Pazifist über Mahnwachenbewegung: „Putins Politik ist reaktiv“

Für Reiner Braun von der „Kooperation für den Frieden“ geht die neue Ost-West-Konfrontation von der Nato aus. Auf die Mahnwachen-Bewegung möchte er zugehen.

Russlands Schwarzmeerflotte bei einer Parade vor der annektierten ukrainischen Halbinsel Krim. Bild: reuters

taz: Herr Braun, glaubt man den Umfragen, gibt es in der Bevölkerung eine Mehrheit gegen deutsche Militäreinsätze. Trotzdem ist die traditionelle Friedensbewegung heute nur ein kleines Häuflein. Kann es sein, dass Sie die Menschen nicht erreichen?

Reiner Braun: Wir haben eine Bevölkerungsmehrheit, die gegen Krieg ist. Aber wir erreichen sie nicht. Wir sind nicht in der Lage, den politischen Druck zu erhöhen, um eine Änderung der Politik zu bewirken.

Was ist Ihre Erklärung dafür?

Die Friedensbewegung befindet sich in einer Krise. Wir müssen intensiver nachdenken, wie wir vor allem unsere quantitativen Probleme lösen können. Wir haben auch eigene Fehler gemacht. Zum Beispiel haben wir uns nicht rechtzeitig um eine Verjüngung bemüht. Wir haben viel zu spät auf die neuen sozialen Medien gesetzt. Und natürlich haben uns bisweilen nach außen zu sehr abgeschottet. Wir haben nicht rechtzeitig überlegt: Gibt es neue Kräfte und neue Strukturen, die wir stärker in den Diskurs einbinden müssen? Wir sind in einer Suchsituation.

Deshalb setzen Sie jetzt auf die Zusammenarbeit mit dubiosen Gestalten?

Ich setze auf die Diskussion mit den vielen jungen engagierten Menschen, die sich uneigennützig für den Frieden einbringen.

Die meinen Sie ausgerechnet in der sogenannten Mahnwachen-Bewegung zu finden?

Ich halte die Mahnwachen-Bewegung für eine spontane Bewegung von Menschen, die anfangen, sich zu politisieren. Das ist eine neue heterogene soziale Protestbewegung mit all den Problemen und allen Widersprüchen, die in so einer neuen Bewegung vorhanden sind. Ich möchte gerne, dass wir als traditionelle Friedensbewegung auf sie zugehen und den Dialog suchen. Oppositionskräfte sollten immer versuchen, so viel wie möglich gemeinsam zu tun.

56, ist Sprecher der Kooperation für den Frieden. In den 1980er Jahren arbeitete er für den „Krefelder Appell“, der sich gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik richtete.

Jetzt stehen auch neurechte Verschwörungstheoretiker wie Ken Jebsen oder Lars Mährholz unter dem Aufruf für die Demo vorm Schloss Bellevue.

Ich halte die Mahnwachenbewegung nicht für eine neue rechte Bewegung. Lars Mährholz mag vieles sein, aber er ist kein Rechtsradikaler. Er hat maßgeblich zur Trennung der Mahnwachen von Rechtsradikalen beigetragen. Das gilt auch für Ken Jebsen. Ich halte ihn für jemanden, der scharfe Kritik an der israelischen Regierung übt, den ich aber nicht als Antisemiten bezeichnen würde. Um das ganz deutlich zu machen: Antisemitische, neurechte, reichsbürgerliche, rassistische, nationalistische und faschistische Positionen lehnen wir ab.

Können Sie vielleicht deswegen so viel gemeinsam mit Leuten wie Jebsen und Mährholz unternehmen, weil Sie ihre grundsätzliche Weltsicht teilen: der Westen als der Hort des Bösen?

Jetzt kommen wir auf einen wirklichen politischen Grunddissens – und zwar in der Einschätzung der internationalen Kräftekonstellation in der Weltentwicklung. Da ist für mich die Nato die Hauptkraft, die kriegerische Auseinandersetzungen in den letzten Jahren vorangetrieben hat. Nehmen wir nur die völkerrechtswidrigen Kriege, die ja in Jugoslawien angefangen haben, über Afghanistan, Irak und Libyen gegangen sind und noch viel weiter gehen.

„Friedenswinter 2014/15“: Unter diesem Motto demonstriert diesen Dezember die traditionelle Friedensbewegung zusammen mit der neuen „Mahnwachenbewegung“, die seit Frühjahr jeden Montag in zahlreichen Städten gegen den Ukrainekrieg protestiert.

Kritik: Mahnwachen-Initiator Ken Jebsen wurde beim RBB entlassen, nachdem er antisemitischer Äußerungen beschuldigt wurde. Sein Kollege Lars Mährholz macht die US-Zentralbank Fed für zahlreiche Kriege verantwortlich.

Höhepunkt: Am Samstag, dem 13. Dezember, fand eine gemeinsame Kundgebung vor dem Schloss Bellevue statt, zu der laut Veranstalterangaben rund 3.500 Menschen gekommen waren. Diese wandten sich teilweise direkt mit Spruchbändern an Bundespräsident Joachim Gauck, wie „Du sollst nicht töten, Herr Pfarrer“ oder „Sie sind der Super-GAU für den Frieden“. Den Aufruf hatten neben Mahnwachen-Vertretern auch Prominente wie Elmar Altvater (FU Berlin), Albrecht Müller (Nachdenkseiten), Konstantin Wecker und Eugen Drewermann unterschrieben. (mare/dpa)

In dem Aufruf prangern Sie auch die Ostausdehnung der Nato an. Über die Westausdehnung Russlands auf der Krim verlieren Sie kein Wort.

Wir wenden uns generell gegen Interventionen. Aber um das noch mal klar zu sagen: Wir sehen, dass die Konfrontation mit Russland von der Nato und ihrem Marsch nach Osten ausgeht. Russlands Politik ist reaktiv.

Das rechtfertigt es, russische Soldaten jenseits der eigenen Grenzen einzusetzen?

Die russische Reaktion ist aus meiner Sicht weder richtig noch verantwortbar. Die Angliederung der Krim an Russland halte ich für völkerrechtswidrig.

So eindeutig ist die Friedensbewegung nicht immer. Ihre „Kooperation für den Frieden“ hat auch ein Heft zum Ukraine-Konflikt vorgelegt, in dem sie als Lösung eine erneute Abstimmung auf der Krim vorschlägt, diesmal unter OSZE-Aufsicht. Das Ergebnis ist angesichts der russischen Mehrheit doch absehbar. Angenommen, Österreich besetzt morgen Südtirol, schlagen Sie dann auch eine Abstimmung unter OSZE-Aufsicht vor – und Südtirol wird an Österreich angegliedert?

Die Situation auf der Krim ist nicht mehr rückgängig zu machen. Nun müssen wir überlegen, ob wir dafür eine Lösung finden können. Jedenfalls wird man die Krim nicht gegen den Willen der Bevölkerung an die Ukraine zurückzugeben können.

Sie wollen Moskau neun Monate nach der Besetzung der Krim belohnen? Würde das nicht zu einem ähnlichen Vorgehen in anderen Gebieten ermutigen.

Es gibt bei der Krim ja auch ein paar historische Punkte, die für die Zugehörigkeit zu Russland sprechen. Sie ist eigentlich das illegale Geschenk Chruschtschows an die Ukraine.

So ähnlich könnte man im Falle Südtirols auch argumentieren.

Ich wehre mich dagegen, historisch und geografisch unterschiedliche Gebiete gemeinsam zu diskutieren. Wir machen in dem Dossier Vorschläge zur Lösung des Ukraine-Konflikts. Wenn andere bessere Vorschläge haben: gerne. Jede militärische Lösung lehnen wir ab.

Es ist doch ungewöhnlich, dass die Friedensbewegung im Fall der Ukraine nicht allergisch auf die Verletzung von Grenzen mit militärischer Gewalt reagiert, wie sie es im Falle des Kosovo getan hat. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie dort für die Unabhängigkeit eingetreten ist.

Auch das ist kein zulässiger Vergleich, weil es beim Kosovo eine klare UN-Erklärung für einen Verbleib bei Serbien gab.

Sie wissen aber doch, warum es zur Krim keine UN-Resolution geben wird – wegen des russischen Vetos.

Auf der Krim hat es eine Volksabstimmung gegeben. Mit dem Ergebnis eines großen Teils der Bevölkerung, zu Russland zu gehören. Und der Wunsch der Bevölkerung war lange da, bevor russische Truppen oder Freiwillige zum Einsatz gekommen sind.

Noch einmal: Wenn Sie ein solches Verändern von Grenzen aufgrund des Wunsches einer Minderheit in einem gesamten Staatsgebiet, die in einem Teil des Gebietes die Mehrheit stellt, legitimieren, machen Sie die ganzen Konflikte wieder auf, die in Europa zu zwei Weltkriegen geführt haben.

Es gelten die UN-Charta oder die Vereinbarungen der OSZE. Wenn beide Seiten übereinstimmen, kann man Grenzen korrigieren. Die beste Möglichkeit, die Krim-Frage zu lösen, wäre, dass die Ukraine und Russland einer erneuten Abstimmung zustimmen.

Glauben Sie denn, dass jemand wie Lea Frings, Moderatorin bei Russia Today (RT), Ihren Aufruf auch dann unterschrieben hätte, wenn er sich gegen die Besetzung der Krim gerichtet hätte?

Ich weiß aus Diskussionen mit Lea Frings, dass sie keine unkritische Position zu Russland hat und Friedenspositionen einnimmt.

Dann besitzen Sie ein bemerkenswertes Insiderwissen.

Ach, wissen Sie, dass wir jetzt so kontrovers über die Montagsmahnwachen diskutieren, liegt doch an was ganz anderem. Hier kulminieren mehrere verschiedene Auseinandersetzungen. Die um Antisemitismus und Israelkritik, um das Verhältnis zu Russland und den USA, um Bündnispolitik im Allgemeinen und die Regierungsfähigkeit der Linkspartei im Besonderen. Glauben Sie etwa, den Berliner Linkspartei-Chef Klaus Lederer, der uns kritisiert, interessiert die Friedensbewegung? Den interessiert doch was ganz anderes.

Und was?

Den interessiert, wie er die Linkspartei für SPD und Grüne koalitionsfähig machen kann. Dafür muss er die antimilitaristischen Grundpositionen seiner Partei knacken.

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