Politologe über Italiens neue Regierung: „Etwas infantile Züge“

Die neue Regierung ist naiv, wenn sie glaubt, Europa ändern zu können, sagt Piero Ignazi. Doch das werde sie binnen weniger Wochen merken.

Matteo Salvini trägt sein Jacket über der Schulter

Matteo Salvini lässig wie auf dem Weg in einen Club. So einfach ist Regieren aber nicht Foto: ap

taz: In Europa gibt es die Sorge, in Italien könnte nun bald eine antieuropäische Koalition regieren. Ist die Sorge berechtigt?

Piero Ignazi: Das kommt ganz darauf an, wer in der Regierung die Oberhand hat, die Lega oder das Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung). Die Lega ist klar antieuropäisch, die Fünf Sterne dagegen nicht.

Auch aus den Reihen des M5S hört man doch aber immer mal wieder souveränistische Töne.

In Wirklichkeit sind ihre Positionen dagegen deutlich verantwortungsbewusster. Das M5S hat da einen echten Mutationsprozess vollzogen, und dafür steht deren Chef, Luigi Di Maio.

Aber wenn wir den Koalitionsvertrag anschauen – da ist von Neuverhandlung des Stabilitätspakts die Rede, von der Revision des Dublin-Abkommens. Und von milliardenschweren Ausgaben. Ist mit einer echten Wende zu rechnen?

Gewiss wird es den Versuch geben, Dinge in Europa zu ändern. Das hat aber auch etwas infantile Züge. Die Neuankömmlinge denken, bloß weil sie jetzt da sind, würde sich in Europa alles ändern. Das ist einigermaßen naiv, das ist die Naivität derer, die bisher nie an den europäischen Verhandlungstischen gesessen haben. Doch binnen weniger Wochen werden sie die Realität zur Kenntnis nehmen.

67 Jahre, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bologna.

Sie rechnen also nicht mit heftigen Zusammenstößen zwischen Italien und den anderen in Brüssel?

Nein. Die Vertreter unserer Regierung werden sich ein bisschen gebärden wie Jugendliche, die zum ersten Mal einen Club betreten – und die natürlich zunächst auf sich aufmerksam machen wollen. Wir alle wissen, dass sie nicht allzu viel verändern können. Zugleich gibt es eine stabilisierende Technostruktur unseres Landes. Dazu gehört die Banca d’Italia, dazu gehören der Unternehmerverband Confindustria und andere Interessenverbände, dazu gehört auch der Staatspräsident. Sie alle werden als Sicherheitsnetz wirken.

Die Lega und die Fünf Sterne werden gerade im Ausland oft unter der gleichen Kategorie „Populismus“ eingeordnet. Zu Recht?

Nein. Das sind völlig verschiedene Bewegungen, und meiner Meinung nach begeht das M5S mit dieser Koalition einen gravierenden Fehler, denn es wird gute Teile seiner von der Linken kommenden Wählerschaft verlieren. Die Fünf Sterne wenden sich traditionell nicht populistisch und unterschiedslos an „das Volk“, an „die Italiener“. Ihre Bezugsgröße sind „die Bürger“. Für mich sind sie zwar eine Anti-Establishment-Partei, aber keine populistische.

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