Öffentlichkeit in der Wissenschaft: Lust auf Zukunft und Gestaltung

Wissenschaftskommunikation gehört an den Unis zu den expandierenden Bereichen. Zunehmend wird versucht, den „Bürger“ direkt zu erreichen.

Jungen Leute betrachten die Installation "Light Walk" in Jena (Thüringen) beim Licht- und Wissenschaftsfestival "City Visions Jena 2015"

Licht- und Wissenschaftsfestival in Jena: Die Forschungseinrichtungen buhlen um öffentliche Aufmerksamkeit. Foto: dpa

BERLIN taz | Irgendwie ist nach der Bundestagswahl 2013 der Begriff „Wissenschaftskommunikation“ in den Koalitionsvertrag von SPD und Union geraten. Nicht im eigentlichen Fachkapitel mit den großen Regierungsvorhaben für Forschung und Hochschulen, sondern weiter hinten, unter Soft-Themen wie der gesellschaftlichen Partizipation an Zukunftsprojekten. „Wir wollen neue Formen der Bürgerbeteiligung und der Wissenschaftskommunikation entwickeln und in einem Gesamtkonzept zusammenführen“, heißt es dort. Aber wie? In dieser Woche versuchte der Forschungsausschuss des Bundestages, sich mit einer Expertenanhörung klüger zu machen.

Geboten wurde der Blick in ein üppig sprießendes Biotop in der Wissenschaft. „Der einzige Bereich, der in den Hochschulen wirklich wächst, sind die Kommunikationsabteilungen“, bemerkte Volker Meyer-Guckel, Vize-Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Die früheren Pressestellen werden im Internetzeitalter zu multimedialen Brückenköpfen in die Gesellschaft umgebaut, die auf vielen Kanälen unterschiedliche Zielgruppen erreichen sollen, von der Kinder-Uni über die Alumni-Ehemaligen bis zu den Bürgerforschern der neuen Citizen-Science-Bewegung.

Auch nach innen, in den Wissenschaftsbetrieb hinein, habe der Kommunikationsbedarf zugenommen, stellte Julia Wandt von der Uni Konstanz fest, die auch dem Bundesverband Hochschulkommunikation vorsitzt. Das reicht von der strategischen Beratung der Hochschulleitung bis hin zu Qualitätsstandards für die Darstellung von Forschungsthemen, um übertreibende Hype-Meldungen publizitäts-erpichter Professoren (“Krebs endlich besiegt“) zu stoppen. Man müsse sowohl mit der „digitalen Explosion der Medienwelt“ klarkommen wie auch mit der „Entgrenzung des Systems Wissenschaft zu anderen Systemen“, wie Öffentlichkeit, Medien und Politik, stellte Wandt fest.

Pressestellen werden zu multimedialen Brückenköpfen umgebaut

„Die Wissenschaftskommunikation befindet sich im Aufwind und der Wissenschaftsjournalismus in der Krise“, brachte es Jan-Martin Wiarda auf den Punkt. Der frühere Zeit-Bildungsjournalist war bis zum September Kommunikationschef der Helmholtz-Gemeinschaft, des größten staatlichen Forschungstankers, und kennt daher beide Welten. Er hatte den Parlamentariern auch konkrete Verbesserungsvorschläge mitgebracht, wie etwa einen „Best-Practice-Wettbewerb für partizipative Wissenschaftskommunikation“ oder die Einstellung von „Citizen-Science-Beauftragten für Wissenschaftseinrichtungen“.

Die Presse gilt als Wadenbeißer

Wiardas Appell, den niedergehenden Wissenschaftsjournalismus in Deutschland durch „Geschäftsmodelle für das 21. Jahrhundert“ zu stützen, stieß aber nicht auf das übermäßige Interesse der Politik. Die Presse gilt dort als Wadenbeißer, da hat man eigentlich genug von.

Gemeinsam sinnierten die Parlamentarier mit den Experten, wie aus dem 30-Prozent-Turm der Wissenschafts-Interessierten in Deutschland auszubrechen sei. Reinhold Leinfelder, der Leiter des von Wissenschaftsorganisationen getragenen „Hauses der Zukunft“, will vor allem die 40-Prozent-Gruppe (Zahlen aus dem Wissenschaftsbarometer von „Wissenschaft im Dialog“) der „Teils, teils“-Interessierten ansprechen und ins Lager der Unterstützer herüberziehen. Das soll mit völlig neuen Kommunikationskonzepten wie „Reallaboren“, Comics und partizipativen Medien geschehen, die Bürger selber produzieren.

Neue Wege offerierten auch die von den Oppositionsfraktionen eingeladenen Experten. Thomas Korbun vom Berliner Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) stellte als Sprecher des Ecornet-Netzwerkes der nichtstaatlichen Ökoforschungsinstitute das neue Forschungsthema der „Großen Gesellschaftlichen Herausforderungen“ in dem Mittelpunkt.

Die Kommunikation mit einplanen

Diese komplexen Themen wie Klimawandel oder Altern der Gesellschaft stellten durch ihre „gesellschaftliche Relevanz“ gute Ansätze zur Beteiligung der Bürger dar. Wissenschaftskommunikation dürfe nicht erst nach Vorliegen des Forschungsergebnisses einsetzen, sondern gehöre bereits zum Modus der „Koproduktion von Forschungsergebnissen mit außerwissenschaftlichen Akteuren“, so Korbun. Die Projekte der „Sozial-Ökologischen Forschung“ eigneten sich bestens dafür.

Noch weiter ging Steffi Ober, Sprecherin der Zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende bei der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW). Aus ihrer Sicht muss Wissenschaftskommunikation dazu beitragen, dass sich über eine wissenschaftliche Grundbildung in der Bevölkerung (“Scientific Literacy“) hinaus auch „eine transformative Literacy in der Gesellschaft“ entwickle – und auf diese Weise „die Resonanz für notwendige, gesellschaftliche Wandlungsprozesse erhöht“ werde.

„Wie erzeugt man Lust auf Veränderung, Lust auf Zukunft und Gestaltung?“, fragte Forschungswenderin Ober. Die gleiche Frage hatte – erstaunlich – auch die konservative Bank im Ausschuss auf dem Zettel. Wieder ein Fall von Entgrenzung.

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