Politikmachen auf dem Land: Wenn die Listen leer bleiben

Bei der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein mangelt es an Kandidat*innen. Die klassischen Parteien treten in vielen Gemeinden gar nicht erst an.

An einer Stange vor einem Acker hängen zwei Wahlplakate und ein Werbeplakat.

Politik, Outdoor, Äcker: So sieht Wahlkampf in Schacht-Audorf bei Rendsburg aus Foto: Esther Geißlinger

RENDSBURG taz | Die Fachwerkhäuser im Ortskern zeugen von Wattenbeks Geschichte als Bauerndorf. Heute leben in der Gemeinde zwischen Kiel und Neumünster rund 2.900 Menschen, immer wieder melden sich Familien bei Bürgermeister Sönke Schröder, die gern in das Dorf ziehen wollen. Viele aktive Vereine, gute Infrastruktur, die Grundschule und die ausgebaute Kita – alles da. Nur Parteien fehlen: Bei der Kommunalwahl am 6. Mai treten zum zweiten Mal ausschließlich Wählergruppen an. Auch in anderen Gemeinden fällt es fast allen klassischen Parteien immer schwerer, ausreichend Personal für ihre Listen zu finden.

„2013 hätten wir es vielleicht noch knapp geschafft“, sagt Schröder, der früher für die CDU Kommunalpolitik machte. Aber die SPD hätte keine Liste zusammenbekommen und so taten sich die beiden Volksparteien zusammen. Das Bündnis hielt nicht ewig. „Ein bisschen war zu spüren, wer schwarz und wer rot war“, sagt Schröder. Die Wählergruppe spaltete sich, dieses Mal treten drei Listen gegeneinander an: Aktiv für Wattenbek, Kommunale Wählergemeinschaft Wattenbek und Wählergemeinschaft für Wattenbek.

Keine sei einer der klassischen Parteien zuzuordnen. „Mein Stellvertreter war früher bei der SPD“, sagt Schröder. „Und überall gibt es Leute aus ganz verschiedenen Bereichen, darunter auch junge Leute und viele Selbstständige.“ Beides Bevölkerungsgruppen, die sich schwer in die Politik locken ließen. „Die nehmen ungern ein Parteibuch in die Hand“, sagt Schröder, der sein CDU-Parteibuch noch hat. „Man muss mit ihnen sprechen und sie überzeugen, sich zu engagieren.“

Auch dem SSW, der Partei der dänischen und friesischen Minderheit, geht es so: „Rund 80 Prozent unserer Kandidaten rekrutieren wir über die Minderheitenarbeit vor Ort“, sagt Parteisprecher Per Dittrich. Daher werde es dort „problematisch, wo die Minderheit keine Infrastruktur mehr hat – sprich: Schulen, Kindergärten, Kulturarbeit“. Wenn der dänische Schulverein eine lokale Schule schließe oder sich im Kulturverein SSF ein Ortsverband auflöse, „dann merken wir das in der Regel schon wenige Jahre später sowohl bei der Kandidatenkür als auch beim Wahlergebnis“, sagt Dittrich.

Der SSW tritt nicht flächendeckend in den über 1.000 Gemeinden in Schleswig-Holstein an, sondern in vergleichsweise übersichtlichen 67 Orten im Norden des Bundeslandes, in den kreisfreien Städten Kiel und Flensburg und auf Helgoland. Von den rund 3.500 Mitgliedern kandidiert jedes fünfte auf einer Liste.

Vorstoß ins Neuland

So gelingt es der Minderheitspartei sogar, in Neuland vorzustoßen: Im Dorf Sollerup im Kreis Schleswig-Flensburg kandidiert der SSW zum ersten Mal. „Ich kann gar nicht einschätzen, wie die Chancen stehen“, sagt Siine Hoop. Sie und ihr Mann Sönke besetzen die Plätze zwei und drei auf dem Wahlzettel.

Sollte Spitzenkandidat Manuel Ohlsen einziehen, wäre das ein Sieg gegen die zurzeit allein regierende örtliche Wählergemeinschaft, klassische Parteien kandidieren nicht. Für den SSW ist es eigentlich ein Widerspruch, Dorfpolitik für knapp 500 Menschen zu machen: Die Partei zieht es nach skandinavischem Vorbild in große und finanziell gut ausgestattete Gemeinden. „Aber man kann so etwas nicht verordnen“, sagt Hoop. „Und solange es die Strukturen so gibt, muss man da vertreten sein.“

Mitgliederstärkste Partei im Land ist die CDU, die in vielen Gemeinde auch die ehrenamtlichen BürgermeisterInnen stellt. „Wir treten flächendeckend an“, sagt Parteisprecher Max Schmachtenberg. In Zahlen sind das 6.500 Menschen, die sich auf 492 Gemeindelisten und 15 Kreislisten zur Wahl stellen.

Bei der Kommunalwahl am 6. Mai in Schleswig-Holstein wählen rund 2,4 Millionen Stimmberechtigte in rund 1.080 Gemeinden, den vier kreisfreien Städten Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster sowie in den elf Landkreisen ihre politischen Vertretungen.

Die Wahl 2013 hatte die CDU mit landesweit 38,9 Prozent klar gewonnen. Die SPD holte seinerzeit 29,8 Prozent, die Grünen schafften 13,7 und die FDP 5,0 Prozent. Es folgten Wählergemeinschaften mit 4,8, der SSW mit 2,9 und die Linke mit 2,5 Prozent. Die AfD war damals noch nicht im Rennen. Die Wahlbeteiligung lag bei 46,7 Prozent.

Aber selbst der starken CDU gelingt es nicht in allen Orten, eigene Listen zu füllen – dabei geht es auf den hintersten Plätzen nur darum, Namen einzutragen, schließlich ziehen so gut wie nie Mitglieder ausschließlich einer Partei in den Rat ein. In den Orten, in denen die CDU diese Anforderung nicht allein erfüllt, hat sie sich meist mit der örtlichen Wählergemeinschaft zusammengetan. „Wir stellen seit einiger Zeit fest, dass die Bereitschaft für ehrenamtliches Engagement abnimmt“, sagt Schmachtenberg. Oft sei es schwer, den Posten im Gemeinderat mit Familie und Beruf zu vereinbaren.

Das gilt vor allem für das oft sehr zeitaufwändige Bürgermeisteramt. Landesweit wird es immer schwieriger, diese ehrenamtlichen Stellen zu besetzen. In den 89 Städten und Kommunen mit mehr 4.000 EinwohnerInnen sind diese Ämter direkt gewählte, hauptamtliche und bezahlte Verwaltungsposten, die 1.017 kleinen Gemeinden in Schleswig-Holstein sind selbstverwaltet.

Die Gemeinde Pahlen an der Eider im Landkreis Dithmarschen zum Beispiel ist eine von vielen Ortschaften, in denen niemand BürgermeisterIn werden will. Amtsinhaber Jörg Patt (CDU) will nach zehn Jahren aufhören, die Nachfolge ist unklar. „Die CDU stellt hier seit 36 Jahren den Bürgermeister“, sagt Patt, aber keiner seiner Parteifreunde wolle sein Nachfolger werden.

Ein Mitglied der örtlichen Wählergemeinschaft habe jetzt erklärt, er würde es machen, wenn seine Wählergemeinschaft bei der Kommunalwahl die Mehrheit erringen würde. Das Problem: „Wir haben hier mit der CDU immer die Mehrheit“, sagt der Noch-Bürgermeister. Und den Kandidaten der Minderheit im Gemeinderat wählen? „Naja“, sagt Patt. „Eigentlich haben wir seit zehn Jahren alle Beschlüsse immer einstimmig gefasst“, da könnte ein Kandidat der Wählergemeinschaft vielleicht tragbar sein. Aber über eine solch ganz große Koalition im 1.200-Einwohner-Dorf könne man natürlich erst nach der Wahl reden.

Doch trotz all dieser Probleme stellen mehrere Parteien einen Mitgliederzuwachs fest. Bei der CDU scheint die gewonnene Landtagswahl ein Auslöser gewesen zu sein, aber auch die bevorstehende Kommunalwahl habe einen erneuten Schub bewirkt, sagt Schmachtenberg.

Bei der SPD sorgte die Mitgliederbefragung, ob die Partei erneut in eine große Koalition einsteigen sollte, für neue Parteieintritte. Anfang des Jahres verkündete Landesparteichef Ralf Stegner einen deutlichen Zuwachs in der SPD Schleswig-Holstein, die nach der CDU noch immer zweitgrößte Kraft im Land ist. Ob sich dieser Elan auch bei den Listen niederschlägt, ob die SPD also mehr KandidatInnen aufstellen kann als noch 2013, ist unklar – die Parteizen­trale antwortete auf taz-Nachfrage nicht.

Die Grünen konnten zulegen. „Wirklich bemerkenswert“, freut sich Landesparteichefin Ann-Kathrin Transizka. Der Eintritt in die Jamaika-Koalition hat offenbar nicht geschadet, im Gegenteil: „Viele Mitglieder sind mit dem Koalitionsvertrag einverstanden und sehen, dass wir gute Ergebnisse erzielen.“ So treten die Grünen jetzt in 111 Gemeinden an, 2013 waren es 91.

Putsch im Ostseeheilbad

Manchmal spielen auch ganz lokale Gründe eine Rolle, etwa im Ostseebad Scharbeutz, wo es zu einem Putsch kam. Sieben Menschen traten zu Jahresbeginn in den Ortsverband der Grünen ein und übernahmen ihn faktisch. Die Hälfte der zwölf Listenplätze haben sie besetzt, darunter die drei Spitzenränge. „Alle Nominierungen erfolgten mit 9:7“, sagt Neu-Mitglied Karin Bühring. Sie ist überzeugt: „Wir haben die Grünen hier wiederbelebt.“ Denn die seien zuvor die „One-Man-Show“ eines inzwischen 75-jährigen Rechtsanwalts gewesen, der den kleinen Ortsverein dominierte.

Die Neu-Grünen waren überwiegend bereits vorher in der Kommunalpolitik aktiv, vier hatten der Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger angehört und waren dort nach Uneinigkeit über die politischen Prioritäten ausgetreten. Ein Neu-Mitglied kam von der SPD, dazu zwei Parteilose.

„Nach der Kommunalwahl legen wir los“, verspricht Bühring: Sanfter Tourismus an der Ostsee, mehr Betonung von Natur und Umwelt, Schaffung von Wohnraum für Familien statt Zweitwohnungsbettenburgen, ein ökologisches Mobilitätskonzept stehen als Programm für den 11.000-Seelen-Badeort an der Lübecker Bucht auf dem Plan. Von permanenten Konflikten und Querelen im Ortsverein kann indes keine Rede sein: Der bisherige „Alleinherrscher“ trat inzwischen frustriert aus der Partei aus.

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