Obama in Hannover: Der unsichtbare Präsident

Barack Obamas Besuch verwandelt weite Teile Hannovers in eine Hochsicherheitszone. Im Einsatz sind mehr als 5.000 Polizisten, die Kontrollen sind massiv.

Wo ist denn der Präsident? Wenn die Sicherheitskräfte ihre Arbeit machen, bekommt der Normalbürger Obama nicht zu sehen. Foto: Peter Steffen (dpa)

HANNOVER taz | „Obama? Hören Sie auf!“ Wer Passanten in Hannovers noblem Zooviertel auf den Besuch des US-Präsidenten anspricht, stößt auf wenig Begeisterung. „Die Sache nervt nur noch“, sagt ein Mittfünfziger, der seinen Namen „lieber nicht“ in der Zeitung lesen will. „Ich lebe in einer der Sicherheitszonen“, erklärt er – am Sonntagabend hat Obama in der angrenzenden, vornehm „Congress Centrum“ genannten Stadthalle die Hannover-Messe eröffnet und dabei kräftig Werbung für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP gemacht. Bei der weltweit größten Industrie-Leistungsschau sind die USA in diesem Jahr Partnerland.

„Für uns bedeutet das: Autos müssen weg, Besuch musste eine Woche vorher angemeldet werden“, ärgert sich der Anwohner des Viertels, in dem bis vor Kurzem Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wohnte und in dessen Prunkvillen Investmentfirmen wie die des Schröder-Kumpels Carsten Maschmeyer, der mit dem Finanzvertrieb AWD zum Milliardär wurde und seither als Drückerkönig gilt, ihren Sitz haben. „Völlig übertrieben“ seien die Sicherheitsvorkehrungen, ärgert sich der Mittfünfziger aus dem Zooviertel.

Tatsächlich versetzt die gerade einmal 30-stündige Stippvisite des mächtigsten Menschen der Welt Teile der niedersächsischen Landeshauptstadt seit Wochen in eine Art Ausnahmezustand. Begleitet von Kamerateams zogen schon Anfang April Polizisten von Haus zu Haus, um die Bewohner über Einschränkungen zu informieren. „Weg vom Fenster“ lautete die krasseste: Wer mitbekommt, dass sich Obamas Fahrzeugkolonne nähert, solle auf keinen Fall versuchen, dem Präsidenten zuzuwinken. „Überprüfungen der Wohnungen könnten die Folge sein“, warnte Hannovers Stadtverwaltung auf ihrer Homepage. Wer irgendwie auffällig wirkt, dem wird im Zweifelsfall die Tür eingetreten, heißt das wohl im Klartext.

Dass das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nichts mehr gilt – was offenbar mit der Begründung „Gefahr im Verzug“ gerechtfertigt werden soll – zeigt, wie hoch die US-Sicherheitskräfte das Gefährdungspotenzial ihres Staatsoberhauptes einschätzen. Rund 5.000 Polizisten und etwa 600 Geheimdienstmitarbeiter sollen Obama vor Anschlägen bewahren. „Die Polizeidirektion Hannover bereitet sich seit Monaten akribisch auf diesen Einsatz vor“, versicherte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD).

Insgesamt fünf Sicherheitszonen haben die Beamten in der Region Hannover eingerichtet: Im Zooviertel gab es schon ab Samstagmorgen Personen- und Fahrzeugkontrollen. Am Sonntag durften dort zwischen 14 und 22 Uhr überhaupt keine Autos mehr fahren. Und selbst angemeldete Besucher standen in dieser Zeit unter einer Art Hausarrest: An- und Abfahrt seien „nicht möglich“, hieß es in einer warnenden Anwohnerinformation der Polizeidirektion Hannover. Auch Fahrräder mussten weg – oder wurden von Sicherheitskräften entfernt. Entwarnung gab es erst am späten Abend, nachdem die Eröffnungsfeier im Kuppelsaal der im Kaiserreich erbauten Stadthalle mit 2.500 geladenen Gästen über die Bühne gegangen war.

Noch immer abgesperrt sind Teile des Flughafens Langenhagen, Teile der Messe, die Herrenhäuser Gärten und das Gelände rund um Obamas Unterkunft „Seefugium“ in Isernhagen im Nordosten Hannovers. Das Sicherheitskonzept der Amerikaner ist extrem: Im Idealfall soll kaum ein Normalbürger den Präsidenten überhaupt zu Gesicht bekommen.

Wenn möglich, nutzte Obama einen per riesigem Boeing-Militärtransporter eingeflogenen Hubschrauber. Auf der Straße bewegte sich der Demokrat nur mit einer „The Beast“ genannten Limousine fort. Der zwischen sieben und neun Tonnen schwere Wagen soll rund 1,5 Millionen Dollar gekostet haben und angeblich sogar schweren Granatbeschuss aushalten: Im Netz wird spekuliert, das Auto habe 20 Zentimeter dicke Panzertüren und 13 Zentimeter dicke Scheiben.

Jennifer Bauer, Studentin an Der Gottfried Wilhelm Leipniz Uni

“Krass, was für ein Aufwand“

Kompromisslos zeigten sich die US-Geheimdienste auch rund um Obamas Hotel, in dem der Präsident nur eine einzige Nacht verbracht hat: Offenbar um freies Schussfeld zu haben, ließen die Men in Black diverse Bäume und Büsche fällen. Im „Seefugium“, das Schröder-Kumpel Maschmeyer erst vor zwei Jahren verkauft und in dem der Ex-Kanzler seinen 65. Geburtstag gefeiert hat, liefen tagelang Überprüfungen: Jede noch so abstrus scheinende Bedrohungslage, sei es durch Sprengstoff, Strahlung, biologische oder chemische Gefahrenquellen scheint ausgeschlossen worden zu sein.

Ebenfalls den gesamten Montag abgesperrt bleibt das Schloss Herrenhausen und mit ihm auch die Herrenhäuser Gärten. Hier hatten BereitschaftspolizistInnen, die teilweise sogar aus dem Saarland herangekarrt wurden, bereits am Samstagnachmittag begonnen, Absperrgitter zu errichten. Am Sonntag dann empfing die gerade erst von der türkisch-syrischen Grenze zurückgekehrte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Präsidenten vor dem Schloss mit militärischen Ehren. Vorher war Obama bereits am Flughafen von Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) begrüßt worden.

Herrenhausen bleibt am Montag wegen des Fünfer-Gipfels gesperrt, zu dem Kanzlerin Merkel Mitte vergangener Woche geladen hatte. Obama und Merkel treffen in Herrenhausen Frankreichs Staatspräsidenten François Hollande, den britischen Ministerpräsidenten David Cameron und Italiens Regierungschef Mateo Renzi. Sie wollen über die Flüchtlingspolitik und die Lage in Syrien, in der Ukraine und in Libyen sprechen. Der US-Präsident halte sich nicht jeden Monat in Europa auf, kalauerte Merkels Sprecherin Christiane Wirtz zur Begründung.

In der Herrenhäuser Sicherheitszone liegt auch das 1866 fertiggestellte Welfenschloss der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität. Bis Anfang der Woche ist die Hochschule nur über Nebenstraßen zu erreichen; die Haupteingänge sind blockiert. Dass die Herrenhäuser Straße für den Obama-Konvoi vorbereitet wurde, war bereits am vergangenen Donnerstag deutlich sichtbar: Jeder Kanaldeckel, jeder Gully war mit mindestens zwei großen weißen Farbmarkierungen versiegelt worden, die mit einem speziellen Code aus Buchstaben und Zahlen versehen sind – der Secret Service hielt offenbar jeden offenliegenden Punkt der Kanalisation für geeignet, um darin eine Bombe zu deponieren. „Krass“, fand das die Studentin Jennifer Bauer, die am Nachmittag zusammen mit Kommilitonen aus der Uni kam: „Was für ein Aufwand!“

Dieser enorme Aufwand wird in Hannover aber zumindest von offizieller Seite kaum infrage gestellt. Auch die Unterstützer der Großdemonstration, bei der am Samstag rund 90.000 Menschen gegen TTIP auf die Straße gingen, betonten immer wieder, dass ihr Protest keinesfalls „anti-amerikanisch“ sei: „Ich arbeite selbst für das US-amerikanische Institute for Agriculture and Trade Policy“, sagte etwa die Aktivistin Shefali Sharma. Auch in den USA gebe es massiven Widerstand gegen das TTIP ähnliche, noch nicht ratifizierte Trans-Pacific Partnership“ (TPP). „Die Hauptlast der Kosten trägt der Bund“, beruhigte Niedersachsens stellvertretender Regierungssprecher Michael Jürdens im Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk. Eine vergleichbare eintägige Stippvisite Obamas 2009 in Dresden soll mit satten 30 bis 40 Millionen Euro zu Buche geschlagen haben.

Vereinzelte Kritik kam dagegen von Geschäftsleuten, die ihre Läden wegen der eingerichteten Sicherheitszonen dichtmachen konnten – für den Großteil ihrer Kunden waren sie sowieso nicht erreichbar. „Wir müssen den kompletten Tag schließen und bekommen keinerlei Entschädigung“, klagte etwa die Gastronomin Gloria Viero-Weißenow in der lokal erscheinenden Neuen Presse. Angelika Huber, Besitzerin des Friseurs am Stadtpark im Zooviertel, die schon vor Wochen angekündigt hatte, der Bundesrepublik ihren Verdienstausfall in Rechnung stellen zu wollen, gibt sich mittlerweile resigniert: „Das ist so sinnlos wie irgendwas“, sagt die 63-Jährige. „Die Nerven hab’ ich nicht mehr.“

Die Friseurin dürfte damit ähnlich empfinden wie viele andere Leute in Hannover. Viele, die nicht gegen TTIP demonstrieren wollten, sind über die freien Tage verschwunden. „Ich glaub’, ich fahr’ das Wochenende weg“ – kurz vor dem Obama-Besuch war dieser Satz in der Landeshauptstadt ziemlich oft zu hören. Immerhin: Geht alles glatt, dürfte der Spuk Montagabend vorbei sein. Gegen 18 Uhr ist die Sicherheitszone rund um den Flughafen Langenhagen Geschichte. Wer aber einen letzten Blick auf Obamas startende Air Force One werfen will, dürfte enttäuscht werden: Auch Planespotter, warnt die Polizei, hätten keine Chance.

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