Palästinensisches Musik-Event: Schießen in Gaza, tanzen in Ramallah

In den palästinensischen Gebieten kann auch Musik nur extrem politisch sein. Das zeigt die Palestine Music Expo in Ramallah.

Ein Sänger steht auf einer bunt beleuchteten Bühne

Rapper Moody Kablawi berichtet auf der PMX, dass seine Konzerte schon mittendrin gestoppt wurden Foto: Nayef Hammouri

RAMALLAH taz | Der Bass setzt ein, das Bild auf der großen Leinwand flackert, und alle im Konzertsaal applaudieren. Der palästinensiche Rapper MC Gaza hat sein neues Musikvideo an der Grenze zu Israel gedreht. Genau dort, wo seit nunmehr drei Wochen jeden Freitag tödliche Ausschreitungen stattfinden. MC Gaza schaut ernst in die Kamera, zieht die Sturmhaube ins Gesicht und sagt auf Arabisch: „Ich bin ermutigt. Ja, ich kehre in mein Land zurück. Und auch wenn es Jahrzehnte dauert, wir kehren dorthin zurück.“

Er befindet sich in Gaza, spricht von dort, sein Publikum aber stampft im Westjordanland auf den Teppichboden der improvisierten Konzerthalle. Denn eine Ausreisegenehmigung hat der Musiker von den israelischen Behörden nicht erhalten. Sänger und Fans, Gaza und Ramallah, sind durch mehrere Checkpoints und das Land Israel voneinander getrennt.

Ramallah im Westjordanland gilt als Knotenpunkt für alle säkularen Palästinenser und ist auch deshalb zum dritten Mal Austragungsort für die Palestine Music Expo (PMX) geworden, die in der vergangenen Woche stattgefunden hat. Bei Konzerten und Workshops sollte auf dieser Messe das Musikbusiness Palästinas zu einer „international wettbewerbsfähigen Industrie“ werden, wie der britische Co-Organisator und Delegierte Martin Goldschmidt vom bekannten Londoner Indie-Label Cooking Vinyl erklärt. Er hat schon Größen wie Marilyn Manson zum Weltruhm verholfen.

Und wie man am wackligen Livestream-Videokonzert von MC Gaza sieht, ist Kultur ohne Zweifel ein schwieriges Unterfangen im Flickenteppich namens Palästina: Es fehlt an Fördergeldern, es fehlt an Ausreisegenehmigungen. Es fehlt an der nötigen Zusammenarbeit zwischen Künstlern aus Gaza und Künstlern aus den anderen palästinensischen Gebieten: „Früher war es uns manchmal möglich, eine Sondergenehmigung zu beantragen und Musiker aus Gaza zu unseren Konzerten in Ramallah einzuladen. Aber derzeit ist eine Ausreise unmöglich“, erzählt Rami Younis, einer der Gründer und Veranstalter der PMX und deutet zur Leinwand auf der Bühne. „Deswegen haben wir uns entschieden, MC Gaza diesmal per Videostream dazu zu schalten“, schließt er.

Neben dem Rapper aus Gaza stammen die palästinensischen Künstler der diesjährigen PMX aus allen Ecken und Enden der Region, manche von ihnen sind mit israelischem Pass angereist, andere sind Palästinenser aus dem Westjordanland und wieder andere haben die Grenze von Jordanien überquert: ein Potpourrie aus Schicksalen, Herkünften, Musikgenres – und politischen Einstellungen.

HipHop ist besonders im Trend

Da ist zum Beispiel das elektronische Duo Zenobia, das mit der traditionell muslimischen Kopfbedeckung für Männer hinter dem Mischpult steht und auch manchmal in Tel Aviv auftritt. Da ist DJ Sama, die als erste weibliche palästinensische DJane für Aufregung sorgt und beklagt, wie schwierig das Netzwerken im Westjordanland ist. Und dann gibt es Pianist Faraj Suleiman, der die PMX mit einer 20-minütigen Jazzshow eröffnet und betont: „Für mich müsste sich einiges ändern, damit ich ein Konzert in Tel Aviv spiele. Ich habe viele Angebote erhalten und immer abgelehnt.“ Denn auch wenn man kulturelle Offenheit praktizieren wolle, so wüsste man in Tel Aviv eben nie so genau, wen man im Publikum vor sich habe. „Vielleicht sind Soldaten in der ersten Reihe?“, so Suleiman.

Auch Moody Kablawi, Rapper und Multiinstrumentalist, hält sich lieber von der israelischen Musikindustrie fern. Er ist heute aus Haifa, im Norden Israels, angereist.

Offenbar kann es keine absolute Einigkeit darüber geben, welche politische Melodie Ramallah in diesen Tagen singen soll

Viele der PMX-Teilnehmer stammen aus der Hafenstadt. Dort floriere dieser Tage die Undergroundszene, so Moody Kablawi. „Dort kann ein Zentrum palästinensischer, zeitgenössischer Kultur entstehen“, prophezeit der 23-Jährige mit Afro. HipHop sei besonders im Trend. Auch Rapper Stormtrap, der mittlerweile zwischen Haifa und Wien pendelt, glaubt, es sei kein Wunder, dass gerade diese Musikrichtung derzeit in arabischen Ländern sehr beliebt ist.

Gerade, wenn es um Texte geht, müssten Künstler dieser Region jedoch vorsichtig sein, fügt Moody hinzu. Druck gibt es dabei sowohl von palästinensischer und jordanischer, als auch von israelischer Seite: „Es kam schon vor, dass die israelische Polizei meine Konzerte mittendrin gestoppt hat und ich das Mikro abgeben musste“, erzählt er.

Mit solchen Berichten ist er nicht allein. Vor allem der Rocksänger und Aktivist Jowan Safadi kann davon wortwörtlich ein Lied singen. Für seinen Song „The Believers“ saß er wegen angeblicher Blasphemie in einem jordanischen Gefängnis. Und für sein Lied „Search Me“ begann im Juli 2010 ein zweijähriger Prozess in Israel. Er habe zu Gewalt angestachelt, als er sang: „Ich erschieße dich mit Kugeln von Poesie, ich werde dich mit einem Monolog ermorden, ich werde Selbstmord mit der Bombe einer Tanztruppe verüben und ich foltere dich mit dem Schlag der Trommeln“. Die Klage wurde 2012 fallengelassen. Jowan Safadi singt weiter politische Texte: „So was passiert hier vielen meiner Musikerkollegen“, sagt er achselzuckend. Aber: „Politik ist von meiner Musik unzertrennlich.“

„Keine BDS-Veranstaltung“

„Na, sogar die Luft, die man in Ramallah atmet, ist politisch“, sagt Rami Younis. Eines wolle er aber betonen, so der Organisator: „Dies ist keine BDS-Veranstaltung.“ Die BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) ist eine transnationale politische Kampagne und internationale Bewegung, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will.

Seit ihrer Gründung 2005 machen Kulturboykotte dabei einen wesentlichen Anteil der Gruppierung aus: So sagten Künstler wie Elvis Costello, Lauryn Hill, Thurston Moore, Sinéad O’Connor, Tommy Sands und Carlos Santana geplante Konzerte in Israel aufgrund von BDS-Protesten ab; auch der Astrophysiker Stephen Hawking gab dem Druck nach und unterließ eine Konferenz in Israel.

Vor nur zwei Monaten strich auch Sängerin Lorde ihr Konzert in Israel. Der prominente BDS-Befürworter Roger Waters unterstützte danach öffentlich ihre Entscheidung. Derweil griff der britische Musiker Brian Eno Radiohead und Nick Cave für ihre Auftritte vor israelischen Publikum an. 2014 organisierte eine Schwesterorganisation der BDS, die Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel (PACBI), Proteste gegen das Musikprojekt Heartbeat, an dem auch Rapper Moody Kablawi teilnahm.

Eine Beteiligung der BDS wäre ein Ausschlusskriterium für die internationale Förderung der PMX, so Younis. Auch die diesjährige Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), die seit den 1980er Jahren in den Palästinensischen Gebieten tätig ist, wäre dadurch ausgeschlossen. Nichtsdestotrotz findet man unter den PMX-Sympathisanten auch Kollektive wie die Jazar Crew, die in Haifa den beliebtesten Club des Landes für arabisches Publikum etablierte und sich offen als loyale Befürworter der BDS-Leitlinien präsentiert.

Offenbar kann es keine absolute Einigkeit darüber geben, welche politische Melodie Ramallah in diesen Tagen singen soll. „Ich habe mich nie wirklich als politischen Künstler gesehen. Das will ich eigentlich überhaupt nicht“, so Moody. „Aber immer muss ich Stellung beziehen. Als Araber, der in Israel lebt. Als Araber, der in einem israelischen Radio gespielt wird oder dort etwas über die Besetzung sagt. Alles ist hier politisch, dabei will ich eigentlich nur mein Ding machen“. Kurz hält Moody inne. „Ein befreundeter Künstler hat einmal zu mir gesagt: Du willst ein Künstler aus Palästina sein und kein palästinensischer Künstler.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.