Nobelpreisträger Derek Walcott gestorben: Ein Homer aus der Karibik

Der in St. Lucia geborene Autor galt als Weltpoet, als Mittler zwischen karibischem Lebensgefühl und westlicher Kulturtradition.

Porträt Walcott

Derek Walcott im Jahr 2012 Foto: dpa

CASTRIES dpa | Im Werk von Derek Walcott ist die Karibik immer präsent. Das Meer ist ein wiederkehrendes Motiv, auch Mythen und Mundart seiner Heimatinsel St. Lucia durchziehen seine mehr als 20 Gedichtbände. Zugleich reihen sich seine Epen in die Tradition abendländischer Literatur ein. Bei Kritikern galt er als „zeitgenössischer Homer“. Am Freitag ist Walcott im Alter von 87 Jahren im Kreis seiner Familie in Cap Estate auf St. Lucia gestorben.

„Die Kulturgemeinde, St. Lucia und die Welt haben eine literarische Ikone verloren“, hieß es in dem Nachruf der Stiftung für kulturelle Entwicklung des Karibikstaats St. Lucia. „Unsere Nation ist zweifellos stolz und geehrt, ihn einen wahren Sohn von St. Lucia nennen zu dürfen.“

Für sein bis dahin eher einem kleinen Leserkreis bekanntes Werk erhielt Walcott 1992 den Literaturnobelpreis. Der Nachfahre von Sklaven war damals der erste Schriftsteller eines kleinen Karibik-Inselstaates, dem diese Ehrung zu Teil wurde.

Er werde „für ein poetisches Werk großer Leuchtkraft“ ausgezeichnet, das von der historischen Vision eines multikulturellen Engagements getragen werde, begründete das Nobel-Komitee seine Entscheidung. Für Walcott sei wichtig gewesen, dass die mündliche Tradition seines Landes auch in Schriftform zu einem „Meer von Gedanken und Emotionen“ werde, urteilte der US-Autor und Herausgeber Arthur Vogelsang.

Ein Niemand oder eine Nation

Walcott wurde am 23. Januar 1930 in St. Lucias Hauptstadt Castries geboren. Er hatte afrikanische und europäische Vorfahren. Dies „ist wahrscheinlich typisch für die Karibik: jeder ist eine Mischung von irgendwas“, sagte der Lyriker 2005 in einem Interview. In seinem Gedicht „The Schooner Flight“ schrieb er: „In mir steckt Holländer, Nigger und Engländer – entweder ich bin ein Niemand oder eine Nation.“

Auf der Karibikinsel St. Lucia wird neben der Amtssprache Englisch auch das auf Französisch basierende Antillen-Kreolisch gesprochen. Das Gemisch seiner Kindheit aus Katholizismus, Musik und Ritualen aus Afrika und Lektüren englischer Literatur sei sehr ergiebig für ihn gewesen, erklärte Walcott.

Er war ein fruchtbarer Autor: Auf Englisch sind von ihm mehr als 20 Gedichtbände und über 30 Theaterstücke erschienen. Als sein wichtigstes Werk gilt das 1990 publizierte Versepos „Omeros“, eine Adaptation des Trojanischen Kriegs als sozialer Konflikt zwischen Fischern in der Karibik.

Leben in den USA und Großbritannien

1953 zog Walcott als 23-Jähriger auf die benachbarte Insel Trinidad, wo er jahrelang als Theater- und Literaturkritiker arbeitete. Seine erste Gedichtsammlung hatte er bereits fünf Jahre zuvor veröffentlicht. Später ließ er sich als Literaturdozent in den USA nieder. An der Boston University gründete er 1981 die Theatergruppe Boston Playwright's Theatre. Von 2010 bis 2013 lehrte er Poesie an der Universität von Essex in Großbritannien.

2010 erhielt Walcott den britischen T.S. Eliot-Literaturpreis für seinen Gedichtband „White Egrets“. Seit längerer Zeit lebte der Lyriker überwiegend wieder in St. Lucia. Auf Deutsch sind von ihm unter anderem „Der verlorene Sohn“ (2007) und „Mittsommer/Midsummer“(2001) erschienen.

Jetzt trauert die kleine Karibikinsel St. Lucia um ihren Literaturgiganten. Zur Unabhängigkeitsfeier 2016 war er zum Sir geschlagen worden. „Er war immer sehr offen, was die Kultur und das Erbe der Insel angeht“, hieß es im Nachruf der Kulturstiftung. „Seine Liebe für St. Lucia und die Karibik war offensichtlich.“

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