„Open Access“ in der Wissenschaft: Transparenz beim Publizieren

Wissenschafler nutzen das Internet, um überholte Strukturen im Publikationswesen abzuschütteln. Großverlage verlieren an Macht.

Die Möglichkeiten des Internets können zum Machtabbau bei den großen Wissenschaftverlagen beitragen. Bild: dapd

LEIPZIG taz | Das Publizieren von wissenschaftlicher Literatur steht vor einer grundlegenden Erneuerung. Open Access ist das Wort der Stunde. Wissenschaftler wie Christoph Bruch machen sich für einen offenen Zugang stark. Jeder soll über das Internet wissenschaftliche Arbeiten entgeltfrei nutzen dürfen. Auch das festgefahrene, undurchsichtige Reputationssystem muss überwunden werden. ResearchGate, eine Internetplattform für Forscher, könnte eine Lösung für beides sein.

In dieser Woche fanden die 6. Open-Access-Tage in Wien statt. Fachleute diskutierten über die Umsetzung von Open Access. Christoph Bruch hielt im Auftrag der Helmholtz-Gemeinschaft einen Vortrag zum Stand in Deutschland. Vorab sagte er der taz, was es noch zu tun gebe: „Eine Untersuchung hat festgestellt, dass 20 Prozent der Artikel, die namhafte Open-Access-Zeitschriften weltweit veröffentlichen, mit einer einfachen Google-Suche gefunden werden. Das Problem: Ein Großteil dieser Artikel ist nicht mit freien Lizenzen ausgestattet.“ Man könne sie lesen und herunterladen, nicht aber weiterverwenden.

In Deutschland sollten alle wissenschaftlichen Organisationen Open-Access-Richtlinien verabschieden. Wissenschaftler sollten Open Access kompatibel veröffentlichen. „Außerdem ist es oft so, dass Wissenschaftler für die Artikel in einer Open-Access-Zeitschrift bezahlen. Künftig müssen Fonds geschaffen werden, um diese Gebühren zu übernehmen“, sagt Christoph Bruch.

Die Universität Konstanz hat eine solche Richtlinie im Februar verabschiedet. Anja Oberländer ist dort Beauftragte für Open Access. Sie weiß, wie es um die Umsetzung an der Uni steht: „Unsere Wissenschaftler können ihre Arbeiten auf einem Repository, einem digitalen Verzeichnis der Arbeiten, zweitveröffentlichen. Dissertationen können sogar als Erstveröffentlichung eingestellt werden.“ Die meisten Dissertationen landen laut Oberländer heute auf dem Repository.

Einen Fonds an der Uni Konstanz

Seit Kurzem hat die Uni Konstanz auch einen Publikationsfonds, sodass die Kosten für die Publikationen übernommen werden können. Im Schnitt sind das laut Oberländer immerhin 1.000 bis 1.500 Euro pro Artikel. Trotzdem sind einige Wissenschaftler zurückhaltend: „Viele sind unsicher, ob ihre Verlagsverträge ihnen die Open-Access-Veröffentlichung erlauben. Das ist ein großes Problem. Wir wünschen uns von der Politik ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht“, sagt Oberländer.

Auch der Neurologe Björn Brembs war als Redner auf der Wiener Tagung. Er nutzt die Diskussion, um stellvertretend für eine Bewegung in der Wissenschaftswelt mit Großverlagen abzurechnen.

Verlage mit zuviel Macht

Brembs findet es falsch, dass Zeitschriften wie Science über Wissenschaftlerkarrieren entscheiden: „Natürlich brauchen wir in der Wissenschaft ein Reputationssystem. Es gibt schließlich nur eine begrenzte Anzahl an wissenschaftlichen Stellen. Außerdem brauche ich eine verifizierbare Dokumentation der Forschung“, so Brembs. Beides dürfe aber nicht in der Hand von milliardenschweren Großverlagen bleiben.

ResearchGate ist eine Onlineplattform, die auf den ersten Blick der Forderung nach freiem Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und einem transparenten Reputationssystem nachkommen könnte. Forscher sollen auf der Plattform ihre Ergebnisse direkt publizieren können. Diese werden von der Onlinegemeinschaft eingesehen, kommentiert, geteilt und bewertet.

„Größtenteils handelt es sich dabei um Zweitveröffentlichungen. Neun von zehn Verlagen erlauben Wissenschaftlern, ihre Artikel zum Zweck der Selbstarchivierung auf ihren eigenen Websites weiterzuverbreiten. Das ResearchGate-Profil zählt als persönliche Website“, sagt Geschäftsführer Ijad Madisch. Im August hat das Start-up aus Berlin den sogenannten RG-Score eingeführt. „Eine neue Metrik, um wissenschaftliche Reputation zu messen.“

Weltweit 2 Millionen Mitglieder

65.000 Wissenschaftler in Deutschland und zwei Millionen weltweit nutzen ResearchGate. „Forscher können Reaktionen auf ihre Publikationen von Fachkollegen weltweit bekommen. Ob Rohdaten, Grafiken oder negative Resultate, man kann alles publizieren. Das gibt anderen Forschern die Möglichkeit, jeden Schritt der Forschung nachzuvollziehen und zu bewerten. Das fließt alles in ihren RG-Score ein“, sagt Madisch. Dabei zählt die Meinung eines renommierten Professors mehr als die eines Unbekannten.

Publikationen auf der Plattform sind kostenlos und für alle registrierten Nutzer frei zugänglich. Damit man sich aber registrieren kann, muss man nachweisen, ein Wissenschaftler zu sein. Darin sieht Christoph Bruch ein Defizit: „Eine freie Zugänglichkeit, auch für Nichtwissenschaftler, ist eine der Forderungen von Open Access.“

Brembs kritisiert, dass der RG-Score nur jene Arbeiten in die Reputation einbeziehe, die tatsächlich auf der Plattform veröffentlicht würden. „Alles, was nicht bei ResearchGate ist, wird nicht miteinbezogen.“ Auch die Tatsache, dass Investoren mit Geld die Plattform unterstützen, stört den Biologen: „Das ideale Reputationssystem muss von Wissenschaftlern für Wissenschaftler geschaffen werden, nicht von Unternehmen.“

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