Neuroökonom über Kaufentscheidungen: „Wir setzen gern auf Routinen“

Das Internet verändert auch die Art und Weise, wie wir Preise wahrnehmen. Das hat nicht nur Nachteile für den Kunden, sagt Bernd Weber.

Eine Frau geht durch einen Duty-Free-Shop

Bei der Kaufentscheidung spielen unbewusst zahlreiche Faktoren eine Rolle Foto: dpa

taz: Herr Weber, was ist ein guter Preis?

Bernd Weber: Ein guter Preis ist einer, der den Erwartungen des Verbrauchers entspricht.

Welche Erwartungen hat denn der Verbraucher?

Was Verbraucher erwarten, das hängt vor allem von ihren Erfahrungen ab. Also von dem, was jemand in der Vergangenheit für Preise gesehen hat und wie viel er für ein bestimmtes Produkt zahlen musste.

Aber diese Erfahrungen sind doch extrem unterschiedlich.

Genau das ist das Problem. Zudem haben die meisten Verbraucher ein ziemlich schlechtes Preiswissen, das zeigen Untersuchungen. Das Gehirn scheint Preise nicht sehr gut zu speichern. Wir lassen zum Beispiel in Versuchen Probanden die Zahlungsbereitschaft für Lebensmittel angeben. Bei einem Joghurt etwa kann die schon mal zwischen zwanzig Cent und zwei Euro schwanken.

40, ist Professor an der Universität Bonn und einer der Gründer des dortigen Zentrums für Ökonomie und Neurowissenschaften. Er forscht unter anderem dazu, wie Menschen Entscheidungen treffen.

Dabei werden Joghurts ja relativ häufig gekauft – anders als beispielsweise Waschmaschinen.

Ja, bei Waschmaschinen wird es richtig kompliziert. Im Gegensatz zu so etwas wie Joghurt oder Butter sind Waschmaschinen unheimlich vielschichtige Güter, da kann man zwischen ein paar hundert und mehr als tausend Euro alles ausgeben. Und je mehr Unterschiede geboten werden und je breiter die Preisspannen sind, desto schwieriger wird die Kaufentscheidung für den Kunden.

Trotzdem schaffen es täglich Menschen, eine Waschmaschine zu kaufen.

Ja, denn – auch wenn es den meisten nicht klar ist – sie treffen Kaufentscheidungen vor allem unbewusst.

Jemand greift also nicht zu dem Joghurt, der besser schmeckt, sondern dem, der schicker verpackt ist?

Natürlich ist Geschmack eine wichtige Komponente. Aber erstens kann der nicht beurteilt werden, wenn das Produkt zum ersten Mal gekauft wird. Und zweitens beeinflussen andere Faktoren den Geschmack, etwa die Verpackung. Wir haben das mit Kindern getestet. Die waren bereit, für einen Joghurt in einer schönen Verpackung mehr zu leisten, als für einen schlichteren. Bei Erwachsenen gab es eine Studie mit Wein: Er schmeckte Probanden besser, wenn sie glaubten, es sei ein teurer Wein.

Das läuft alles unbewusst?

Ja, das und noch einiges mehr. Auch Warnsignale, etwa Lebensmittelampeln, die fett- und zuckerreiche Lebensmittel rot kennzeichnen, werden so verarbeitet.

Und halten so unbewusst vom Kauf ab?

Genau. Das unbewusste Treffen von Entscheidungen entlastet unser Gehirn. Zudem ist die Fähigkeit, bewusste Entscheidungen zu treffen, auch abhängig von der Tageszeit: Abends ist schon viel Energie verbraucht, da noch eine bewusste Entscheidung zu treffen, ist sehr anstrengend. Wir setzen daher gern auf Routinen, kaufen immer die gleiche Butter, immer das gleiche Brot.

Aber wie funktioniert das, wenn es noch keine Routine für ein Produkt gibt?

Auch da gibt es Mechanismen, nach denen das Gehirn funktioniert. Zum Beispiel wählen Verbraucher bevorzugt das Produkt, auf das sie als Erstes schauen. Ein Vorteil also für die Produkte, die sich im Supermarkt auf Augenhöhe befinden oder für die, die bei einer Produktsuche im Internet ganz oben auftauchen.

Onlinehändler setzen zunehmend darauf, ihre Preise häufiger zu ändern. Zum Beispiel nach Tageszeit oder abhängig vom bisherigen Surf- oder Kaufverhalten der Kunden. Wie wirkt sich das aus?

Für das Gehirn wird es dann noch schwieriger, Preise zu speichern. Und damit wird es für Verbraucher gleichzeitig schwieriger, zu beurteilen, ob ein Preis nun angemessen ist oder nicht. Das kann dazu führen, dass Verbraucher im Zweifelsfall von einem Kauf absehen.

Warum?

Eine Kaufentscheidung aktiviert im Gehirn, vereinfacht gesagt, zwei gegensätzliche Systeme: Das eine ist das Belohnungssystem. Also das, was auch bei einem Schokoladenliebhaber aktiv wird, wenn er Schokolade sieht. Das andere hängt stark mit Schmerzempfinden zusammen. Das wird aktiv, wenn es um den Preis geht. Soll es zu einem Kauf kommen, muss also der Reiz für das Belohnungsystem stärker sein als der für den Zahlungsschmerz.

Das wäre also dann ein guter Preis?

Ja, so könnte man das sagen.

Und warum sollten Kunden in so einem Fall nicht kaufen, wenn sie doch gar keine Vorstellung von einem angemessenen Preis haben?

Weil die Entscheidung immer schwieriger wird. Und Menschen mögen Unsicherheit nicht. Wenn sie also das Gefühl haben, dass der Preis, den sie genannt bekommen, eher unsicher ist, kann das von einem Kauf abhalten.

Unternehmen versprechen sich von wechselnden und individuellen Preisen aber steigende Umsätze.

Klar. Das funktioniert in dem Moment, wo es der Händler schafft, den guten Preis zu treffen. Also den, den der Kunde bereit ist, zu zahlen. Das geht aber nur, solange der Kunde davon nichts mitbekommt. Wenn er sieht, dass der Freund neben ihm auf dem Smartphone einen ganz anderen Preis bekommt oder lernt, dass Preise schwanken und am nächsten Tag viel niedriger sein können – dann nimmt die Verunsicherung überhand. Ganz zu schweigen vom schwindenen Vertrauen zwischen Kunden und Händler.

Nun ist es in anderen Ländern durchaus üblich und auch hier noch gar nicht so lange her, dass Preise individuell verhandelt sind. Etwa auf Märkten. Müssten Kunden dann nicht völlig verwirrt gar nichts mehr kaufen?

Nein, das ist eine ganz andere Herangehensweise an die Kaufentscheidung. Zum Verhandeln gehört ein gutes Preisempfinden. Vielleicht nicht dazu, was die Ware objektiv wert ist, aber dazu, was man subjektiv bereit ist, zu zahlen. So eine Herangehensweise ist von dem Umfeld, in dem man sich bewegt, geprägt, das heißt, sie ist erlernbar.

Wechselnde Preise im Internet könnten also dazu beitragen, dass auch hierzulande das Handeln wieder üblich wird?

Es ist jedenfalls gut möglich, dass die Hemmschwelle dazu sinkt. Einfach, weil Preise nicht mehr als in Stein gemeißelt wahrgenommen werden. Tatsächlich zeichnet sich diese Veränderung in der Wahrnehmung bereits ab: Dass Kunden Preise vergleichen, ist sehr viel einfacher und üblicher als noch zu Vor-Internetzeiten.

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