Neufassung Kinder- und Jugendgesetz: Rebellion gegen Reform

Sind Eltern mit ihren Kindern überfordert, wird der Staat tätig. Ein Gesetz dazu wird gerade überarbeitet. Zum Schlechten, meinen Verbände.

Jugendliche beim Essen

Das neue Jugenschutzgesetz beinhaltet nicht viel Gutes Foto: ap

HAMBURG taz | In der Jugendhilfe brodelt es. Seitenweise findet sich auf den Homepages diverser Fachverbände Kritik an einer Gesetzesreform von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD). Nicht wie versprochen „vom Kinde her“, sondern „vom Staate her“ seien diese Paragrafen gedacht, mahnt der ehemalige Leiter des Hamburger Jugendamts, Wolfgang Hammer, jetzt in einem Appell. Er fordert, das Vorhaben zu stoppen. Auch der Paritätische Gesamtverband in Berlin rät Schwesig, „zurück auf los“ zu gehen. Die bisherigen Entwürfe seien „mit bloßen Textkorrekturen nicht zu heilen“, so Fachreferent Norbert Struck.

Was bisher nur in Fachforen diskutiert wird, betrifft immerhin die Lebenswelt von rund 1,5 Millionen Kindern in Heimen und Familienhilfen und rund 800.000 Fachkräften. Lange blieben die Pläne geheim, erst seit Ende August liegt der „Arbeitsentwurf“ für eine radikale Reform des achten Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) vor, die noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Doch es würden weniger die Kinderrechte gestärkt, so die Kritik, sondern die Macht des Staates.

Bisher haben Eltern, etwa wenn sie überfordert sind, einen Rechtsanspruch auf „Hilfen“ bei der Erziehung. Das Jugendamt, die Anbieter, Eltern und Kind handeln die geeignete Form der Hilfe aus, etwa Beratung, Begleitung im Alltag oder gar ein Heimplatz. Dieser Rechtsanspruch werde „entkernt“, meint Struck. Denn künftig soll letztendlich das Jugendamt entscheiden. Und sofern „infrastrukturelle Angebote“ den Bedarf decken könnten, also etwa der günstigere Besuch von Mütter-Kind-Treffs, sollen diese vor individuell zugewiesenen Sozialarbeitern bevorzugt werden.

Für junge Volljährige soll die allgemeine Jugendsozialarbeit, wie beispielsweise Ausbildungshilfen, sogar regelhaft Einzelhilfen ersetzen. Und Kleinstheime, in denen eine familienähnliche Lebenssituation besteht, sollen laut Hammer nicht mehr als Einrichtung zählen, sondern als schlechter finanzierte Pflegefamilie.

Auf die Jugendämter kommt mehr Bürokratie zu. Aus vormals drei Vorschriften zur Hilfeplanung sollen nun neun werden. Er fürchte, dass nun „die Stunde der ‚Formal-Organisierer‘ schlägt“, schreibt der Koblenzer Sozialwissenschaftler Christian Schrapper. Eine Reform sei nötig, „aber nicht diese“.

Der allmächtige Staat

Auch die Rechte der Anbieter werden laut Entwurf arg beschnitten. Bisher hatte jeder qualifizierte Träger einen Anspruch, dass der Staat mit ihm eine Vereinbarung zur Kostenübernahme trifft, sollten die Eltern sich für sein Angebot entscheiden. Daraus wird eine „Kann-Regelung“. Sprich: Eine Kommune kann das auch verweigern. „Die Träger der freien Jugendhilfe werden de facto rechtlos gestellt“, kritisiert Norbert Struck.

Ehemaliger Jugendamtsleiter

„Mehr Staat geht nicht“

Auch über die „Art der Finanzierung“ soll die öffentliche Hand entscheiden. „Mehr Staat geht nicht“, sagt Jugendhilfe-Experte Hammer. Dieser neue Staat sei aber kein fürsorglicher mehr, sondern ein „allmächtiger, der allein weiß, was gut und richtig ist, und der vorhat, mit dieser Reform die Kosten in der Kinder-und Jugendhilfe in den Griff zu kriegen“.

Schwesigs Ministerium äußert sich nicht zu der Kritik. Man habe im September vier Fachgespräche mit Verbänden geführt, bestätigt ein Sprecher. Alle Hinweise würden jetzt „geprüft und ausgewertet“.

Doch über der Jugendhilfe schwebt noch ein weiteres Drohszenario. Die Länder verhandeln in diesen Tagen mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erneut über eine „Regionalisierung der Sozialgesetzgebung“. Das hieße, dass die Ansprüche von Bundesland zu Bundesland variieren – je nach Kassenlage. „Das wäre eine Katastrophe für alle Familien, Kinder- und Jugendliche“, warnt der Jugendpolitiker Norbert Müller von der Linksfraktion im Bundestag. Länder und Kommunen könnten dann nach Gutdünken Standards absenken, Angebote und Hilfen streichen. Das Thema wurde vergangene Woche bereits im Koalitionsausschuss besprochen. Im Anschluss hatte CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt erklärt, dass die Länder bei den Hilfen für über 18-Jährige eigene Gesetzeskompetenz erhalten sollen.

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