Neues Album von Jason Grier: Herausforderungen unter der Dusche

Auf seinem Label veröffentlicht der kalifornische Künstler Jason Grier Avantgarde-Pop. Nun erscheint sein Album „Unbekannte“. Ein Porträt.

Jason Grier in seiner Wahlheimat Berlin. Bild: Kyra La Marianna

Vasari, der große Kunstgelehrte der Renaissance, war eigentlich selbst Künstler und Architekt. Genoss er als Kritiker und Theoretiker großes Ansehen, so wurde seine Kunst als zu trocken und ohne „Genius“ angesehen.

Jason Grier ist gewiss kein neuer Vasari. Aber er ist ein Kenner der Musik. Seit einigen Jahren betreibt er das Label Human Ear Music für anspruchsvollen Avantgarde-Pop. Mit zwei Soloprojekten, dem Album „Clouds“ von 2012 und dem neuen Album „Unbekannte“ hat er sich nun dieser Angreifbarkeit hingegeben, die Vasari zeitlebens grämte, sein theoretisches Wissen über Musik in künstlerische Formen zu bringen.

Aus einer Fülle von musikalischen und poetischen Referenzen hat Grier sein Debütalbum „Clouds“ konzipiert. Brian Enos Ambientsound aus den Siebzigern, R&B, oder ein mittelalterlicher Hoquetus – auf dem Album ein liebliches, mit Julia Holter eingesungenes Duett – formte Grier zu einem minimalistisch klaren Pop. Jetzt, ein Jahr später, schlägt Grier mit seinem zweiten Werk „Unbekannte“ konzeptionell einen neuen Weg ein.

Jason Grier: „Unbekannte“ (Human Ear Berlin/Cargo)

Live: 8. März 2014, Madame Claude, Berlin

„Unbekannte“ zerfällt in eine weite Klanglandschaft. Noch greifbar beginnt das Album mit einem warmen, repetitiven Chorus, doch zusehends läuft es in mysteriöse Experimente über. Songstrukturen fehlen, dafür erklingen Poesie, Feldaufnahmen, ja sogar Stille. Als „ewige Verschlaufung von Aporie und Noesis“ bezeichnet Jason Grier selbst sein Werk.

Befreit von einer Dogmatik der Komposition, bewegt sich Grier in „Unbekannte“ rund um einen Zustand von Ungewissheit. „Bei ’Clouds‘ wusste ich vorab, wie ein Song aussehen würde“, sagt er im Gespräch, „für ’Unbekannte‘ habe ich hingegen Künstler ins Studio gebeten, um mit ihnen zu improvisieren. Ein Album mit Field-Recordings gab die einzige Struktur.“

Befreit von Kompositions-Dogmatik

„Unbekannte“ basiert auf Zufällen, Fehlern und Intuition. Stringent zieht Grier das Konzept der Ungewissheit durch. Der erste Song ist ihm morgens unter der Dusche eingefallen. Eine Melodie, derer er sich nicht mehr sicher war, als er sie ein paar Stunden später aufnahm: „Baby I don’t know right now / How it’s supposed to be for sure“, singt er schließlich über die morgendliche Badezimmer-Routine.

Jason Grier kommt aus der bildenden Kunst. Geboren in Baltimore, studierte er an der CalArts in Los Angeles. Sein musikalischer Ansatz innerhalb eines Gerüsts aus historischen und zeitgenössischen Referenzen ist konzeptionell, aber interdisziplinär frei. Bei der Produktion von „Unbekannte“ ließ er sich von visuellen Eindrücken leiten: „Am Ende jedes Studiotages habe ich mir alle Spuren gleichzeitig angehört.

Das war laut, hart, quälend, aber es kamen interessante Strukturen zum Vorschein. Schaute ich mir die Soundspuren auf dem Display an, entstand eine schöne Form, auch wenn sie nur zehn Sekunden zu sehen war. Ich habe dann diese Sequenz als Loop abgespielt. Fast alle Songs habe ich so konstruiert.“

Griers Anfänge in der Musik liegen in der Zeit an der CalArts: Gemeinsam mit Ariel Marcus Rosenberg, besser bekannt als Ariel Pink, spielte er in einer Band. Es war aber weniger das Musikmachen selbst als das Medium, das ihn schließlich bei der Musik hielt. „Die Tragbarkeit von Musik, die Möglichkeit, dass sie simultan wahrgenommen werden kann, begeistert mich. Es ist die pure Wahrnehmung, die sich nicht mehr anhand eines Materials messen lässt.“

Grier gründete sein eigenes Label Human Ear Music 2006 in Los Angeles. Mittlerweile lebt er in Berlin. Spricht Grier über sein 1-Mann-Label, dann greift er erneut auf die bildende Kunst zurück. Nicht als Label-Boss sieht er sich, sondern als Kurator, der mit seiner Auswahl eine musikalische Aussage treffen möchte. „Alle Künstler stehen mit ihrer Musik in der Peripherie von etwas. Vielleicht arbeiten sie in mehreren Peripherien, aber alle haben die gleiche Distanz zu einem künstlerischen Zentrum.“

Zwischen Experiment und Pop bewegen sich die Künstler auf Griers Label: Ariel Pink, Julia Holter, Nite Jewel, Lucrecia Dalt, Ekkehard Ehlers und Bruegel – „Künstler, zu denen ich langsam eine Beziehung aufgebaut habe. Meist dauert es Jahre, bis wir gemeinsam entscheiden, ein Album zu machen. Und jedes neue Album formt mein Label wieder neu.“

Morphologie der Stile

Kürzlich veröffentlichte Grier eine Compilation mit remasterten Aufnahmen seines seit 2006 angewachsenen Archivs. Unter dem schlichten Titel „Various Artists“ zusammengefasst, verkündet er seine Vision einer zeitgenössischen Avantgarde: Es ist ein 30-stündiges Mammutwerk, das Pop von John Maus oder Maria Minerva mit Akademischem von Michael Pisaro verbindet. Es ist die Studie einer Morphologie musikalischer Stile, denen sich Jason Grier widmet, als Labelbetreiber und als Musiker. „Ich sitze in einer musikalischen Landschaft, die im 13. Jahrhundert beginnt und bis nach L.A., Detroit oder Mexiko von heute reicht. Ich fühle die Notwendigkeit, all das musikalisch zusammenzubringen.“

Musik, meint Grier, sollte schwierig sein, in ihr sollte so viel Information wie möglich stecken. Die Informationen dann noch richtig zu verbinden, ist eine Herausforderung. Selbstverständlich ist dann auch Griers neues Album „Unbekannte“ eine Herausforderung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.