Neues Album von Depeche Mode: Texte voller Phrasen

Die Synthiepop-Band stellte in Berlin ihr neues Album „Spirit“ vor. Zu hören sind darauf Worthülsen im Predigerduktus.

Ein Mann in einer roten Weste auf einer Bühne

Dave Gahan in Berlin Foto: dpa

Eines muss man Dave Gahan schon lassen: Der Mann ist in Form. Dreht Pirouetten mit dem Mikrofonständer, greift sich in den Schritt wie einst der King Of Pop und schwingt lustvoll Hüfte und Hinterteil – Letzteres soll man im Laufe des Konzerts des Öfteren entgegengestreckt bekommen. Die Haare trägt er zurückgekämmt wie eh und je; neu ist das feine, dunkelgräuliche Menjoubärtchen, das sich über seinem Mund abzeichnet.

Rote Weste zu schwarzem Hemd trägt der inzwischen 54-jährige Sänger, dazu eine schwarze Polyesterhose mit Streifen und rötlich glitzernde Slipper mit Absatz. Während er mit diesen über die Bühne tänzelt, animiert er sein Publikum in Berlin zu Singalongs. Und muss nur bis zu dem Zeitpunkt warten, als seine Band – namentlich Depeche Mode – alte Hits wie „Walking in My Shoes“ oder „Personal Jesus“ spielt, ehe es durch den ganzen Saal hallt: Reach out and touch faith.

Depeche Mode, für viele ihrer Fans eher eine Religionsgemeinschaft denn eine Musikgruppe, sind am Freitagabend eigentlich in Berlin zu Gast, um ihr neues Album „Spirit“ vorzustellen. Zu diesem Zweck hat man die Band um Gahan und Gitarrist Martin L. Gore eingeflogen und für einen einstündigen Auftritt ins Funkhaus Berlin geladen – Telekom-Sponsoring sei Dank. Von der Kapazität ist der akustisch toll klingende Saal des alten DDR-Funkhauses begrenzt – so sind unter den rund 1.000 ausgewählten Besuchern zur einen Hälfte Musikbetriebsleute und Promis, zur anderen ‚normale‘ Fans. Draußen vor dem Klinkerbau im Ortsteil Oberschöneweide halten DM-Jüngerinnen und -Jünger vermehrt das Schild „Ticket wanted“ in die Luft.

Man könnte die leer ausgegangene Fanschar damit trösten, dass circa die Hälfte der Songs an diesem Abend vom neuen Werk der fünf Briten stammt – und dieses Album Numero 14 ist wahrlich kein Höhepunkt in der Karriere der seit 1980 bestehenden Band. Nach der Vorab-Single „Where's The Revolution?“, immerhin ein funktionierender Synthie-Stomper in unnachahmlicher Depeche-Mode-Machart, war zu hoffen, dass „Spirit“ sich klug mit den Verwüstungen der Gegenwart, mit den Revolutionen und Konterrevolutionen jüngerer Vergangenheit auseinandersetzen könnte – aber nix da.

Das Album ist streckenweise richtig peinlich

Wenn Depeche Mode sich mit „Spirit“ nach oben katapultieren, dann auf einer Hitliste der uninspiriertesten Alben, die Superstar-Combos je aufgenommen haben. Das gilt für die Texte, die voller Phrasen sind („We have lost our soul“, “The air is so cold here/ It’s so hard to breathe“, “Pull the trigger“), das gilt aber auch für den Großteil der Kompositionen, die man versucht hat durch eine knallige Produktion zu retten. Was nicht wirklich gelingt. Neu an „Spirit“ ist nur eines: das Album ist streckenweise richtig peinlich – und ein richtig peinliches Album haben Depeche Mode, die kommerziell erfolgreichste Synthiepop-Band der Welt, bislang noch nicht veröffentlicht.

Und auch Dave Gahan in Topform, auch Gore mit einem älteren Sologesang-Stück („Little Soul“) können beim Konzert nicht von der Schwäche der neuen Tracks ablenken. Gleich zu Beginn sind diese bei „Going Backwards“, das in der Live-Version auf zwei einfachen Rockriffs beruht und dem es einfach an Futter fehlt, deutlich zu hören. Immerhin ergänzt sich das insofern zu den Lyrics ganz gut, als dass auch die an der Oberfläche bleiben („We’re going backwards/ Armed with new technology“). Gerade jene Stücke, deren Themen gut gewählt sind, enttäuschen gänzlich – denn auf welche Weise das Zurückfallen in unzivilisiertere Gesellschaftsformen und Barbarei und mit digitalen Technologien einhergeht, wird hier mit Worthülsen im Predigerduktus abgehandelt.

Depeche Mode: „Spirit“ (Sony Music)

Fast alle Songs von „Spirit“ – live sind etwa noch „So Much Love“ und „Cover Me“ zu hören – wirken unausgereift, auf die Schnelle zurechtgeschustert; man wundert sich schon, dass ausgerechnet Depeche Mode so wenig Substanzielles zum Zustand der Welt zu sagen haben. All das wird natürlich kaum an ihrem Mythos kratzen, man wird das Album eben schnell vergessen.

Dass dieser Auftritt dennoch gar nicht übel ist, liegt daran, dass Depeche Mode große Songs wie „World In My Eyes“ oder „Barrel Of A Gun“ einstreuen. Sie haben eben ein ganzes Genre geprägt, das stellen sie während dieser Songs unter Beweis. Es liegt auch an der erkennbaren Spiel- und Tanzfreude Gahans, dem die knappe Stunde ausreicht, um das Publikum um den Finger zu wickeln. So hatte dieses Konzert das, woran es dem neuen Album mangelt: Spirit.

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