Olympia – Gewichtheben: „Kazakhstan Number One“

Die 18-jährige Sulfija Tschinschanlo holt mit neuem Weltrekord im Stoßen die Goldmedaille. Gewichtheben ist elegant und cool. Und die Türkei versagt genauso wie Deutschland.

Ist sie nicht süß? Sulfija Tschinschanlo, Weltrekordhalterin und Olympiasiegerin Bild: dpa

Die Startbedingungen: Sulfija Tschinschanlo ist zwar erst 18 Jahre alt, dennoch tritt sie im Gewichtheben der Frauen (Klasse bis 53 Kilogramm, entspricht in etwa dem Bantamgewicht bei den Männern) als große Favortin an. Bei der Weltmeisterschaft 2009 stellte sie im Alter von 16 Jahren mit 129 Kilo einen Weltrekord auf; bei der WM 2011 gewann sie alles, was es zu gewinnen gab: Stoßen, Reißen und natürlich auch die Zweikampfwertung. Nebenbei verbesserte sie ihren Weltrekord im Stoßen auf 130 Kilo. Kurz: Wer in London Gold gewinnen wollte, musste an ihr vorbei.

Die Entscheidung: Und tatsächlich kommen einige Athletinnen an Sulfija Tschinschanlo vorbei, zumindet in der ersten Disziplin, dem Reißen: Cristina Iovu aus Moldawien und Yun Lin aus Taiwan liegen mit 99 Kilo bzw. 96 Kilo vorn, Tschinschanlo ist mit 95kg Dritte. Doch dann kommt ihre Lieblingsdisziplin, das Stoßen, bei dem man, anders als im Reißen, die Hantel nicht mit einem Mal in die Luft hebt, sondern in zwei Bewegungen: erst auf die Brust, dann in die Höhe.

Am Ende des Stoßens hat Tschinschanlo 125 Kilo geschafft, die Konkurrenz überholt und steht mit einer Gesamtleistung von 221 Kilo schon als Olympiasiegerin fest. Aber das reicht ihr nicht. Sie will mehr. Sie geht noch mal aufs Podest und faucht dabei so verführerisch in die Kamera, wie nur Mädchen aus der kasachischen Steppe fauchen können. Sie hebt an – 131 Kilo, neuer Weltrekord! Und sie hat immer noch nicht genug, versucht noch die 135 Kilo, was für diesen Tag dann doch zu viel ist.

Yun Lin wird am Ende Zweite, Cristina Iovu Dritte.

Das Drama: Die Türkin Aylin Dasdelen ist nach dem Reißen zusammen mit drei anderen auf Platz Vier. Am Ende des Stoßens ist sie Tschinschanlo letzte verbliebene Konkurrentin. Dasdelen riskiert alles: Wenn sie die 129 Kilo schafft, ist sie mindestens zweite. Doch sie bekommt die Hanteln nicht vom Fleck. Man muss die Dinger erst gedanklich in die Luft stemmen, ehe man sie physisch stemmt. Daran scheitert Dasdelen. Sie verzichtet sogar auf ihren dritten Versuch und weint, den Rücken zur Kamera gewendet.

Die Schlussfolgerung: Sulfija Tschinschanlo ist 1,55 groß, wiegt zarte 53 Kilogramm, von denen geschätzte 80 Prozent auf ihren Oberarmen sitzen. Und sie schafft es, fast das zweieinhalbfache ihres Körpergewichts in die Luft zu heben. Und dabei wirkt sie so cool, so elegant. Gewichtheben ist eine Augenweide, in den niedrigen Gewichtsklassen jedenfalls.

Und sonst? Nach der Entscheidung zückt Sulfija Tschinschanlo ihr Handy, um in Kasachstan Bescheid zu geben, dass sie gewonnen hat. Könnte ja sein, dass es jemand noch nicht mitbekommen hat. Freude sieht man ihr nicht an. Vielleicht ist das bei ihr Prinzip, vielleicht ist sie noch immer drauf – auf Adrenalin versteht sich, wir wollen hier nichts unterstellen. Dafür brüllt ihr Trainer in die Kamera: „Kazakhstan Number One!“ Er hat sowas von Recht.

Und die Türkei steht nach 19 von 302 Entscheidungen genauso da wie Mauretanien, Nauru und Deutschland: ohne Medaille.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.