Neues Volksbegehren in Berlin: Werben für ein Ende der Werbung

Was anderswo bereits Wirklichkeit ist, soll auch in Berlin möglich werden: viel weniger Werbung im Stadtbild. Ab sofort werden Unterschriften gesammelt.

Verregneter Auftakt: „Berlin Werbefrei“ am Dienstag auf dem Kreuzberger Moritzplatz Foto: Claudius Prößer

Zwei Plakatwände am Moritzplatz: Eines wirbt für das Berliner Netzwerk Selbsthilfe, das andere für einen Snack aus Hähnchenfleisch. Davor ein Dutzend AktivistInnen, die gut gelaunt skandieren: „Berlin wird schö-ner, wer-be-frei!“ Einige halten die Zeichnung eines missmutigen Bären hoch. Er ist der populären Internet-Ikone „Grumpy Cat“ nachempfunden, und seine Botschaft lautet: „Werbung? Nö.“

„Wenn wir Werbung in der Zeitung sehen, können wir umblättern“, ruft ein Mann ins Mikrofon, „im Internet können wir einen Adblocker einschalten. Aber im öffentlichen Raum sind wir Werbung ausgeliefert.“ Berlin sei eine bunte Stadt, das wolle man stärken, und dazu brauche es keine Werbung. „Grenoble und São Paulo haben es vorgemacht: Es geht auch ohne!“

Worum es hier geht? Um das „Antikommodifizierungsgesetz“ – ein Wort, so lang, dass es in keine gewöhnliche Zeitungsspalte passt. Und das nicht die Abschaffung von Schubladenmöbeln meint, sondern die massive Einschränkung von Werbung im öffentlichen Raum. Seit gestern sammelt die Initiative „Berlin Werbefrei“ Unterschriften für die Zulassung eines Volksbegehrens. Es soll den Entwurf des Gesetzes ins Abgeordnetenhaus einbringen und gegebenenfalls – wenn die ParlamentarierInnen es ablehnen – den Weg zum Volksentscheid freimachen.

Schon seit Sommer hat die Gruppe um Ideengeber Fadi el-Ghazi den Entwurf vorgelegt. Dann zog sich allerdings der Prozess in die Länge, weil die amtliche Kostenschätzung des Senats den AktivistInnen überzogen schien. Tatsächlich wurden auf ihre Beschwerde hin die erwarteten Mindereinnahmen des Landes nach unten korrigiert: Jetzt sind es statt 81 nur noch 31 Millionen Euro, die Senatsverwaltungen und Bezirken im Jahr verloren gehen sollen. Nach der Rechnung der Initiative sind das ungefähr 0,1 Prozent des Landeshaushalts.

Grundsätzlich will die „Initiative Werbefrei“ ein Werbeverbot in Kitas, Schulen und sonstigen öffentlichen Einrichtungen erreichen – aber eben auch auf öffentlichem Straßenland. Kommerzielle Produkt- und Dienstleistungswerbung soll nur noch an Orten zulässig sein, um die es in der Werbung geht – etwa an Läden oder Gaststätten.

An Litfaßsäulen, Haltestellen und anderen Werbeflächen sollen nur Veranstaltungswerbung und gemeinnützige Aushänge erlaubt sein. Außerdem soll es keine digitalen Werbeflächen im öffentlichen Raum mehr geben. Was übrig bleibt, darf weder herabwürdigend noch diskriminierend sein. So sollen Fastfood, Smartphones und dünn bekleidete Models weitgehend aus dem Berliner Straßenbild verschwinden.

Die Ware Stadt

„Kommodifizierung“ bedeutet laut „Berlin Werbefrei“, dass „die Stadt zur Ware und der öffentliche Raum kommerzialisiert“ wird. „Die Gestaltung des öffentlichen Raums ist wesentlicher Aspekt einer lebenswerten Stadt und darf nicht profitorientierten Firmen wie Ströer oder Wall überlassen werden.“ Damit ist der Zungenschlag klar antikapitalistisch. Vermieden wird dagegen eine ästhetisierende Kritik.

Entsprechend soll auch gar nicht alle Werbung im öffentlichen Raum wegfallen: Kultur, Veranstaltungshinweise, gemeinnützige Zwecke, all das könne bleiben, sagt Initiativen-Sprecher Joschka von Unruh. Also wohl auch das Plakat des Selbsthilfe-Netzwerks, vor dem die Gruppe steht. Dass das Gesetz teuer käme für das Land Berlin, das gerade dabei ist, neue, lukrativere Verträge mit den Betreibern von Werbeanlagen abzuschließen? Von Unruh findet, das könne sich die Stadt leisten.

Beim Senat ist man vorsichtig in der Beurteilung von „Berlin Werbefrei“. „Wir sind inhaltlich gar nicht so weit auseinander“, sagt Petra Rohland, Sprecherin der Stadtentwicklungsverwaltung. Deshalb sähen die neuen Verträge auch eine Reduzierung der großen, zunehmend digital betriebenen Anlagen vor. Man dürfe aber nicht vergessen, dass das eingenommene Geld für Aufgaben wie die Bereitstellung öffentlicher Toiletten gebraucht werde.

Fans bei Grünen und Linken

Zeigen muss sich, wie die zumindest traditionell konsum- und werbekritischen Koalitionspartner sich dazu verhalten. Der Landesverband der Grünen signalisierte gestern Zustimmung: „Das Stadtbild ist derzeit zu sehr von Werbung geprägt. Eine Debatte darüber ist dringend notwendig, denn der öffentliche Raum gehört allen“, sagte der Vorsitzende Werner Graf der taz.

Auch Katalin Gennburg von der Linken im Abgeordnetenhaus kann viele ihrer Positionen im „Antikommodifizierungsgesetz“ wiederfinden, auch wenn sich die Fraktion noch nicht auf eine gemeinsame Position festgelegt habe. „Die wirklich gewinnbringenden Werbeflächen helfen ja den multinationalen Konzernen und nicht dem Mittelstand“, so Gennburg zur taz – und dem Gemeinwohl schon gar nicht Da müsse man als linke Regierung eigentlich die Ziele des Volksbegehrens teilen.

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