Neues Album der Punkband No Age: Wenn sich Dur und Moll grüßen

Immer schön unberechenbar bleiben: Das Punkduo aus Los Angeles bringt mit „Goons Be Gone“ ein energisch kickendes Album raus.

Randy Randall und Dean Spunt stehen vor Mikrofonen

Vier Fäuste für ein Halleluja: Randy Randall und Dean Spunt von No Age Foto: Kirsti Jan Werdal

Sieben Sekunden entscheiden darüber, ob ein Vortrag beim Publikum zündet oder nicht, wird die US-Verhaltensforscherin Vanessa van Edwards in der Fachliteratur für Karriere und Management zitiert. Sieben Sekunden braucht das kalifornische Punkduo No Age, bis auf seinem neuen Album „Goons Be Gone“ der Sänger jene Schneise nimmt, die ihm ein beherzter Poltergeist aus dem Garageland gewiesen hat.

„Goons Be Gone“, irgendwann sind wir die Deppen los: Eine Weiterführung des „Kick Out The Jams“ der Protopunks MC5 von 1969, einem Jahr, dem ein anderer Punkbereiter wenig abzugewinnen wusste: Iggy Pop mit den Stooges. Mit beiden werden No Age vertraut sein: „Sandalwood“, der Zweieinhalbminüter, mit dem sie im Handumdrehen ihr nunmehr sechstes langes Werk eröffnen, ist mit seiner wie am Schnürchen ratternden Gitarre-Schlagzeug-Kombination ein Musterbeispiel von minimalistischem Schmutzrock.

Doch Obacht, da geht noch viel mehr: No Age ziehen eine Klangdecke ein und bedienen sich eines Kniffs, der sich in ihrem Katalog oft findet, sie spielen mit Brüchen und Überleitungen. „Sandalwood“ mündet in „Feeler“, an die Stelle von ruppigem Rock tritt verrauschter Pop. Ihm schließt sich mit „Smoothie“ ein unaufgeregt dahintreibendes Stück Psychedelic Rock an. Der Punkbegriff von No Age ist also mit Sicherheit ein unorthodoxer und damit zeitloser. „Goons be Gone“ ist der furiose Beweis: Wo Punk sich der Plattheit verweigert, ist er nicht tot.

No Age, das sind Trommler und Sänger Dean Spunt und Gitarrist Randy Randall aus Los Angeles, beide auch solo unterwegs, sowohl Verbindungen in die Kunstszene der Stadt habend als auch beim Punkclub The Smell in Downtown L.A. mitmischend. Beide Künstler experimentieren gerne mit Effektgeräten, bauen Homerecording-Samples in ihre zumeist knappen Songs ein. Spunt und Randall haben von 2001 bis 2005 in der Punkband Wives gespielt, nach deren Auflösung No Age gegründet und 2007 an einem Tag eine Reihe von 7’’-Inch-Singles auf verschiedenen kleinen Labels veröffentlicht.

No Age: „Goons Be Gone“ (Dragcity/Rough Trade)

https://noage.bandcamp.com/album/goons-be-gone

Als No-Age-Erstling darf „Neck Escaper“ gelten: Der Titelsong der Single könnte glatt als Pop-Hymne durchgehen, wäre da nicht die bewusste Lo-Fi-Produktion mit dem in den Vordergrund gemischten Schlagzeug. Charmant ist das allemal, und im Grunde ist hier auf insgesamt drei Songs die No-Age-Formel bereits angelegt: „My Life’s Alright Without You“ beginnt als Vignette aus Klopfzeichen, gezupfter E-Gitarre und Geräuschsplittern, gerät alsdann zum Brecher, dessen retardierendes Moment ein göttliches Schlafzimmer-Snaredrumsolo ist. „Escarpement“ schließlich beansprucht bereits vier Minuten Spielzeit und verbindet Feedback, Stereohexerei und Gitarrengebolze.

Keinem Experiment abhold

Nachhören lassen sich diese und weitere No-Age-Preziosen aus dem Frühwerk auf „Weirdo Rippers“, einer Compilation, die erstaunlicherweise einem Konzeptalbum sehr nahe kommt. „Nouns“, das eigentliche Albumdebüt des Duos Spunt und Randall, ist dann 2008 bereits bei Sub Pop erschienen, dem Label, das in den Neunzigern zwei Singles mit Nach- und Nebenwirkungen veröffentlicht hatte: Mudhoneys „Touch Me I’m Sick“ und „Love Buzz“ von Nirvana.

Was folgte, war Grunge, und wer unbedingt will, kann das eine oder andere Echo davon in der Musik von No Age finden: Punks, die sich dazu bekennen, mehr als eine Neil-Young-Platte gehört zu haben und auch sonst hippiesken Experimenten nie abhold sind. Bei No Age kommt auf ihren Alben noch eine verschieden stark eingestellte Dosis konzeptioneller Kühle hinzu: „Nouns“ beispielsweise beginnt mit „Miner“, einem Song, dessen Gitarrenintro einem Uhrwerk gleich pendelt, eine motorische Klangästhetik, derer sich No Age auch auf ihrem neuen Album in dem Noise-Blues „A Sigh Clicks“ bedienen.

Das Irre und Tolle an der No-Age-Diskografie ist, dass sich in ihr keine schnurgerade Entwicklung vom Sperrigen zum Zugänglichen ausmachen lässt. Auf „Nouns“ ließen No Age 2009 mit „Losing Feeling“ eine EP folgen, deren vier im Proberaum entstandene Songs für den weiteren Sound des Duos charakteristisch sein sollten: Das Titelstück und der Abschluss „You’re A Target“ sind schnittige Lieder zur Stromgitarre, dazwischen jedoch haben Spunt und Randall mit „Genie“ ein Wiegenlied und mit „Aim at the Airport“ eine Collage aus Gitarrenfiguren und Field-Recordings geparkt.

2010 erschien „Everything In Between“, das erste richtige Popalbum des Duos, wobei auch der Popbegriff von No Age als recht emanzipiert betrachtet werden darf: Die Rhythmusspur des Albumauftakts „Life Prowler“ besteht zu weiten Teilen aus einer stoisch durchgetretenen Basstrommel, der darauf folgende Singletrack „Glitter“ erinnert anfangs an den suggestiven Hit „My Sharona“ von The Knack, dessen Trademark-Groove wiederum der Soulband Smokey Robinson & the Miracles entlehnt ist.

Auf „Everything in Between“ ließen No Age mit „An Object“ gar ein Album folgen, auf der in elf Schritten gehört werden kann, wie ein grandios unhandliches Werk sukzessive ungemütlich wird. „An Object“ ist dabei bis dato die eine No-Age-LP, die mit „Commerce, Comment, Commence“ auf einem eher gedimmten Ton endet, der in ein ozeanisches Rauschen mündet.

Loop mit Schreibmaschine

„Snares Like a Haircut“, ihr erstes beim Chicagoer Indielabel Drag City veröffentlichtes Album von 2018, klang dann wieder bekömmlicher, konnte aber mit einem instrumentalen Titelstück überraschen, in dessen Ambientsound sich ein Rhythmusloop schraubte, als sei es zur zielgerichteten Begegnung einer Schreibmaschine mit einem Metronom gekommen. Zwischen „Snares Like a Haircut“ und „Goons be Gone“, dem neuen Album, haben No Age eine amtlich pulsierende Filmmusik eingespielt.

Nicht das erste Mal, dass sie das taten, 2009 beispielsweise begleiteten No Age Vorführungen von Jean-Jacques Annauds „Der Bär“, doch diesmal haben sie mit „Score For the Day Before“ selbst zur Kamera gegriffen und ein gleißendes Roadmovie gedreht. Das eine oder andere Landschaftspanorama und Detail vom Wegesrand hat auf „Goons Be Gone“ Platz gefunden: Im Song „Puzzled“ beispielsweise schalten No Age von verfremdeten Stimmaufnahmen zu straightem Gitarrenpop und begeben sich in eine immerhin ätherische Coda. Experimentelle und eingängige Momente: „Goons Be Gone“ ist angelegt wie ein Mixtape der No-Age-Facetten.

In „Head Sport Full Face“ drehen die Gitarren an der Radioskala. Das Gerät wollen wir uns in die Armatur eines futuristischen Flitzers montiert vorstellen. Da vorne ist die Sonne, und an der nächsten Kreuzung sagen sich Moll und Dur: „Hallo, Sie schon wieder.“

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