Pläne der Versicherungsgesellschaften: Kunden als Altlasten

Sie sind der Liebling deutscher Sparer. Nun wollen die deutschen Lebensversicherer 20 Millionen Verträge entsorgen.

Eine Lupe über einem Versicherungsvertrag

Früher suchten die Versicherten im Vertrag nach ungünstigen Klauseln. Heute sind es die Versicherungsfirmen Foto: dpa

HAMBURG taz | Viele Lebensversicherer liebäugeln damit, Altverträge auf Halde zu legen. Dabei geht es um über 20 Millionen Verträge, für die vergleichsweise hohe Zinsen an die Kunden gezahlt werden müssen. In den kommenden fünf Jahren werden sich die Konzerne von jedem fünften Vertrag trennen und das Neugeschäft in den betreffenden Tarifen einstellen, prognostiziert das Ratinghaus Fitch in einer neuen Studie. Policen mit einem Volumen von 180 Milliarden Euro würden abgewickelt.

Grund sind die niedrigen Zinsen und höhere Kapitalanforderungen, schreibt Fitch. Die allgemein niedrigen Zinssätze seit der Finanzkrise machen Policen, für die bis zu 4 Prozent Garantiezins an die Versicherten gezahlt werden müssen, für die Unternehmen unattraktiv. Zudem schmälern neue Sicherheitsauflagen („Solvency II“) durch die Behörden – wie bei den Banken – die Gewinne.

Um sich von den kostspieligen Altlasten zu befreien, planen daher immer mehr Konzerne, sich von ihren klassischen Kapital-Lebensversicherungen zu trennen. Entweder hausintern, in dem die Altverträge in eine Art „Bad Bank“ abgeschoben werden oder durch den Verkauf an externe Dienstleister.

Doch das Abwickeln von Altbeständen ist umstritten. Sinn macht dies vor allem dann, wenn die Betreuungskosten gebündelt und gedrückt werden können. Doch die Kunden wollen weiter beraten und betreut werden, bis ihr Vertrag ausläuft und darüber hinaus. „Ist das garantiert, wenn plötzlich ein Hedgefonds die Policen verwaltet?“, kritisiert das Fachblatt „Versicherungsbote“.

Abschied von den klassischen Policen

Derzeit wird auf dem deutschen Leben-Markt bereits ein Volumen von 90 Milliarden Euro abgewickelt, berichtet Fitch weiter. Aktuell würden die Versicherungsunternehmen meist ihre Policen noch selber verwalten. Aber zunehmend werde es attraktiver, die Verträge an externe Investoren zu verkaufen – darunter Hedgefonds und sogenannte Bestandsverweser wie die „Heidelberger Leben“, die sich auf die Abwicklung von Altbeständen spezialisiert haben.

Vorgeprescht sind bislang kleinere Versicherer. Doch nun haben die Nummer zwei und drei der Branche – Generali und Ergo – angekündigt, mit einem Abschied von ihren klassischen Policen zu liebäugeln. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) in Bonn hat bereits angekündigt, die Einhaltung der gesetzlichen Belange der Kunden genau zu beobachten.

Aktuell sorgen sich viele Beschäftigte. In Hamburg protestierten schon Aberhunderte Angestellte von Ergo.

Der Bund der Versicherten sieht „große Risiken für die Versicherten“. Lars Gatschke vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) warnt jedoch gegenüber der taz vor Panikmache. Die Bafin werde dafür sorgen, dass „Verbraucher nicht schlechter gestellt werden“. Garantierte Zusagen müssten selbst Bestandsverweser auszahlen. Mehr aber auch nicht. So könnte der neue Verwalter eine geringere Überschussbeteiligung leisten, als es der alte getan hätte. Daher bleibe die Zukunft „ein Blick in die Glaskugel“. Kunden sollten ihre Standmitteilung genau prüfen, die sie alljährlich erhalten. „Wenn die nichts Erfreuliches meldet, kann man immer noch reagieren“, rät Gatschke.

Aktuell sorgen sich viele Beschäftigte. In Hamburg protestierten schon Aberhunderte Angestellte von Ergo. „Allein bei der Ergo sind es heute rund tausend Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten“, sagt Martina Grundler, Bundesfachgruppenleiterin der Gewerkschaft Verdi, der taz. Die Übernahme von Lebensversicherungsbeständen sei nur dann profitabel, so Frau Grundler, wenn diese Bestände möglichst billig und effektiv verwaltet würden. „Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass Finanzinvestoren mit den Beständen auch das Personal übernehmen wollen oder werden.“ Insofern droht Jobverlust.

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