Öko ist moderne Moral des 21. Jahrhunderts: Viel mehr als ein Reklameversprechen

Wer auf sich hält, schwört auf öko. Denken und Handeln jenseits der Finanzkrise: "Das gute Leben - Es gibt Alternativen". Ein Happening in Berlin.

Einsatz für das gute Leben. Urban Gardening in Berlin. Bild: laif/ Michael Jungblut

Wer auf sich hält, schwört auf öko. Sagt, dass er grüner isst. Den eigenen ökologischen Fußabdruck möglichst klein hält. Und nötigenfalls, nach einer Fernreise, sogar an eine Umweltorganisation spendet, als sei ein Ablass des schlechten Gewissens nötig. Wer modern sein will, darf kein Umweltschwein sein. So gerann das Wort "öko" zu einer Chiffre, zu einem Dreibuchstabensymbol, das sich jeder und jede anheftet, um weltanschaulich ganz auf dem Laufenden zu sein.

Aber ist das wirklich schlecht, ja, ideologisch verblendet? Weil es sich inzwischen keine Firma mehr nehmen lässt, mit grünem Siegel, Öko-Anmutung oder fairem Image zu werben? Muss das kritisiert werden, weil selbst diese kleinen promotionellen Gesten an den Strukturen nichts ändern können? Ist es nicht so, dass Themen wie der Klimawandel oder die Entschleunigung der finanzökonomischen Rasereien durch die Börsen- und Staatsbudgetkrisen an den Rand gedrängt wurden?

Zutreffend scheint: Öko ist der Kern einer modernen Moral, die des 21. Jahrhunderts. Wer nicht abgehängt werden will, muss sich diesem - sagen wir - Fluss stellen. Ohne Ökologisches, ohne gedankliche Mühe zur nachhaltigen Verbesserung der Umwelt wird nichts gehen. Weder politisch noch gesellschaftlich.

Öko gehört immer stärker zum Fundament eines neubürgerlichen Wertekanons und ist wichtig für die Beantwortung der Frage, wofür es sich zu leben lohnt. Öko ist jene große Erzählung von eine besseren Welt, die im 19. Jahrhundert die liberale und im vorigen die sozialdemokratische war. Das ist die Basis, auf der sich Stuttgart 21 und der Machtwechsel in Baden-Württemberg vollzogen hat.

Von zwei Seiten unter Beschuss

Was das aber ist: Das gute Leben!, bleibt offen, auf alle Fälle umstritten. Das Neue steht von zwei Seiten unter Beschuss. Auf der einen Seite arbeiten die klassischen Wirtschaftskonservativen gegen das Neue. Ziel ist es, die Internalisierung der Umwelt- und Sozialkosten zu verhindern und den Status quo des Wirtschaftens zu bewahren. Auf der anderen Seite wird die bürgerliche Bewegung von links kritisiert, als blind für Klassen- und Verteilungsfragen.

Der taz Kongress des Jahres 2012 will die neue Bewegung ermutigen - auch durch die Kritik, die sie unbedingt verdient hat. Baden-Württemberg ist jetzt ein Testgebiet für die Frage, ob und wie Gesellschaft und Politik die gegenseitige Lähmung überwinden, sich gegenseitig stützen können sowie die Wirtschaft dynamisieren.

Das tazlab wurde nach dem 30. Geburtstag der taz als jährliches Labor zu Zukunftsfragen gegründet - ein taz-Kongress in jedem Jahr. Dieser Kongress wäre der erste, der das Thema vom guten Leben nicht klimatologisch oder politisch, sondern von dem gerade stattfindenden gesellschaftlichen Wandel angeht. Denn die wichtigste und übelste Lüge der vergangenen, neoliberalen Debatten war stets: dass es keine Alternativen gibt. Wir aber sagen überzeugt anders: Es gibt Alternativen.

Und über diese soll auf dem tazlab am 14. April im Berliner Haus der Kulturen nachgedacht werden. Nicht allein über Ökofragen der klassischen Art, sondern eben auch über alle Aspekte gesellschaftlichen Zusammenlebens: Wie muss über eine gelingende Integrationspolitik in der Bundesrepublik nachgedacht werden? Wie kann das Leben von MigrantInnen verbessert werden? Müssen No-go-Areas hingenommen werden?

Wie definiert sich eigentlich die moderne Frauenfrage, überhaupt die der Geschlechterdemokratie? Wie ist es denn um Alternativen bestellt - wie haben sie sich entwickelt seit dem legendären Tunix-Kongress 1978 in Berlin? Etwa die taz, die sich aktuell in der Medienkrise als selbstbewusstes Medium präsentiert? Wie konnte ihr gelingen, woran andere scheitern?

Mehr als Nischenexistenzen?

Wie fällt überhaupt die Bilanz von alternativen Ökonomien aus - repräsentieren sie mehr als Nischenexistenzen? Können alternative Projekte, die sich zu Unternehmen auswuchsen, Vorbilder für Start-up-Interessierte sein?

Das gute Leben? Das gibt es, und immer mehr Menschen sind heftig entschlossen, die eigene Existenz diesem Leitsatz zu widmen. Und dem anderer Menschen. Denn, so viel wusste die alternative Bewegung schon immer, als egoistisches Unterfangen missrät jeder Vorsatz, ein Leben nach eigenem Gusto zu führen. Das gute Leben - das ist ein solidarisches Projekt mit anderen, lokal wie international.

Beteiligen Sie sich an diesem tazlab zum "Guten Leben". Schicken Sie uns Ihre Vorschläge, sagen Sie uns, mit wem sie am 14. April im Berliner Haus der Kulturen der Welt debattieren wollen. Eingeladen sind u. a. bislang Winfried Kretschmann, Richard Sennett, Saskia Sassen, Slavoj Zizek - und zugesagt hat auf alle Fälle die vielgelobte Wirtschaftsexpertin der Linkspartei, Sahra Wagenknecht. Viele andere werden mitstreiten wollen - und Sie doch auch?

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