Ökologische Architektur: Ein Solarhaus auf Reisen

Berliner StudentInnen haben 700 Tage ein Haus erdacht, geplant und gebaut, das komplett durch Sonnenkraft betrieben wird - und es für einen Wettbewerb nach Madrid befördert.

Angekommen: das "living EQUIA"-Haus der Berliner StudentInnen in Madrid. Bild: alexander roßbach

Was bringt Menschen dazu, auf einen 8000 Meter hohen Berg zu steigen oder an einem IronMan-Triathlon teil zu nehmen? Warum begibt man sich auf der Suche nach Extremen an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit? Martin Hofmann sagt ganz einfach: „Ich wollte mir eigentlich nur selbst beweisen, zu was ich in der Lage bin“.

Gemeinsam mit über hundert anderen Berliner Studenten hat Hofmann das „living EQUIA“ geschaffen – ein Haus, das komplett durch Sonnenkraft betrieben wird. „EQUIA“ bedeutet „Ecological quality and integration of ambience“. Eine sogenannte ökologische Konstruktion, hinter der die Frage steht: Wie wollen wir in Zukunft leben? Und wie kann Architektur dazu beitragen, ein Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit zu schaffen? Der Weg zur Antwort: Eine über 700 Tage lange Odyssee aus Euphorie, Anspannung und manchmal auch Verzweiflung.

Die Idee stammte von den Studenten selbst, die mit dem Berliner Solarhaus Im Juni am „Solar Decathlon Europe“ in Madrid teil genommen haben. Ein architektonischer und energietechnischer Wettbewerb, für den sich weltweit nur 20 Hochschulen qualifizieren konnten. Hier werden Punkte vergeben in Disziplinen wie Wohnqualität, Marktintegration, Innovation sowie Nachhaltigkeit.

Friedrich Sick, einer der projektbegleitenden Professoren von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, sagt: „Am Anfang, im Sommer 2008, hatten wir nur ein Ziel, ein weißes Blatt Papier und kein Geld.“ Schon bald investierten die Studenten ihre gesamte Zeit in das Projekt. Aus acht Stunden Arbeit wurden zehn bis zwölf, am Ende waren sie meist 24 Stunden am Stück auf den Beinen - und länger.

Für die Partner oder die Familie blieb da keine Zeit, das „living EQUIA“ verlangte den Studenten alles ab: „Ich habe ständig andere Termine vergessen“, erinnert sich Hofmann. Auch wenn seine Freundin aus Basel zu Besuch kam, hat er an dem Haus gearbeitet. „Wie viel Wahnsinn steckt in dir?“ – diese suggestive Frage stellt ein bekanntes Bauhaus seinen Kunden. Zumindest ein klein wenig, könnte man bei den Berlinern vermuten – für die monatelangen Anstrengungen bekamen sie weder Geld, noch Credit Points für ihr Studium.

Dennoch arbeiteten sie, „so lange es der Körper zuließ.“ Und darüber hinaus: ein Teilnehmer zog sich während des Baus ein Rückenleiden zu – Überarbeitung. Dennoch wurden aus ursprünglich drei Projektteilnehmern im Laufe der Monate über 100, aus Entwürfen entstand schließlich ihr Haus. Da hatten sie bereits den ersten Architekten gefeuert - wegen Meinungsverschiedenheiten. Die Studenten selber aber wuchsen zusammen aus Fremden wurden Freunde.

Hofmann beschreibt die Herausforderung wie eine Art Videospiel: „Organisieren, rechnen, planen, verpacken, beaufsichtigen, antreiben und Geld beschaffen.“ Klinkenputzen bei großen und kleinen Firmen, das Konzept vorstellen, warten und hoffen. Am Anfang reagierten potentielle Geldgeber eher zögerlich.

Dann sagt der Sponsor für die Photovoltaik-Anlage zu, der erste Höhepunkt. Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie können sie schließlich überzeugen, es folgen viele weitere Förderer. Beim Ministerium ist „living EQUIA“ in das Forschungsprojekt für Energieoptimiertes Bauen (EnOB) eingebunden.

Doch da ist noch dieser gnadenlose Zeitdruck: Alle drei Monate müssen die Berliner den Veranstaltern des „Solar Decathlon Europe“ ihre Fortschritte akribisch dokumentieren. Wer Fehler macht, ist raus aus dem Wettbewerb. Das Team aus Brasilien muss vorzeitig aufgeben. Monate voll Arbeit und Anspannung für nichts. Entsprechend groß ist der Ehrgeiz der Berliner. Denn „living EQUIA“ ist mit einem Budget von über eine Millionen Euro dotiert – und hat den beteiligten Studenten mindestens 50 000 Arbeitsstunden abverlangt.

Als Ende Februar 2010 der Rohbau des Hauses auf dem Campus der HTW in Berlin-Oberschöneweide stand, begann die eigentliche Arbeit aber erst. „Living EQUIA“ musste reisefertig gemacht werden, fünf 40-Tonner auf dem Weg von der deutschen Hauptstadt nach Madrid. Tausende Einzelteile wurden verpackt, endlose Listen geführt. Während an manchen Stellen noch aufgebaut wurde, baute man an anderen schon wieder ab. Jede noch so kleine Komponente muss rechtzeitig eintreffen, sonst war alles umsonst.

30 Studenten begleiteten das Haus Anfang Juni schließlich nach Spanien, wo sie gleich mehrere herbe Rückschläge erwarteten: Das Gelände, auf dem das Haus entstehen sollte, war umgegraben, nicht zu bebauen. Innerhalb von nur 10 Tagen musste „living EQUIA“ aber abnahmefertig sein. „Auch die Logistik war eine einzige Katastrophe“, so Hofmann. „Die LKWs mit den Bauteilen kamen Stunden zu spät oder gar nicht, die Firma hat sich in keinster Weise an Termine und Absprachen gehalten.“ Dazu kamen Streitigkeiten mit der Wettbewerbsorganisation.

Dass alles schließlich doch noch gut ging, verdanken die Berliner auch der Unterstützung durch die Konkurrenz. Die Brasilianer sind trotz ihres Ausscheidens gekommen und helfen, wenn sie schon nicht selbst teilnehmen dürfen. „Als alles dann zum ersten Mal gestanden hat, war das ein extrem geiles Gefühl“, so Hofmann. Doch zum Ausruhen keine Zeit. An jedem Wettbewerbstag warten neue Prüfungen auf das Haus und die Studenten. Auch hier sind 24-Stunden-Schichten die Regel. Die größte Sorge bereitet den Teilnehmern die unbarmherzige Hitze – ein Löschfahrzeug steht immer bereit, 34 Grad, akute Brandgefahr.

Gereicht hat es am Ende für den 10.Platz. Der Wettkampf an sich spielte aber laut Hofmann für das Berliner Team nur eine untergeordnete Rolle. Man ist am Ziel, nur das zählt – von ursprünglich 20 Bewerbern haben 17 den Wettbewerb überstanden. Und auch wenn die drei anderen deutschen Mannschaften aus Rosenheim, Stuttgart und Wuppertalbesser abgeschnitten haben, man neidet sich hier nichts, die Stimmung bleibt kollegial. Ein faires Kräftemessen über die gesamten zehn Tage, mit einem Sieger aus der Vereinigten Staaten, der „Virginia Polytechnic Instititute & State University“ und ihrem „Lumenhaus“. Vorläufiger Schlusspunkt in der Geschichte des „living EQUIA“: die fünftägigen Abbauarbeiten nach dem Solaren Zehnkampf. Ein letzter Kraftakt, einmal noch die verbliebene Energie mobilisieren.

„Wir gehen alle auf dem Zahnfleisch.“ fasst Martin Hofmann zusammen. „Jetzt brauchen wir erst mal eine längere Auszeit.“ Hofmanns Freundin wird es freuen: Ihr Weg führt die Beiden für zehn Tage zum Urlaub nach Frankreich.

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