Paul Schraders Spielfilm „First Reformed“: Den inneren Frieden verloren

Paul Schraders Film „First Reformed“ ist wunderbar karg. Er bringt in fast unerträglicher Verdichtung die Konflikte der Gegenwart auf den Punkt.

Ein Mann und eine Frau sitzen im Halbdunkel in einem Wohnzimmer.

Trotz des Klimawandels Kinder gebären? Ernst Toller (Ethan Hawke) und Mary (Amanda Seyfried) Foto: Park Circus/Universal

Die Austerität hat sich durch falschen Umgang in Verruf gebracht. Bevor sie zum Inbegriff einer unsozialen Sparpolitik wurde, konnte Austerität noch für eine besondere Art der Schönheit stehen. Zwar eine strenge, karge, gewissermaßen sparsame Schönheit, aber doch unverkennbar das: Schönheit.

Paul Schraders „First Reformed“ liefert dafür ein so wunderbares Beispiel, dass man sie rehabilitieren möchte, die Austerität, als Beschreibung einer Methode, die Disziplin und Verzicht einmal nicht gegen andere wendet, sondern den geistigen Konflikt nackt macht, im wahrsten Sinne des Wortes enthüllt. In „First Reformed“ geht es um die ganz, ganz großen Fragen. Darum, was wir, die Menschheit, mit dieser Erde anstellen, wie wir in Zeiten der Klimaerwärmung vor den drohenden Katastrophen die Augen verschließen und wie solche Aussichten unser jetziges, aktuelles Fühlen und Denken bestimmen.

Die meisten Filme, die in den letzten Jahrzehnten an diese Fragen rührten, haben das mit viel Getöse und großen Storys getan, die oft das gesamte Weltall, einiges an Katastrophenlust und Unmengen an CGI (Computer Generated Imagery) erforderten. Schrader dagegen macht alles im Kleinen fest, mit wenigen Figuren und wenigen Schauplätzen. Gedreht ist sein Film im „Akademie-Format“, das unseren Flatscreen-, Imax- und 3-D-verwöhnten Augen heute wie reinster Pauperismus vorkommt.

Diese ästhetische Askese geht innerhalb der Bilder weiter: Der Film spielt im schneelosen Winter, Bäume ragen mit schwarzen Ästen in einen dauergrauen Himmel; Ort der Handlung ist eine kleine Gemeinde in der Provinz nördlich von New York, wo die Straßen nur wenig befahren sind und es nirgendwo Fußgänger gibt. Selten sind mehr als zwei Menschen im Bild. Man hört so gut wie keine untermalende Filmmusik. Aber statt abzuschrecken strahlt diese formale, schmucklose Strenge eine Konzentration aus, die von der ersten Einstellung an fesselt. Man hat augenblicklich das Gefühl, dass hier keine Zeit vergeudet wird, dass es um etwas Wichtiges geht.

„First Reformed“. Regie: Paul Schrader. Mit Ethan Hawke, Amanda Seyfried u. a. USA 2018, 113 Min.

Ethan Hawke spielt Ernst Toller, Pfarrer in einer kleinen Kirche, die von puritanischen Kolonisten im 18. Jahrhundert erbaut wurde: weiß gestrichenes Holz, zwei Reihen Kirchenbänke, alles sehr übersichtlich. Längst ist die Kirche mehr touristische Sehenswürdigkeit als Mittelpunkt einer Glaubensgemeinde. Man bereitet sich auf ihre 250-Jahr-Feier vor. Trotzdem versammelt Toller in seinem Gottesdienst kaum mehr als sechs bis acht Leute.

Er möchte sich kümmern

Darunter befindet sich Mary (Amanda Seyfried), die nach der Predigt mit einer Bitte auf ihn zukommt. Er soll mit ihrem Mann sprechen, mit dem sie einen Konflikt hat: Sie sei schwanger, er aber möchte abtreiben lassen, weil er findet, dass man es keinem Kind mehr antun kann, in diese Welt gesetzt zu werden. Toller zögert keinen Moment damit, sich auf eine Verabredung einzulassen, nicht weil er sich seiner Argumente so sicher scheint, sondern weil er sich kümmern möchte.

Zuvor hat Schrader seinen nicht mehr ganz jungen Pfarrer als Mann in geistiger Krise vorgestellt. Aus dem Off spricht Hawke mit brüchiger Stimme vom Vorhaben, ein Tagebuch schreiben zu wollen. Handschriftlich, um alles Durchstreichen, alle Irrtümer und Korrekturen sichtbar zu lassen. Man hört das Ansinnen der strengen Selbstbeobachtung heraus und sieht ihn in seiner kargen Stube bei dämmrigem Licht sitzen, wie er die linierten Zeilen eines Schulhefts füllt und sich dazu recht großzügig Whiskey einschenkt. So friedlich die Szene wirkt, so deutlich spürt man die Kantigkeit dieses Mannes, der offenbar seinen inneren Frieden verloren hat.

Im Gespräch mit Marys Mann Michael (Philip Ettinger), zu dem Toller sich am nächsten Tag aufmacht, erfährt man mehr. Dass er geschieden ist, dass er seinen Sohn verloren hat, der in Fortsetzung einer Familientradition als Freiwilliger in den Irakkrieg zog und dort ums Leben kam. Nichts könne schlimmer sein als der Verlust eines Kindes, hält er seinem Öko-Aktivisten-Gegenüber vor, auch nicht die Aussicht der nahenden Klimakatastrophe, die Michael ihm zuvor in absolut sachlichen Termini ausgemalt hat.

Bemerkenswert floskellos

Wunderbar nüchtern filmt Schrader dieses Gespräch: als ein Hin und Her zwischen sehr, sehr ernsthaften Männern, die einander zuhören und respektieren, ohne sich gegenseitig überzeugen zu können. Beide sind sie von Schmerz gezeichnet, wobei den einen die Vergangenheit und den anderen die Zukunft quält. Alles, was Drehbuchautor Schrader ihnen in den Mund legt, macht Sinn und ist bemerkenswert floskellos.

Es ist ein Gespräch, das viele auf die eine oder andere Weise, auf der einen oder anderen Seite stehend wohl schon geführt haben: die Welt und wie sie 2050 bei zwei Grad Erwärmung aussehen wird. Die Tatenlosigkeit unserer Mitbürger und Politiker. Die Frage, ob man überhaupt noch hoffen darf. Oder gar hoffen soll? Dem Kinozuschauer ergeht es an der Stelle fast wie Toller selbst, der nach der Diskussion aus dem Off schildert, wie er nachts wach gelegen habe mit dem Wunsch nach besseren Worten, besseren Argumenten. Doch zum verabredeten zweiten Gespräch kommt es nicht.

Die disziplinierte Zurückhaltung, in der Schrader erzählt, suggeriert ein Tempo der Ruhe, an dem sich die inneren Brüche und Konflikte der Figuren um so deutlicher reiben. Einerseits scheint Toller noch ganz seiner Arbeit unterworfen, den Vorbereitungen auf das Jubiläum, den Hilfeleistungen für die schwangere Mary. Andererseits haben Michaels Argumente in ihm etwas angestoßen. Er googelt und findet heraus, dass ausgerechnet der Hauptförderer seiner Kirche, ein Industrieller namens Balq (Michael Gaston), zu den großen Umweltverschmutzern gehört.

Verantwortung, die der Mensch hat

Aber auch diesen Konflikt inszeniert Schrader im kleinstmöglichen Format: Um den Ablauf der Feierlichkeiten zu besprechen, treffen sich Toller, sein Vorgesetzter Jeffers (Cedric the Entertainer) und Balq in einem Diner zum Kaffeetrinken. Sie sind die einzigen Gäste und kommen schnell zum Thema. Balq verwehrt sich gegen jede Art von „politics“ bei der von ihm gesponserten Feier. Toller spricht von der Verantwortung, die der Mensch der Erde gegenüber hat.

Die Unterhaltung verläuft sehr gesittet, sie ist kein dramatischer Höhepunkt, und doch bringt die Szene in fast unerträglicher Verdichtung den gesellschaftlichen Konflikt der Gegenwart auf den Punkt: nicht als einen zwischen vermeintlich bösen Kapitalisten und wohlmeinenden Bürgern, sondern als den zwischen Arroganz und Gleichgültigkeit auf der einen und Zweifel und Schuldgefühl auf der anderen.

„First Reformed“ ist ein geschliffener, harter kleiner Diamant von einem Film. Je mehr man schaut, desto mehr Facetten entdeckt man. Der Schluss ist verrückt, in mehrfacher Hinsicht. So ausführlich hier Argumente ausgesprochen werden, so wenig wird doch erklärt. Ähnliches gilt für das Netz von Verweisen, das sich durch den Film zieht. Da gibt es Anklänge an Ingmar ­Bergmans „Licht im Winter“ und an ­Robert Bressons „Tagebuch eines Landpfarrers“, der Name Ernst Toller dürfte so wenig zufällig gewählt sein wie die Tatsache, dass ­Toller Thomas Merton liest: beides schwierige Männer des 20. Jahrhunderts, deren spirituelle Suche zu ­politischem Engagement führte.

Aber vor allem ist dies ein Paul-Schrader-Film: Noch in keinem seiner Drehbücher und Filme hat der „Taxi Driver“-Autor die calvinistische Strenge seines eigenen Aufwachsens so produktiv eingesetzt. Als Erzählmethode entfaltet sie hier eine Unerbittlichkeit, die trifft und nachwirkt.

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