Polizist Steven Baack und der Fall Frank S.: Fatale Botschaften

Der ehemalige Leiter der Hamburger Soko „Cold Cases“ hat sich im Fall Frank S. nicht strafrechtlich schuldig gemacht. Trotzdem bleiben am Ende nur Verlierer.

Steven Baack, Leiter der Soko "Cold Cases", steht nach einer Pressekonferenz im Hamburger Polizeipräsidium.

Keine Hinweise auf planvolle Irreführung: Soko-Leiter Steven Baack im November 2017 Foto: dpa

HAMBURG taz | Die Staatsanwaltschaft Hamburg kommt zur Einschätzung, dass dem geschassten Chef der Sonderkommission für ungelöste Gewaltverbrechen „Cold Cases Unit“, Steven Baack (38), nicht vorgeworfen werden kann, sich in seinem ersten Fall mit verbotenen Ermittlungsmethoden strafrechtlich schuldig gemacht zu haben.

Baacks erster Fall drehte sich um Frank S. und mündete in einen Prozess vor dem Landgericht Hamburg. Dem heute 54-jährigen Frank S. wurde zur Last gelegt, vor 38 Jahren eine gleichaltrige Schülerin in Hamburg-Steilshoop mit acht Messerstichen fast umgebracht zu haben. Doch nach der Beweisaufnahme stand im Oktober vergangenen Jahres für das Gericht fest, dass Frank S. unschuldig ist: „Die Indizien haben aufgrund fehlerhafter Polizeiarbeit wenig Beweiskraft“, rüffelte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring die Soko in der Urteilsbegründung.

Die Vorwürfe gegen Baack habe die Behörde „über Monate und mithilfe aller zur Verfügung stehenden Dokumente geprüft“, sagte Sprecherin Nana Frombach. Es hätten sich keine Hinweise auf eine „absichtliche und planvolle Irreführung von Staatsanwaltschaft und Gericht“ ergeben, die einen Anfangsverdacht und Ermittlungen wegen falscher Anschuldigung, Aktenmanipulation oder Freiheitsberaubung rechtfertigen würden, sagte der Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich dem Hamburger Abendblatt.

Bei ihrer Überprüfung der Vorwürfe habe die Staatsanwaltschaft zwar festgestellt, dass es schwerwiegende handwerkliche Fehler der „Cold Case“-ErmittlerInnen gegeben habe. Diese seien aber durch Personalengpässe in der Einheit begünstigt gewesen. „Die von Herrn Baack vorgebrachten Hinweise auf eine Überlastung und Überforderung als wesentliche Ursache dieser Fehler erscheinen grundsätzlich plausibel“, sagte Fröhlich.

Entlastendes kam erst nach Monaten

Für den Verteidiger von Frank S., Jan Jacob, der auf Schadenersatz gegen die Stadt klagt, ist das eine unzulässige Entschuldigung. „Es kann nicht angehen, dass die Polizei entlastende Beweismittel erst Monate nach Inhaftierung zur Akte reicht. Gegen meinen Mandanten wäre niemals Haftbefehl erlassen worden, wenn sämtliche verfügbaren Informationen frühzeitig für Gericht und Verteidigung verfügbar gewesen wären“, moniert Jacob.

Wäre die Staatsanwaltschaft in dem Komplex zu einem anderen Ergebnis gekommen, müsste der „Täterkreis“ wohl erheblich ausgeweitet werden. Denn „Herrin des Verfahrens“ gegen Frank S. war damals die Staatsanwältin Tanja Glositzki, die normalerweise über sämtliche Ermittlungsschritte ihrer „Hilfspolizisten“ informiert ist und die den Fall 2018 auch zur Anklage brachte.

Die Ermittlungen der im Oktober 2016 vom Chef des Landeskriminalamtes (LKA) Hamburg, Frank Martin Heise, mit viel Brimborium eingesetzten „Cold Cases“-Einheit standen von Anfang an unter enormem Erfolgsdruck und wurde nvon der LKA-Führung und von Baacks Vorgesetzter Alexandra Klein beäugt. Die Vorzeigepolizistin ließ es sich nicht nehmen, bei der medienträchtigen Inszenierung von Frank S. Verhaftung im Februar vergangenen Jahres anwesend zu sein, bei der Soko-Chef Baack den Verdächtigen höchstpersönlich im Blitzlichtgewitter der PressefotografInnen in ein Polizeifahrzeug bugsierte.

Baack im Blitzlichtgewitter

Auch Baacks Anwalt Gerhard Strate macht die LKA-Führung, die eigens eine Ermittlungsgruppe zur „Cold Case“-Affäre eingesetzt hat, mitverantwortlich für das Debakel. „Das Vorgehen bestärkt den Eindruck, dass Herr Baack zum Sündenbock gemacht wird, um Versäumnisse der Führung zu verdecken“, sagt der renommierte Strafverteidiger. „Alle in dem Urteil bemängelten Sachen waren den Vorgesetzten vor der Verfahrenseröffnung durch das Landgericht bekannt, das steht sogar in dem Untersuchungsbericht der LKA-Führung“, so Strate zur taz.

Baacks Schilderungen zufolge habe die Soko „Cold Cases“ als Vorzeigeprojekt massiv unter Erfolgsdruck gestanden, sei mit vier BeamtInnen aber personell und technisch schlecht ausgestattet gewesen, was zu einer „Überforderung“ geführt habe. So seien viele Vernehmungen nur von einzelnen Beamten statt zu zweit geführt worden oder zur Aufklärung wichtige – vielleicht entlastende – Zeugen nicht befragt und entlastende Angaben von Baack von der LKA-Führung bewusst ignoriert worden.

Baack selbst gibt sich der Staatsanwaltschaft gegenüber selbstkritisch: Ihm seien in der Sache Fehler unterlaufen. „Diese sind nach fast zehnjähriger operativer Verwendung in einem Spezialeinsatzkommando zu erwarten“, weshalb er „um enges Controlling“ gebeten, es aber nicht bekommen habe, sagte der Beamte, der zuvor beim Mobilen Einsatzkommandos (MEK) tätig war. In der Tat wirft die „Cold Case“-Affäre Fragen auf. Warum hat Heise damals Steven Baack zum Soko-Chef für diese äußert spezifische Materie ernannt, in der innovative Methoden und ein neuer Blickwinkel notwendig sind, obwohl der 35-Jährige mehr als zehn Jahre lang keine kriminalistische Ermittlungspraxis mehr hatte?

Mehr als bloß kriminalistische List

Zudem habe die Arbeitsgruppe der LKA-Führung Baack „rechtliches Gehör nicht gewährt“, so Strate. Ihr Bericht sei an die Staatsanwaltschaft gegangen, „ohne dass Baack Gelegenheit gegeben wurde, Stellung zu nehmen, so geht man mit seinen Beamten nicht um“, moniert Strate gegenüber der taz.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte die Meier-Göring, die den Prozess gegen Frank S. vor dem Hamburger Landgericht leitete. So seien dem Opfer Fotos von acht jungen Männern vorgelegt worden, auf denen sie den Täter von damals erkennen sollte.

Allerdings stammte nur das Jugendfoto des Angeklagten erkennbar aus den 1980er-Jahren. Die Zeugin identifizierte Frank S. daraufhin zu „80 bis 90 Prozent“, während sie Tage zuvor in einer Mail an die Soko „Cold Cases“ noch den sogenannten Göhrde-Mörder als Täter benannt hatte.

Schlamperei in der Asservatenkammer

Auch wurde dem heute 54-jährigen traumatisierten Opfer seitens der Soko suggeriert, der Täter sei aufgrund von DNA-Spuren am Tatmesser bereits überführt, obwohl die gefundenen Tatwaffen und andere Tatortspuren wegen Schlamperei in der Asservatenkammer der Polizei vor 16 Jahren versehentlich entsorgt worden waren.

Zum wichtigsten Belastungszeugen avancierte ein ehemaliger Kumpel des Angeklagten, der sich plötzlich erinnerte und „aus sich heraussprudelte“, so die Richterin, dass sich der dunkelhaarige Frank S. zum Tatzeitpunkt die Haare blond gefärbt gehabt habe – wie der vermeintliche Täter.

Zuvor soll Baack den Zeugen auf eine Belohnung von 3.000 Euro aufmerksam gemacht und suggeriert haben, dass er sich in einem Strafverfahren gegen ihn im Falle einer Kooperation mit der Polizei stark machen werde. So ein polizeiliches Verhalten „übersteigt die kriminalistische List“, rügte Meier-Göring. „Hätten die Hinweise sich bestätigt, hätte es sich um verbotene Vernehmungsmethoden gehandelt.“

Nur Verlierer

An die Angeklagten und Opfer gerichtet, bedauerte die Richterin, welche fatalen Botschaften von dem Prozess ausgegangen seien: „Wie bitter muss es für die Nebenklägerin sein, dass sie mit dem heutigen Freispruch wohl endgültig der Hoffnung beraubt wurde, zu erfahren, wer ihr dieses unsagbare Leid angetan hat.“

Die Angeklagten hätten verzweifelt versucht, ihre Unschuld zu beweisen. „Aber was hilft die Unschuldsvermutung, wenn die Polizei überzeugt ist, dass man der Täter ist?“, resümierte Meier-Göring: „So ein Verfahren, das nur Verlierer, aber keine gerichtshaltbaren Beweise produziert, darf es nie wieder geben.“

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