Nina Hoss als „Hedda Gabler“: Die Lady mit dem Colt

Elegant gleitet die Inszenierung der „Hedda Gabler“ in Berlin durch die Zeiten. So elegant wie Nina Hoss als Titelheldin, für die Stil mehr als Moral zählt.

Nicht als ein wenig ziellose Bosheit: Nina Hoss als „Hedda Gabler“. Bild: Deutsches Theater/Arno Declair

Das Bühnenbild von Barbara Ehne ist ziemlich lustig. Für das erste Bild der „Hedda Gabler“, die Stefan Pucher im Deutschen Theater in Berlin inszeniert hat, hat sie einen dunklen, schweren und schmalen Raum gebaut, dessen sich vorwölbende Wände mit Holzbalken verkleidet sind.

Kein Wunder, dass Hedda Gabler, ganz elegante Jugendstilsilhouette mit Spitzenbesatz, in diesem Albtraum nordischer Mystik sofort Beklemmungen kriegt und neue Möbel anschaffen will.

Ihr Mann Jörgen Tesman (Felix Goeser), Privatdozent, der sich kurz vor der Berufung zum Professor glaubt, fühlt sich dagegen recht behaglich in der schmalen Nische zwischen Kamin und Wanduhr. Unglaublich klein kann sich der große Goeser machen. Womit über die Aussichtslosigkeit dieser Beziehung schon ziemlich viel gezeigt ist.

Die Räume zwei und drei entsprechen sicher schon eher dem exzentrischen Stilwillen der frisch getrauten Hedda, die gerade zu ahnen beginnt, dass die Wahl ihres Ehemannes doch nicht das richtige Ticket für ihren gesellschaftlichen Ehrgeiz war. Raum zwei ist kühle Bauhaus-Moderne in Schwarz-Weiß, Raum drei glüht im Rot und Orange von Siebziger-Jahre-Dekors. Hier wie dort aber bilden die gebogenen Liegen aus Stahlrohr oder Plastik dem schöne Haltungen suchenden Körper von Hedda kaum einen Halt. Sie hibbelt hin und hibbelt her.

Dass auch ihrem Geiste jeder Ruhepol fehlt, erfährt dabei Eilert Lövborg (Alexander Khuon), ihr früherer Verehrer und als Historiker Konkurrent ihres Mannes, ebenso wie Amtsgerichtsrat Brack (Bernd Moss), der gerne als Hausfreund bei ihr gelandet wäre. Er als Einziger durchschaut ihre Kälte und den Hang zu Intrigen. Doch keiner von beiden entspricht ihren Träumen.

Großes Kino wäre gut

Ja, wovon träumt sie denn? Groß muss es sein und schön, mehr weiß diese Hedda auch nicht. Leinwände über der Bühne helfen, ihre Fantasien auszumalen. Da liegt sie hingegossen wie eine Femme fatale des 19. Jahrhunderts auf der Chaiselongue, da reitet sie als Lady mit dem Colt durch die Westernstadt und erledigt alle (Ehemann, Verehrer, Freundin), da schmückt sie der Schmerz einer Witwe unterm schwarzen Schleier. Im Programmheft dankt das Theater dem Filmpark Babelsberg.

Großes Kino hätte diese Hedda gern. Und hat bloß einen Ehemann, der ihr peinlich wird, weil es doch nichts wird mit seiner Karriere als Kulturhistoriker.

„Kommt in einer neuen Erzählung oder in einem Schauspiel eine interessante Frauengestalt vor, glaubt sie, die Schilderung beziehe sich auf sie“, schrieb Henrik Ibsen in seinen Notizen, als er an dem 1890 erschienenen Drama arbeitete. Diesen Aspekt buchstabiert die Inszenierung von Pucher äußerst genüsslich aus, nicht nur mit den Filmeinblendungen, sondern auch mit wilden Songs, die Heddas Sehnsüchte weiterdichten und bis in die Gegenwart dehnen.

Mit der Musik, wenn die Schauspieler zu Instrumenten und Mikros greifen, verschmelzen die unterschiedlichen Zeithorizonte. Diese „Hedda Gabler“ spielt vor 120 Jahren, in der frühen Moderne, im Futurismus der siebziger Jahre und heute – und immer passt es. Das ist ein erstaunliches Kunststück.

Kein schmeichelhaftes Frauenbild

1974 schrieb die US-Schriftstellerin Elizabeth Hardwick über Hedda Gabler: „Moralisch ist sie ganz und gar Schwäche. Es gibt in ihr keine kompensierende Tugend, aber einen Vorteil besitzt sie, den Vorteil, Stil zu haben.“ Diese innere Hohlheit bei äußerster Eleganz spielt Nina Hoss mit großer Bravour. Sie, die in vielen Filmrollen gerade für das fein ausgearbeitete psychische Drama unter der Oberfläche gelobt und geliebt wurde, karikiert hier gewissermaßen auch die eigene Kunst.

Da ist nicht viel unter der schönen Oberfläche außer ein wenig zielloser Bosheit. Ihr letzter Ehrgeiz ist es schließlich, ihren Exverehrer in den Selbstmord zu treiben. „Einmal im Leben will ich Macht besitzen über das Schicksal eines anderen Menschen“, sagt sie.

Es ist nicht grade ein schmeichelhaftes Frauenbild, das Ibsen in diesem Drama zeichnete. Weil er doch der Autor war, der in „Nora“ den eng beschnittenen Raum der Handlungsmöglichkeiten der Frauen so scharfsichtig wie kaum einer seiner Zeitgenossen analysiert hat, liegt die „Hedda Gabler“ einer Lektüre, die nach emanzipatorischen Ermutigungen und Legitimierungen sucht, wie ein Stein im Weg.

Pucher gelingt es trotzdem, Heddas Feigheit und Faulheit in keiner Hinsicht zu beschönigen und sie dennoch nicht einfach an die Verachtung zu verraten. Denn indem er ihre völlig haltlosen Träume kurzschließt mit Mythen der Popkultur, lässt er Hedda gewissermaßen im gleichen Boot sitzen wie wir Zuschauer.

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