Pariser und der Notre-Dame-Brand: Erstickt am eigenen Mythos

Mit Notre-Dame ist das Wahrzeichen der französischen Metropole dem Feuer zum Opfer gefallen. Vielen PariserInnen ist das überraschend egal.

Ein Mann trinkt Kaffee und schaut auf Notre Dame

Erst mal ein Käffchen: Die PariserInnen bleiben trotz der Zerstörung ihres Wahrzeichens entspannt Foto: ap

PARIS taz | Am Abend der Nachricht saßen wir zusammen, zwei Franzosen, eine Engländerin, eine Rheinländerin. Wir sprachen über Europa, den Brexit, den Kölner Dom, selbst kurz über die Ruine des Grenfell-Towers. Über Notre-Dame sprachen wir nicht.

Dabei wussten wir alle vom Feuer. Ich hatte zwei Stunden vorher davon erfahren, und ich hatte nur eine Frage: War's ein Attentat? Nein. Bon. Weitermachen. Da war kein Schock, keine Trauer, keine Wut, nur Schulterzucken. Ich tippte noch ein paar Nachrichten an FreundInnen und Familie vor Ort, und alle reagierten gleich: Naja, „bof“. Schon kurios, das sowas passieren kann, aber es gibt wichtigeres.

Natürlich ist meine kleine Privatumfrage nicht repräsentativ; aber auch die Korrespondenten der Zeitungen berichten von der erstaunlichen Gelassenheit, dem irritierenden Desinteresse der Pariser.

Wie kann das sein? Hat nicht das Herz des Landes gebrannt? Vor der Kirche liegt der Kilometer Null, von dem aus alle Entfernungen berechnet werden. Ging nicht beinah das meist-fotografierte Gebäude Europas in Flammen auf, die Ikone der Historie Frankreichs schlechthin? Warum diese Gleichgültigkeit?

Vielleicht, zum einen, weil das Ausmaß der Zerstörung unvorstellbar ist, im Wortsinn nicht zu glauben. Seit Jahrzehnten trällern Maurice Chevalier und Konsorten, dass Paris ohnehin immer Paris bleiben werde, komme was da wolle. Der Nimbus der Unzerstörbarkeit haftet der Stadt an, ihr, die ihren Aufstieg einer erfolgreich widerstandenen Belagerung durch die Wikinger verdankt.

Sie war unkaputtbar

Sie hat das Mittelalter ohne große Verheerungen überstanden, die Revolution, die Tage der Kommune, zwei Weltkriege inklusive Besatzung, bei deren Ende Sie in Schutt und Asche gelegt werden sollte.

Aber sie war unkaputtbar. Die letzte große Verheerung war eine geplante: der Abriss der Armenviertel rive droite und ihre Ersetzung durch die Grands Boulevards. Hausmann, der Architekt, sollte bei der Planung auch darauf achten, dass in Falle von Straßenkämpfen die Architektur dem Militär taktische Vorteile verschaffe: die Stadt der Liebe ist auch als Waffe gebaut worden.

Dieser Plan zielte darauf ab, Paris den Parisern zu entreißen. Dies ist der Kern des zweiten, düstereren Grundes der Gleichgültigkeit: Paris gehört sich nicht mehr. Es erstickt am eigenen Mythos, in dessen Mitte Notre-Dame steht. Derweil sind die Straßen verstopft, die Mieten unbezahlbar, die Luftverschmutzung eine Zumutung. Laut einer aktuellen Studie würde gern jeder zweite Einwohner den Großraum Paris verlassen.

Ein riesiges Freilichtmuseum

Gleichzeitig explodieren die Besucherzahlen. Die Touristen suchen ein Paris, das es nicht mehr gibt: das Paris der Bohème, des Absinth am Montmartre, die Cafés der Existenzialisten, die Impressionisten in den Museen, Victor Hugo. Und Frankreich bestärkt sie darin: die Nostalgie der guten alten Zeit ist zum Selbstverständnis der Grande Nation geworden, das sich in einer umfassenden Musealisierung niederschlägt.

Fast drei Milliarden Euro beträgt das Budget des Kultusministeriums, zu dessen vornehmsten Aufgaben die Bewahrung des kulturellen Erbes gehört. Die Innenstadt ist längst ein Theater der eigenen Vergangenheit geworden. „Paris va crever d'ennui“, sang die Mano Negra, Paris wird an Langeweile eingehen, das war 1991.

Es gab einige Brände in Paris die letzte Zeit; internationale Beachtung fand die Explosion einer Bäckerei Anfang des Jahres, mutmaßlich verursacht durch ein Gasleck. Vier Menschen verloren ihr Leben, um die 50 Verletzte gab es. Im Februar starben zehn Menschen bei einem Feuer im 16. Arrondissement.

Den Anwohnern stellt sich durchaus die Frage, warum für Notre-Dame in kaum ein paar Stunden hunderte Millionenen an Spenden aufgebracht werden, ihre Häuser aber trotz ständig steigender Renditen für die Besitzer unsaniert bleiben; warum die Milliardärsfamilien wie Arnault, Pinault, Bettencourt, Dassault, Konzerne wie Total aus dem Stand irrwitzige Summen zu spenden in der Lage sind und sich so zu den RetterInnen des französischen Kulturerbes aufspielen dürfen.

Es heißt, bei den Buchhändlern an den Quais der Seine sei der große Run auf Postkarten von Notre-Dame ausgebrochen: nicht nur die Touristen, auch Pariser deckten sich mit Bildern der Kathedrale ein. Gebrannt hat das Postkartenparis, die Kulisse, vor der Frankreich und Europa das Stück der eigenen Großartigkeit aufführen. Und Kulissen lassen sich wieder aufbauen.

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