Paul Masons „Postkapitalismus“: Verleiht eure Rasenmäher

Die Linke ist gescheitert, die Abschaffung des Kapitalismus geht dennoch voran, sagt Paul Mason. Er setzt auf Digitalisierung und Tauschsysteme.

Ein Rasenmäher und gemähtes Gras

Ob geliehen oder gekauft: Auch im Postkapitalismus muss Rasen gemäht werden Foto: Photocase / Alex-

Wenn man im Regen steht und schwitzt, fällt es niemanden auf. Ähnlich unsichtbar bleiben die Anstrengungen derer, die an einer Alternative zum heutigen Wirtschaftssystem arbeiten. Obwohl die Auswirkungen für alle sichtbar sind: kurzfristige Arbeitsverträge, mit denen sich keine Zukunft planen lässt, oder Zustände wie beim Apple-Zulieferer Foxconn, dessen Mitarbeiter vertraglich versprechen müssen, nicht wegen arbeitsbedingtem Stress Selbstmord zu begehen. Laut DIW haben heute 40 Prozent der deutschen Haushalte weniger Einkommen als vor 20 Jahren, während das der obersten Einkommensgruppe um 38 Prozent stieg.

Die Ursachen liegen im neoliberalen Kapitalismus, dieser von deregulierten Märkten, Konsumzwang und Wettbewerb beherrschten Gesellschaftsordnung, die auf stetigem Wachstum basiert – und 2008 infolge des Finanzcrashs die größte Krise seit 1929 erfuhr.

Dass Krisen keine Ausnahme, sondern ein Teil des Systems und dass nicht nur Wachstum, sondern auch der Kapitalismus endlich ist, behaupten heute viele. Doch nur wenige sind dabei so glaubwürdig wie der britische Journalist Paul Mason. „Der Kapitalismus ist ein komplexes System, das an die Grenzen seiner Anpassungsfähigkeit gestoßen ist“, schreibt er in seinem neuen Buch „Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie“. Es ist einer der klügsten, aber auch streitbarsten kapitalismuskritischen Ansätze der vergangenen Jahre.

Mason zufolge ist das Projekt der Linken gescheitert. „Die Marktwirtschaft hat die Planwirtschaft zerstört, der Individualismus hat über Solidarität triumphiert, und die rasant anwachsende globale Arbeiterschaft sieht aus wie ein Proletariat, denkt und handelt jedoch nicht mehr wie eines.“

Paul Mason: „Postkapitalismus“. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Suhrkamp, Berlin 2016, 430 Seiten, 26,95 Euro

Das Werk fußt auf einer Geschichtsanayse. Etwa Nikolai Kondratjews „Wellentheorie“, der zufolge alle Wirtschaftszyklen von technischem Fortschritt vorangetrieben werden. Wie die Entstehung der Eisenbahn in Europa 1848 oder die Automatisierung von Massenkonsumgütern seit den 1940er Jahren.

Die jetzige fünfte Welle, getragen von der Digitalisierung, stecke fest, da Innovationen systematisch blockiert würden. Weil heute die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten auf Gütern basieren, die theoretisch kostenlos seien: Informationen. Sie berauben den Markt der Fähigkeit, Preise festzulegen – generiert er diese doch seit Jahrhunderten aus der Knappheit von Ressourcen. Informationen sind hingegen im Überfluss vorhanden.

Postkapitalismus und Sharing-Economy

Die Überwindung des Kapitalismus erfolge jedoch entgegen des marxistischen Dogmas nicht als Revolution, sondern als Reform, die längst eingesetzt hat. Sie beginnt da, wo Nachbarn ihren Rasenmäher verleihen, statt ihn neu zu kaufen. Die zentrale Route des Postkapitalismus ist die Sharing-Economy, wie sie in Grass-Roots-Version derzeit in Griechenland zu sehen ist. Dort sind infolge der Krise Essenskooperationen oder lokale Tauschsysteme entstanden, etwa kostenlose Autobörsen oder Kindergärten.

Nach Mason seien die Netzwerke mit ihrer Tendenz zum freien Informationsaustausch und der Dezentralisierung der Märkte die Hauptakteure des Wandels. Doch wie genau sie zu Akteuren der Macht heranwachsen sollen, bleibt diffus – und ist neben dem Technikoptimismus und der Inthronisierung sozialer Medien als demokratische Waffe die größte Schwäche des Buchs. Denn so berechtigt die Kritik an den alten Strukturen ist, so wichtig sind auch heute noch Parteien und Gewerkschaften für die Durchsetzung kollektiver Interessen.

Stichhaltig am Buch ist die makroökomische Weitsicht. Mason ist bewusst, dass der Postkapitalismus, der für ihn weniger ein politisches Programm als ein „Verteilungsprojekt“ ist, nicht ohne, sondern nur mit dem Staat erfolgen kann, indem er innovative Open-Source-Projekte wie Wikipedia fördert. Die beiden größten Hürden bestünden im Übergang zu erneuerbaren Energien sowie in den hohen Schulden infolge der wachsenden Rentenlast. Kontrollierte Schuldenerlasse seien daher unerlässlich.

Die Zentralbanken müssten nationalisiert und zu nachhaltigem Wachstum verpflichtet werden. Das Bankensystem müsste umstrukturiert, etwa in Kreditgenossenschaften aufgeteilt werden, während das Finanzsystem wieder zu seiner historischen Rolle zurückkehren solle: der Verteilung von Geld zwischen Unternehmen, Sparern und Gläubigern. Ein Grundeinkommen könnte zudem Einkommen von Arbeit trennen und die Kosten für die Verstaatlichung der Automatisierung abfedern.

Masons Utopie kann demnach nur aus der Gesellschaft heraus und schrittweise funktionieren. Unerwähnt bleibt dabei der dafür erforderlich radikale psychologische Wandel. Die Menschen müssten bereit sein, temporäre Energiearmut zu ertragen und einen Teil des Wohlstands zu opfern, etwa zugunsten von Rentenkürzungen. Postkapitalismus ist harte Arbeit.

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