Pädagogin Heike Radvan über Homophobie in Meck-Pomm: „Nicht Hand in Hand unterwegs“

Eine Studie geht zum ersten Mal umfassend der Frage nach, wie homophob und trans*feindlich Mecklenburg-Vorpommern ist.

Knutschen auf der Straße: in Mecklenburg-Vorpommern für viele Schwule, Lesben und Trans* undenkbar. Foto: Stephanie Pilick/dpa

taz: Frau Radvan, wie homophob ist Mecklenburg-Vorpommern?

Heike Radvan: Gewalt und Diskriminierungen sind nicht alltäglich. Wir haben in unserer Studie zum ersten Mal umfangreich nach dem Alltag von Lesben, Schwulen und Trans* (LST) gefragt. Und zwar mit einem besonderen Fokus auf Diskriminierungserfahrungen. Obwohl es diskriminierungsfreie Räume in Mecklenburg-Vorpommern gibt, wird der Alltag der LST aber trotzdem durch die Erinnerungen an eigene schlechte Erfahrungen oder das Wissen um die Diskriminierung von Freunden strukturiert.

Was bedeutet das?

Das macht was mit dem Lebensgefühl der Leute. Die Studie ist aber nur teilweise repräsentativ.

42, die Erziehungswissenschaftlerin arbeitet für die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu-Antonio-Stiftung. Sie hat die Studie „Homo- und Trans*­feindlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern“ mit herausgegeben.

Warum?

Wir haben uns aus inhaltlichen Gründen für qualitative Methoden entschieden. Wenn ich zu Diskriminierungen forsche, ist es einfach in den meisten Fällen sinnvoll, mit Fragebögen oder lebensgeschichtlichen Interviews zu arbeiten. Zwei unserer Befragungen sind aber repräsentativ: eine zum Alltag homo- und bisexueller Menschen in Rostock und eine vergleichende Studie an zwei Schulen in Mecklenburg-Vorpommern zum Umgang mit Lesben, Schwulen und Trans*.

Unterscheiden sich die Ergebnisse je nach Methode?

Ergebnisse aus den repräsentativen Befragungen finden sich auch in den später geführten Interviews wieder. Es verdichtet sich also.

Machen LST in Mecklenburg-Vorpommern denn nun andere Erfahrungen als in Hamburg, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen?

In diesem Umfang liegt eine solche Studie in keinem anderen Bundesland vor. Die Frage ist also schwierig zu beantworten. Unsere Studie sagt vor allem etwas über den ländlichen Raum. Dort gucken die Menschen ganz genau, ob sie Händchen halten oder sich öffentlich küssen.

Und entscheiden sich dagegen?

Ein Befragter hat uns zum Beispiel gesagt: „Ich würde nicht mit meinem Mann Hand in Hand in MV unterwegs sein.“ In bestimmten Gegenden von Rostock und Greifswald mag das anders sein. Ob mir das aber nicht auch im ländlichen Raum Schleswig-Holsteins passieren kann, kann ich mit unseren Ergebnissen nicht sagen.

Welche Forderungen an die Politik leiten Sie ab?

Defizite gibt es im öffentlichen Bereich: LST-Themen sind nicht selbstverständlich in öffentlich geförderten Institutionen wie kulturellen Einrichtungen oder in der Verwaltung angekommen. Ein besonderes Defizit haben wir im psycho-sozialen und medizinischen Bereich.

Was fehlt?

LST müssen nach Berlin oder Hamburg fahren, um sich medizinische und psycho-soziale Unterstützung zu holen. Therapeuten mit diesen Schwerpunkten auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern zu finden, ist ein echtes Problem.

Gibt es da eine Lösung?

Dagegen hilft eine Stärkung der Selbstorganisation von LST auch in kleineren Städten und eine bessere Ausbildung von Medizinern und Pädagogen. Aber auch kulturelle Einrichtungen und Verwaltungen müssen sich verantwortlich fühlen und mal eine Lesung einer lesbischen Autorin organisieren. Unsere Interviews zeigen, dass das Menschen in der Coming-out-Phase hilft.

Wieso hilft eine Lesung?

Weil sie dadurch merken, dass sie nicht völlig verlassen sind und nicht weggehen müssen.

Wieso denn weggehen?

Das ist auch ein Ergebnis unserer Studie: Die Leute verlassen ganz bewusst das Bundesland aufgrund von Diskriminierungen. Sie gehen weg, weil sie als komisch, als anders angesehen werden.

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