern. Als Comiczeichner brauchst du nur einen guten Verleger, der sich auf deine Vision einlässt. Aber fürs Fernsehen müsste man zensieren und entschärfen, weil sich alles letztlich um Werbung dreht.

Als Hausfreund Werwolf Jones mit LSD-Pillen in der WG aufkreuzt, will Eule keine nehmen, weil Satan darauf abgebildet ist. Mit ein paar Strichen lässt Jones Satan wie Spiderman aussehen – und Eule ist dabei. Eine Art Zensur, die den Effekt nicht mildert, oder?

Überall Spinnen und Satan, jep!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.