Politische Kunst aus der Türkei in Berlin: Zeugnisse des Widerstands

Was wurde aus den Menschen hinter den Barrikaden? An die Proteste im Gezi-Park erinnert eine lohnende Ausstellung in der NGBK.

Die „Gezi-Barrikade” des istanbuler Fotografen Aytunç Akad Foto: ngbk/Aytunç Akad

BERLIN taz | Zwei Jahre nach den Gezi-Protesten in der Türkei zeigt die Neue Gesellschaft für bildende Kunst e.V. (ngbk) in Berlin bis Ende August eine Ausstellung mit Zeugnissen der türkischen Widerstandbewegung. Ihr Titel „77□13” verrät, dass sie nicht nur auf die Geschehnisse im Mai 2013 eingeht, sondern einen Bogen zum Taksim-Massaker am 1. Mai 1977 schlagen soll, einem traurigen Datum in der Geschichte des zivilen türkischen Widerstands.

Die Gezi-Proteste richteten sich gegen die türkische Regierung, ihre immer dreister werdenden Eingriffe ins Privatleben der Menschen und gegen den „tiefen Staat”, also das konspirative Geklüngel des Staatsapparates und seiner Organe. Die Mittel und Methoden der Protestbewegung basierten dabei zu weiten Teilen auf gewaltfreien, humorvollen, kreativen und künstlerischen Elementen, was auch international zum Entstehen einer neuen Protestkultur beigetragen hat, deren Wurzeln tiefer reichen.

Christian Bergmann, Politologe und Initiator des Ausstellungsprojektes, besuchte 2013, noch vor Ausbruch der Gezi-Proteste, die Ausstellung „Afişe Çıkmak” im Istanbuler Kulturzentrum DEPO, die anhand von Plakaten und anderen Dokumenten die Ästhetik des linkspolitischen Widerstandes in der Türkei der 1960er bis 80er Jahre zeigte. Durch die dann folgenden Ereignisse entstand die Idee zur Ausstellung in der ngbk, die sowohl durch ihre Organisationsstruktur als auch ihre räumliche Lage in Kreuzberg ein idealer Ort für ein solches Thema ist.

Die Regenbogentreppe

Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. (ngbk), Oranienstraße 25, 10999 Berlin, bis 30. August, täglich 12 bis 19 Uhr, Do. bis Sa. bis 20 Uhr.

Gemeinsam mit fünf weiteren ngbk-Mitgliedern, unter ihnen eine Kunsthistorikerin, Geisteswissenschaftler und Kunstschaffende, wurde das Projekt dem Verein vorgestellt und seine Umsetzung basisdemokratisch beschlossen. Die Ausstellung zeigt Fotografien wie die der feministischen Künstlerin CANAN; künstlerische Reflexionen der Proteste, Straßenkunst als Objekte des Widerstands und Zeichnungen zum Beispiel von Cem Dinlenmiş, der in seinen Karikaturen Phänomene des Protests wie die „Regenbogentreppen” in direkte Verbindung zu den Verursachern der Unruhen setzt.

Es gibt Videos wie „Oasis” von Berat Işık zu sehen, der türkische Probleme der Stadtentwicklung und Gentrifizierung aufgreift, indem er einen alten Mann seine Geschichte erzählen lässt; Plakate und zahlreiche digitale Inhalte wie Screenshots von Beiträgen aus sozialen Netzwerken.

Die Arbeiten stammen von mehr als 40 TeilnehmerInnen und Kollektiven und von zahlreichen unbekannten Mitwirkenden der Gezi-Bewegung. Zum Programm der Ausstellung gehören Diskussionsrunden und auch eine deutsch-türkische Publikation mit Hintergrundtexten. Es ist nicht einfach, einer solchen Fülle von Material mit einem Ausstellungskonzept gerecht zu werden. So sind dann zumindest im begehbaren Teil der Ausstellung auch die Hinführung für themenfremde Besucher, die frühere Protestgeschichte und manche Elemente der Präsentation ein wenig zu kurz gekommen. Rahmenprogramm und Katalog gleichen das aus. In ihrer Gesamtheit ist die Ausstellung eine Fundgrube. Wer die Bereitschaft, sich Inhalte zu erarbeiten, mitbringt, wird nach einer Weile selbst Teil der Ausstellung, und wer geht, hat den Wunsch wiederzukommen, um noch tiefer einzudringen. Eine gelungene Idee war es, den Besucher an der Arbeit der Ausstellungsmacher teilhaben zu lassen. Organigramme der Planungsphase finden sich an den Wänden.

Eines der beeindruckendsten Exponate ist die Fotografie „Gezi-Barrikade” von Aytunç Akad. Sie bildet eine verlassene Barrrikade aus Baugerüsten ab. Nichts scheint sinnloser als eine verlassene Barrikade. Sie ist ein temporäres Mahnmal für den Widerstand gegen soziale und politische Ungerechtigkeit. Sie zeigt mit dem Finger auf die Notwendigkeit, auch nach dem Widerstand auf der Straße langfristig aktiv zu bleiben.

Die filigran wirkenden Stahlstangen sind ein Sinnbild dafür, dass mit Kreativität aus vielen schwach wirkenden Elementen etwas sehr Widerstandsfähiges zusammengesetzt werden kann. Geisterhafte Belichtungsspuren und die fahle Beleuchtung der Szenerie stellen die Frage, was aus denen geworden sein mag, die hinter dieser Barrikade Schutz gesucht haben.

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