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Parteitag der Grünen Herbeigeredeter Showdown

Werden die Grünen beim Parteitag in Karlsruhe der Versuchung erliegen, das Zentrum der Gesellschaft wieder für Union und SPD zu räumen?

Der Bundesparteitag der Grünen findet vom 23. bis 26. November 2023 in Karlsruhe statt picture alliance/dpa

taz FUTURZWEI | Im Januar 1980 fand in Karlsruhe der Gründungsparteitag der Grünen statt. Am kommenden Wochenende treffen sich die Grünen nun wieder in Karlsruhe. Da bieten sich historisch aufgeladene Beschwörungen der Erfolge der Grünen oder der angeblich verloren gegangen Werte und Ziele der Partei an. Das mag auch, medial aufgemotzt, unterhaltsam sein. Das Mitregieren in der Ampel-Bundesregierung wird dieser Parteitag aber nicht beenden. So ein Mitregieren erfordert immer wieder deutlichen Abstand zu Parteitagsbeschlüssen. Ein imperatives Mandat hat die Partei gegenüber ihren Mitregierenden nicht.

„Man ist nicht gewählt worden, um Politik für die Realität zu machen, die man sich gewünscht hat, sondern für die Realität, die da ist. Wer dazu nicht bereit ist, braucht gar nicht erst anzutreten. Entscheidend ist dabei, was langfristig zählt, nicht aus den Augen zu verlieren.“ Richarda Lang in der Welt

„Aus der Grünen Fortschrittspartei ist eine Werbeagentur für schlechte Kompromisse geworden.“ Brief von 500 Grünen an den Bundesvorstand

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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat festgestellt, dass die Übertragung von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) rechtswidrig war. Eine Finanzierung der Transformation mit Krediten in Schattenhaushalten und am Haushalt des Bundes vorbei verstößt gegen die mit der Schuldenbremse festgelegten Vorgaben im Grundgesetz. Der Gesetzgeber wird von Karlsruhe darauf verwiesen, die notwendigen Investitionen für die Transformation aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Damit ist höchstrichterlich festgeschrieben: Eine ökologische Transformation auf Pump, und damit ohne Einschränkungen in allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, kann es nicht geben.

Dieses Urteil war schon bei den Koalitionsverhandlungen zur Ampel absehbar. Dass der Verfassungsbruch trotzdem versucht wurde, lässt sich auch nicht mit den Notwendigkeiten entschlossenen Handelns gegen die Folgen des Klimawandel legitimieren. Alle Versuche, nun die Schuldenbremse zu reformieren oder abzuschaffen, werden keine das Grundgesetz ändernde Mehrheit im Bundestag finden. Vizekanzler Robert Habeck und seine Leute müssen versuchen, der Klimapolitik im Haushalt Vorrang zu verschaffen. Subventionen in allen Bereichen könnten gestrichen, die Kindergrundsicherung aufgeschoben und das Bürgergeld vorläufig nicht erhöht werden. Eine Klimaabgabe für alle könnte als Steuererhöhung eingeführt und die Transformationsfahrpläne könnten gestreckt werden, ohne dass die Klimapolitik grundsätzlich gefährdet würde. Im Gegenteil: Solche Priorisierungen würden die Klimapolitik zu einer gemeinsamen Anstrengung der ganzen Gesellschaft machen. Der Parteitag ist der richtige Ort, solche Priorisierungen im Interesse des Klimaschutzes zu verhandeln.

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Bequeme moralische Haltungen helfen nicht weiter

In der Debatte um die Migrations- und Einwanderungspolitik wird ein großer Showdown auf dem Parteitag herbeigeredet. Dabei wissen längst auch die Grünen: An einer Begrenzung der ungeregelten Zuwanderung übers Asyl führt kein Weg mehr vorbei. Wenn nun nach dem Urteil des höchsten britischen Gerichtes die Auslagerung der Asylverfahren in nicht-demokratische Staaten gegen Geld kaum mehr möglich ist, dann muss eine offene Debatte darüber geführt werden, wie Asyl und Einwanderung trennscharf voneinander abgrenzt werden können. Dann wird es um Befestigung der EU-Außengrenzen, Zurückweisung und direkte Abschiebungen, aber auch um eine fordernde Integration für die aufgenommenen Flüchtlinge gehen. Bequeme moralische Haltungen helfen hier nicht mehr weiter.

Die große Rede Robert Habecks zum Kampf Israels gegen die terroristische Hamas hat die Grünen ohne Ja-aber auf der Seite der Juden im Kampf um die Zukunft Israels und aller Juden in der Welt verortet. Ohne einen Sieg Israels gegen die Hamas wird es kaum politische Instrumente geben, um den weltweit wieder offen auftretenden Judenhass zu reduzieren. Außerdem: Nur ein Sieg Israels über die Hamas kann den Palästinensern Perspektiven für eine eigene demokratische Staatswerdung eröffnen. Sie haben dann erneut die Chance, Israel in seinen heutigen Grenzen anzuerkennen, sich von jeder Form des Terrors gegen Israel und den gesamten Westen abzusetzen.

Die Grünen unterstützen den Freiheitskampf der Ukrainer gegen Russland. Das haben Robert Habeck und Annalena Baerbock immer wieder bewiesen. Verteidigungsminister Pistorius (SPD) hat nun mit seiner Forderung, die Bundeswehr „kriegstüchtig“ aufzurüsten auch die Grünen daran erinnert, dass Putins Angriff auf die Ukraine ein Krieg gegen das freiheitliche Europa ist, der mehr Antworten braucht, als die eigenen Waffenlager auszuräumen und nicht wieder aufzufüllen. Auch die Grünen werden auf diese Forderung nach Wiederaufrüstung der Bundeswehr und Stärkung der deutschen Rolle in der Nato erst noch eine Antwort finden müssen.

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Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

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Nicht der Versuchung einer Selbstverzwergung erliegen

Mit der ehemals Großen Koalition, erst in Berlin und jetzt in Hessen, deutet sich die Wiederkehr eines den Wandel ausbremsenden Regierungsmodells an. Der Grüne Sockel von 14 Prozent ist mittlerweile offenbar stabil, eine kulturelle Hegemonie der Grünen, die sich bei Wahlen in eigene Mehrheiten übersetzen ließe, ist aber kaum möglich. CDU und SPD sehen sich derzeit gemeinsam gegen alle angeblich übermotivierten Zukunftspläne der Grünen und gegen die Herausforderungen der rechtsradikalen AfD als Mitte der Gesellschaft. Sie behaupten, gemeinsam in der Lage zu sein, die Herausforderungen dieser stürmischen Zeiten zu meistern. Die Grünen, das ist der Spin, werden dazu nicht gebraucht. Im Bundestag und in den Landtagen stünden dann mittelfristig CDU und SPD als Opposition die rechtsradikale AfD und die Grünen gegenüber. FDP, Linkspartei und Frau Wagenknechts neuer Verein sind dann wohl schon in die Geschichtsbücher verschwunden.

Die Grünen könnten in Karlsruhe womöglich der Versuchung erliegen, die ihnen in diesem restaurierten Machtmodell zugedachte Rolle anzunehmen. Aus dem realpolitischen Pragmatismus endlich wieder auszubrechen, die Ebene der Mühen und Kompromisse zu verlassen, um wieder sauber die ökologischen Fundi-Fahnen zu schwenken, das wäre doch wieder schön? Doch ob Ihnen das, außer bei Fridays for Future und der Letzten Generation, Zustimmung einbringen würde, darf bezweifelt werden.

Die Wahrscheinlichkeit dagegen, dass ähnlich wie schon in Sachsen nach den Wahlen 2024 in den Neuen Bundesländern und auch 2025 im Bund regierungsfähige Mehrheiten ohne die Grünen gar nicht möglich sein werden, eröffnet auch jenseits des Kanzleramtes Handlungsraum für das Anführen der ökologischen Transformation – auch aus der zweiten Reihe heraus. Dafür dürfen die Grünen am Wochenende in Karlsruhe aber eben nicht der Versuchung einer radikalistischen Selbstverzwergung erliegen.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.