Onlinesender für muslimisches Leben: Ein „Lifestyle Channel“

Wenn Muslime im Fernsehen auftauchen, geht es meist um Terrorismus. Ein Onlinesender will mit positiven Bildern dagegenhalten.

Die blaue Moschee in Istanbul im Schnee: Muslimischer Alltag findet nur selten den Weg in westliche Medien. Bild: dpa

Der Imagefilm von Alchemiya scheut weder Pathos noch Kitsch: Ein Muslim kniet nieder zum Gebet, die Bilderbuchfamilie kuschelt mit Tablet auf der Couch, prunkvolle Moscheen blitzen auf, Wolkenkratzer sind zu sehen. Hier ist die muslimische Welt schön und heil, modern und voller Glanz.

Die britische Video-on-Demand-Plattform Alchemiya will genau diese Welt zeigen. Denn – ob es Pegida-Anhängern nun gefällt oder nicht – auch sie gibt es, wenngleich der mediale Schatten von IS, Boko Haram und Konsorten sie zuweilen verschluckt. „Wir fokussieren uns auf das Positive“, sagt Navid Akhtar, Gründer und Geschäftsführer des Londoner Start-ups. „Uns geht es darum, muslimisches Leben und muslimische Kultur abzubilden.“

Noch aber ist Alchemiya gar nicht online, nur ein Musikvideo und der Imagefilm sind bisher zu sehen. Gegenwärtig läuft eine Crowdfunding-Kampagne, denn das Projekt verzichtet auf größere Investoren – laut Akhtar der Unabhängigkeit zuliebe. Die Beta-Version der Plattform soll im ersten Quartal dieses Jahres fertig sein, die ersten Abonnenten sind schon gewonnen.

Ein muslimischer „Lifestyle Channel“ wolle man sein: Spielfilme, Dokumentationen, Sendungen über Mode, Reisen, Essen, all das soll Alchemiya zeigen. Glücksspiel, Nacktheit oder Sexualität hingegen nicht, missionarischen Eifer allerdings auch nicht: „Unsere Inhalte gründen auf muslimischen Werten, aber sie werden den Islam nicht vorschreiben, sondern beschreiben.“

„Global Urban Muslims“

Was genau Alchemiya sein will, versteht man besser, wenn Akhtar über seine Beweggründe spricht. Im Grunde genommen will er Fernsehen für sich selbst machen. Der 47-jährige Sohn pakistanischer Einwanderer ist in London aufgewachsen und kann zurückblicken auf über 20 erfolgreiche Jahre im britischen Fernsehen, hauptsächlich bei BBC und Channel 4.

Alchemiya wendet sich an Muslime wie ihn: modern, erfolgreich, gebildet, gleichzeitig aber ihrem Glauben und ihren Traditionen verbunden. Diesen Muslimen hat Akhtar den Namen „Global Urban Muslims“ verpasst – „GUMmies“. Auf der ganzen Welt, behauptet er, vereinten sie modernes Leben und Glauben in einer eigenen Identität und Lebensweise.

Deutschland den Wölfen? Warum Waschbären sterben müssen und Menschen graue Eichhörnchen fürchten, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Februar 2015. Außerdem: Ulrich Seidl hat Österreichern in die Keller geschaut. Ein Gespräch über Abgründe. Und: Wer „Promotion“ englisch ausspricht, macht aus dem Doktortitel eine Verkaufsaktion. Aus dem Leben einer arbeitslosen Akademikerin. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Diese GUMmies, so Akhtar, würden durch die im Westen bestehenden Medien nicht versorgt: „Die meisten Qualitätsinhalte reflektieren die Kultur und Geschichte der westlichen Welt, nicht die der muslimischen.“ Zudem: Wenn über den Islam berichtet werde, dann meist negativ. „Die muslimische Gemeinschaft“, sagt Akhtar, „sehnt sich nach einer Bestätigung ihrer Identität.“ Anders gesagt: Muslime finden sich nicht wieder in dem, was über ihr Leben, ihren Glauben und ihre Werte geschrieben und gesendet wird.

Das allerdings gilt nicht nur für die von Akhtar als GUMmies deklarierten Muslime. Ohnehin taugt der Begriff wohl nicht zu viel mehr als zu PR-Getöse, wie die Kommunikationswissenschaftlerin Sabrina Schmidt deutlich macht: „Inwiefern sich eine transnationale muslimische Großstadtidentität entwickeln konnte, die Muslime in New York, Berlin, Kairo oder Jakarta verbindet, ist fraglich.“

Der muslimische Alltag fehlt

Muslime in mehrheitlich nichtmuslimischen Gesellschaften handelten ihre Religiosität unter besonderen Bedingungen aus, hinzu kämen eine Reihe lokaler und individueller Unterschiede, welche die muslimischen Großstädter weltweit zu einer diversen Gruppe machten – „mit entsprechend unterschiedlichen medialen Bedürfnissen und Interessen“.

Akhtars Grundaussage aber stimmt Schmidt zu: Muslime im Westen sind medial unterversorgt. „Was fehlt, ist die Darstellung muslimischen Alltags, des normalen Lebens“, bestätigt die Wissenschaftlerin, die an der Uni Erfurt über Islamfeindlichkeit, Rassismus und Medien forscht.

Alchemiya betritt zu einem Zeitpunkt die öffentliche Bühne, der den Gedanken nahelegt, das Projekt wolle nicht nur eine Marktlücke schließen, sondern auch politisch wirken: Islamophobie grassiert, die negativen Schlagzeilen reißen nicht ab. Auch aus diesem Grund würde Bekir Alboga, Generalsekretär des Ditib, des Dachverbands der türkisch-islamischen Moscheegemeinden in Deutschland, ein deutsches Alchemiya begrüßen: „Den Abbau von Ängsten und Vorurteilen würde das sicher positiv beeinflussen.“

Medien zeigen Krieg, Gewalt und Terror

Gerade nach den Terroranschlägen von Paris fühle Alboga sich stigmatisiert, ausgegrenzt, alleingelassen. Den unbedingt zu vermeidenden Generalverdacht, von dem dieser Tage so viel zu hören ist, den spüre er jeden Tag.

Tatsächlich ist das Bild, das deutschen Medien vom Islam zeichnen, verheerend. Professor Kai Hafez, an dessen Lehrstuhl an der Uni Erfurt auch Sabrina Schmidt forscht, veröffentlichte bereits im Jahr 2007 eine erstaunliche Studie: Ihr zufolge sind 80 Prozent der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung über den Islam negativ. Daran habe sich bis heute nicht viel geändert, versichert Schmidt. Die Medien – und nicht nur die öffentlich-rechtlichen – präsentierten den Islam überwiegend im Zusammenhang mit Krieg, Gewalt und Terror.

Für Bekir Alboga von Ditib ist ein ausgewogenes Islambild nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Vor allem sei es wichtig für ein Zusammenrücken der Gesellschaft: „Die muslimische Gemeinschaft würde nicht mehr jede Kritik als Beleidigung aufnehmen, sie würde eine innere Stabilität erhalten, mehr Selbstbewusstsein.“ Je mehr Selbstbewusstsein man habe, desto mehr Mut habe man, auf den anderen zuzugehen. Durch eine positive Darstellung des Islams, so Alboga, könnten Angebote wie Alchemiya dazu beitragen, solch Selbstbewusstsein herzustellen.

Kein Imagebeauftragter des Islam

Ob sie allerdings das allgemeine Islambild bedeutend verbessern könnten, ist fraglich. Die Reichweite sei im „Pull-Medium“ Internet beschränkt, sagt Sabrina Schmidt, da die Inhalte nur jene erreichen, die sich auch die Mühe machen, sie herauszusuchen. Um das Islambild spürbar zu verbessern, müssten muslimische Stimmen stärker öffentlich vertreten sein. Das erfordere vor allem mehr Muslime in den Redaktionen. Dann würden auch Repräsentanten des Islam mehr an der politischen Meinungsbildung teilhaben. Derzeit, sagt Bekir Alboga, würden sie ausgegrenzt, in politischen Talkshows säßen sie nur zu Krisenzeiten.

Wenn man Navid Akhtar indes fragt, ob er mit Alchemiya ein Gegenbild des Islam zeichnen wolle, klingt er fast abwehrend. Als Imagebeauftragter des Islam will er nicht gelten. „Ich würde Alchemiya auch aufbauen, wenn es bereits ein positives Islambild gäbe“, versichert er. Und tatsächlich könnte Alchemiya wohl auch dann noch auf Nachfrage hoffen.

Denn ein positives Islambild wird nicht genügen, allein deswegen werden Muslime sich in westlichen Medien noch nicht wiederfinden. Zu selten bringen diese Medien Muslimen ein aufrichtiges Interesse entgegen: an ihnen, ihrem Glauben, ihren Werten, ihrer Lebenswirklichkeit. Bis sich das ändert, wartet vermutlich ein gutes Geschäft auf Navid Akhtar.

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