Porträt des neuen Piraten-Geschäftsführers: Der Weiterflüsterer

Johannes Ponader, der neue politische Geschäftsführer der Piraten, ist so authentisch, dass es manchmal anstrengend werden kann. Sein Mantra ist das Bekenntnis zur Basis.

Macht der Partei das Herz: Johannes Ponader beim Parteitag in Neumünster. Bild: dpa

BERLIN taz | Johannes Ponader soll also die neue Marina Weisband werden. Die Frau mit den wehenden Röcken und dem Schmuck im Haar, die wie keine Zweite dem Aufstieg der Piratenpartei ein milde lächelndes Gesicht gab, ist endgültig abgetreten. Folgen wird ihr nun ein Mann, der eines mit ihr gemein hat: Er ist unverwechselbar.

Ob diese Eigenschaft im Amt des Politischen Geschäftsführers ein Segen oder Fluch für eine Partei sein wird, die sich laut Meinungsumfragen derzeit auf Augenhöhe mit den Grünen befindet, muss sich noch erweisen. Denn Ponader – Betonung auf O und nicht auf A – ist das besondere Exemplar eines Missionars dieser Zeit. Er ist ein Missionar, der seine Macken hat. Aber dafür lieben ihn die Piraten.

74,4 Prozent der Mitglieder wählten den 35-Jährigen Berliner am Wochenende in das Amt des Politischen Geschäftsführers – und damit ließ er seine Mitbewerber um Längen hinter sich. Was die Piraten an ihm mögen, ist sein wie ein Mantra wiederholtes Bekenntnis zur Basis, seine Idee von einer Gesellschaft, deren erstes Anliegen das Zuhören ist. Dieses Basisbekenntnis schwitzt ihm sanft aus jeder Pore.

Das Gesicht der Berliner Occupistas

Er war es, der im Spätherbst letzten Jahres der Occupy-Bewegung in Berlin ein Gesicht gab – und diesem Paradoxon mit einem schwer zu meisternden Spagat begegnete: Wo immer es um Orga und um Öffentlichkeitsarbeit ging, war Johannes Ponader der Mann der Stunde in dem zwischenzeitlich durchaus in Verruf geratenen Occuppy-Zeltstädtchen an der Spree. Aber in der Aura der Bewegten betete Ponader die Anschwörung des Kollektivs so pflichtbewusst herunter, dass er sie schließlich selber glauben musste. Ohne Johannes Ponader hätte das Berliner Occupy-Camp nur halb so lange überlebt.

Unter Piraten fand er schließlich seine nächste Heimat – und sein Versuch, die Gesellschaft von unten neu zu denken, prädestiniert den frei schaffenden Regisseur und Schauspieler, der sich „Gesellschaftskünstler“ nennt für die Partei. Ponader, der von Hartz-IV lebt hat sich unter Piraten durch seinen Einsatz für die Entwicklung eines Modells zur Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens verdient gemacht.

In Zeiten, in denen die Professionalisierung der Piraten ihre größte Aufgabe, aber gleichwegs auch größte Gefahr ist, ist Johannes Ponader der Antityp zu dem stillen, zurückgelehnten Vorsitzenden Bernd Schlömer, der als Beamter im Verteidigungsministerium eher auf einen gediegenen sozialen Hintergrund verweisen kann.

Hippie und Prozesshansel

Dabei kann Ponaders größte Qualität – seine Authentizität in seinen Fragen, Vorstellungen, auch in seinen Ratlosigkeiten – auch schnell anstrengend werden: Bei der Vorstellung des neuen Piraten-Vorstands in Neumünster bildeten er und seine Piraten-Freunde mit Daumen und Zeigefingern ein Herzchen, als wollten sie sagen: Wir müssen nur nett zueinander sein. Aber keinem anderen steht diese hippieske Geste so gut wie Ponader. Dieses hippieske Moment beschwört er immer wieder, indem er jeden Fehler zum Appell einer „noch besser werdenden Feedbackkultur“ werden lässt: Solange alle von allen lernen, kann sich die Menschheit nur weiterentwickeln.

Hinter diesem politisch formulierten Schrei nach Liebe verbirgt sich auch eine verkniffene Seite, die sein leicht überernstes Auftreten oft humorlos erscheinen lässt. In Hochzeiten der Occupy-Bewegung verbrachte der Aktivist, der standesgemäß kein „Pressesprecher“ sein wollte, manch Abendstunde damit, mit juristischen Schritte gegen ihm missliebige Artikel zu drohen und „Richtigstellungen“ zu verlangen, wo es um Einschätzungen ging. Auch im Umgang mit Autorisierungen von Zitaten gehörte Ponader bislang nicht zu den Lockeren.

Wie er die neue Aufmerksamkeit im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses nun meistern will, wird daher spannend zu beobachten sein. Auf seiner ersten Pressekonferenz mit seinen neuen Vorstandskollegen, bat er die Journalisten, ihm künftig ihr Feedback zu geben, „damit wir gut miteinander arbeiten können und ich auch von Ihnen lernen kann.“

„Ein Jahr inhaltliche Abstinenz“

Feedback, Feedback, Feedback – das ist das Programm, für das Ponader in der Partei mit der entsprechenden Mehrheit gewählt wurde. Denn was Ponader in den vergangenen Wochen immer wieder beschwor, war seine Mission, in seinem neuen Amt seine eigene Stimme verlieren zu wollen: „Ich habe jetzt ein Jahr inhaltliche Abstinenz“, sagt er.

Statt seine eigenen Positionen kundzutun, will er nach dem Stille-Post-Prinzip eine Art Weiterflüsterer sein, nach außen lediglich dafür verantwortlich, die Stimmungen, die es in der Partei gibt, möglichst transparent zu vermitteln – und innerhalb der Partei „alle Piraten dabei zu unterstützen, politisch zu arbeiten“.

Es sei nicht seine Aufgabe, inhaltliche Impulse in die Partei zu geben, sondern Impulse, die aus der Partei kommen, zu vermitteln. Als am Wochenende die Debatte um einen politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine aufbrandete, regte Ponader an, im Internet schnell eine Umfrage unter Piraten zu starten, um zu ermitteln, welche Position die Parteimitglieder dazu haben.

Parteisoldat im Hintergrund

Und das ist es, was sie an ihm schätzen: Dass er – sagen wir es ruhig: wie ein Parteisoldat – seine eigene Meinung hinter die des Kollektivs stellen möchte. Damit liegt er auch nicht ganz auf einer Linie mit dem neuen Parteivorsitzenden Bernd Schlömer, der am Wochenende wiederholt betonte, dass die neue Bedeutung der Piraten ihrem Vorstand auch abverlange, zu aktuellen Themen Position beziehen zu können.

Ponaders antwortet darauf lautet: Sollen doch die anderen in die Talkshows gehen. Und das ist auch seine Abgrenzung zu Marina Weisband. Geht es nach ihm, dann muss er nicht im Mittelpunkt stehen. Je öfter er das betont, desto häufiger wird sich der Mann, dem der Habitus des politischen Taktierers völlig abgeht, dort jedoch befinden. Denn was ihn so interessant macht, ist, dass er noch gänzlich unverbogen wirkt. Mal schauen, wie lange er noch bei sich bleiben kann, ohne dass ihm das nachgetragen wird.

Martin Kaul berichtet für die taz über die Piraten und twittert unter @martinkaul.

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